„Ich will mehr davon“
Thomas Dreßen hat vergangene Saison das legendäre Hahnenkammrennen gewonnen. Anders formuliert: Er ist auf den Geschmack gekommen. Nur unterschätzen wird ihn keiner mehr
Augsburg Es ist eine der großen Sensationen des vergangenen Winters. Kitzbühel. Abfahrt. Der Schweizer Beat Feuz führt. Die ersten gratulieren schon zum Sieg auf der legendären Streif. Zu früh. Denn oben steht Thomas Dreßen im Starthäuschen. Ein Deutscher. Geheimfavorit, bestenfalls. Start. Mausefalle? Perfekt. Dreßen fährt das Rennen seines Lebens. Fehlerfrei. Mutig. Erste Zwischenzeit: 53 Hundertstel vor Feuz. Nächste Zeitnahme: Ein Zehntel ist noch übrig. Drunten im Ziel stehen 43 000 glühweinselige Zuschauer und staunen. Es ist das wichtigste Rennen der Österreicher. Ein Sieg in Kitzbühel garantiert Legendenstatus. Das ORF überträgt live. Armin Assinger und Oliver Polzer kommentieren, springen auf, als Dreßen zum Zielsprung ansetzt. „Das gibts ja gar nicht. Thomas Dreßen...“, brüllt Assinger, vierfacher Weltcupsieger. Der Deutsche gewinnt. „Bravo Thomas. Wahnsinn, ist das geil. Unfassbar.“
Das war im Januar. Jetzt, Ende November, ist Kitzbühel weit weg. 8000 Kilometer, um genau zu sein. Für Dreßen beginnt am Wochenende in der kanadischen Provinz die neue Saison. Abfahrt am Samstag, Super-g am Sonntag. Der Blick des bayerischen Kraftpakets geht nach vorne. „Es ist immer noch cool, wenn ich an das alles denke. Aber dann ist auch wieder gut“, sagt der Mann aus Garmisch-partenkirchen, der am Donnerstag 25 Jahre alt wurde. „Die letzte Saison war super. Aber jetzt steht die nächste an. Und da will ich wieder genauso konsequent und hart arbeiten. Ich will wieder auf das gleiche Level kommen, mich weiter verbessern, denn die anderen schlafen ja auch nicht.“
Dreßen ist keiner, der sich auf seinen Erfolgen ausruht. Im Gegenteil: Er zieht Motivation daraus, „denn wenn du so einen Erfolg geschafft hast, ist das alles nicht mehr nur ein Traum, es ist realistisch. Und dann will man mehr davon, weil es einfach geil ist. Deswegen stehst du jeden Tag auf, gehst trainieren und reißt dir den Allerwertesten auf, damit du das noch mal schaffst.“
Den Sommer über arbeitete Dreßen an technischen Feinheiten. Im Kraftraum legte er, der körperlich ohnehin schon zu den Stärksten im Weltcup gehört, noch einmal eine Schippe drauf und sagt: „Es gibt nicht den perfekten Athleten. Es gibt immer Bereiche, in denen man sich weiterentwickeln kann.“
Auf Mauritius hatte er sich zusammen mit Freundin Birgit von den Strapazen der vergangenen Saison erholt. „Nach dem ganzen Halligalli im vergangenen Jahr ist es wichtig, dass ich meine Privatsphäre habe“, sagt er. Zwei Wochen Ruhe reichten aber. Seitdem läuft die Vorbereitung auf den kommenden Winter. Dreßen will den nächsten Schritt gehen und zu einem Fahrer werden, der beständig um die Topplatzierungen kämpfen kann. „Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man schnell ist. Dieses gute Gefühl muss man abrufen können, wenn es darauf ankommt. Das gelingt aber nicht immer und deswegen darf man sich nie ausruhen, man muss immer weiterarbeiten.“An der Weltspitze tummeln sich inzwischen mindestens 20 Fahrer, die in der Lage sind, ein Weltcuprennen zu gewinnen. Mitten drin: die Deutschen. Einst nur müde belächelt, sind sie inzwischen zu einer ernsthaften Konkurrenz geworden. Neben Dreßen sind auch Josef Ferstl und Andreas Sander in der Lage, ganz nach vorne zu fahren. „Wir haben enorme Qualität im Team und pushen uns gegenseitig. Wir unterstützen uns auch, das zeichnet uns aus, weil wir uns gemeinsam weiterentwickeln. An einem guten Tag kann jeder von uns vorne mitfahren“, sagt Dreßen. Als Vorbild dienen ihm die Norweger, die um den 35-jährigen Aksel Lund Svindal eine starke Gruppe aufgebaut haben. Dreßen: „Da gewinnt der eine und die anderen freuen sich mit ihm mit. Bei uns haben wir eine ähnliche Dynamik und ich bin stolz darauf, ein Teil davon sein zu dürfen.“
Vor allem aber ist er ein Teil jener erlauchten Gesellschaft, die in Kitzbühel eine eigene Gondel bekommt. Diese Ehre gebührt nur denjenigen, der dort gewonnen haben. Für Dreßen soll es aber nicht bei einer Gondel bleiben. „Ich habe keine Lust, dass das ein einmaliger Geschichtsbuch-eintrag wird, da soll noch etwas kommen“, kündigt er an. Nur eines wird dann nicht mehr passieren: dass die österreichischen Kommentatoren ausflippen. Denn jetzt ist Dreßen kein Geheimfavorit mehr. Er ist ein Kitzbühel-sieger.