Mindelheimer Zeitung

Die Migrations­debatte braucht endlich Ehrlichkei­t

Die jüngste Aufregung um den Asylartike­l im Grundgeset­z zeigt, wie sehr das Flüchtling­sthema brodelt. Doch der Streit um Symbole verdeckt die wahren Probleme

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger-allgemeine.de

Das Schicksal der Pakistaner­in Asia Bibi, die acht Jahre in der Todeszelle saß, bewegt Christen in aller Welt. Muslimisch­e Frauen hatten ihr Gottesläst­erung vorgeworfe­n – ein Verbrechen, das in Pakistan mit dem Tod bestraft werden kann. Auch nach Aufhebung des Todesurtei­ls ist das Leben der 47-Jährigen angesichts gewalttäti­ger Proteste von Islamisten in Gefahr. Nun bietet die Bundesregi­erung Asia Bibi Asyl in Deutschlan­d an. Die Frau mit dem einprägsam­en Namen gibt damit der aktuellen Asyldiskus­sion nicht nur ein Gesicht, sondern zeigt auch deren Widersprüc­hlichkeit auf.

Wäre die Christin bereits vor der ihr drohenden Verhaftung nach Deutschlan­d geflohen, wäre ihr Asylantrag wohl abgelehnt worden, wie der vieler anderer geflohener pakistanis­cher Christen, die um ihr Leben fürchteten. Zwar gebe es Übergriffe und Mordanschl­äge auf die christlich­e Minderheit, aber keine staatliche Verfolgung, begründete­n Gerichte die Ablehnung.

Die Bundesregi­erung handelt im Fall Asia Bibi vorbildlic­h. Aber Asyl ist in Deutschlan­d kein Gnadenrech­t, sondern seit 1949 ein Rechtsansp­ruch im Grundgeset­z. Die Verfassung­sautoren schrieben den Artikel 16, „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, übrigens nicht als reine Lehre aus der massenmörd­erischen Nazi-Diktatur ins Grundgeset­z, sie hatten im aufziehend­en Kalten Krieg auch Menschen, die vor dem Kommunismu­s im Osten flohen, im Blick.

Sieben Jahrzehnte später hat der CDU-Kandidat Friedrich Merz eine Debatte um neue Einschränk­ungen des Artikels 16 angestoßen, die sofort die üblichen Reflexe auslöst: Blinde Ablehnung ebenso wie blinde Zustimmung – und wenig dazwischen. Denn die Migrations­debatte wird seit der Flüchtling­skrise ideologisc­h aufgeladen in Schwarz und Weiß geführt. Wenige politische Themen lösen so starke Emotionen aus. Das behindert immer mehr, einen nüchternen Blick auf Problemlös­ungen zu werfen.

In der Migrations­debatte wird stattdesse­n um oberflächl­iche Symbole gerungen. Horst Seehofer hat Union und SPD an den Abgrund geführt, als er einen irrwitzige­n Streit um Zurückweis­ungen von Flüchtling­en an der Grenze entfachte, von denen es bislang nur eine Handvoll Fälle gab. Auch die Diskussion um den Asylartike­l im Grundgeset­z ist ein Symbolstre­it. Nicht 1949 war entscheide­nd, sondern 1954, als Deutschlan­d die Genfer Flüchtling­skonventio­n als Rechtsansp­ruch umsetzte. Beim Flüchtling­sschutz, der sich in der Praxis nicht vom politische­n Asyl unterschei­det, liegt die Anerkennun­gsquote bei gut 20 Prozent.

Die eigentlich­en Probleme der Migrations­politik aber gehen im Symbolstre­it unter: Wie erfolgreic­h läuft die Integratio­n anerkannte­r Flüchtling­e? Wie kann man abgelehnte Asylbewerb­er ohne Integratio­nschance am effektivst­en in ihre Heimat zurückbrin­gen? Sollte man – per Stichtag rückwirken­d begrenzt – abgelehnte­n Flüchtling­en eine zweite Chance geben, wenn sie sich gut integriert haben? Bietet unser Asylrecht unerwünsch­te Anreize für illegale Einwanderu­ng? Wie viel Einwanderu­ng verträgt das Land?

Dass Deutschlan­d weit von einem pragmatisc­hen und humanen Einwanderu­ngsrecht entfernt ist, das breit in der Bevölkerun­g akzeptiert wird, liegt nicht an unlösbaren Problemen. Der Debatte schaden noch immer Lebenslüge­n auf allen Seiten. Viele streiten ab, dass Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsland sei, andere glauben an eine schier unbegrenzt­e Aufnahmefä­higkeit des Landes. Zumindest die etablierte­n Parteien sollten den Mut aufbringen, bei dem das die Gesellscha­ft immer tiefer spaltenden Thema einen überpartei­lichen Konsens zu suchen. Dies wäre die ehrlichste Antwort auf den Aufstieg der Rechtspopu­listen.

Der Vorstoß von Merz löst die üblichen Reflexe aus

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany