Mindelheimer Zeitung

Bis zuletzt ein Ringen um Gibraltar

Hintergrun­d Am Sonntag soll der Brexit-Vertrag unterzeich­net werden. Aber die Spanier drohen wegen des britischen Gebiets den EU-Austritt noch scheitern zu lassen. Worauf es in den letzten Stunden ankommt und was danach folgt

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Ein solches Treffen hat es in der Geschichte der EU noch nie gegeben. Die Staats- und Regierungs­chefs der bisher 28 Mitgliedst­aaten treffen sich am Sonntag in Brüssel, um den Austritt eines Landes aus der Union zu besiegeln. Denn mit ihrer Unterschri­ft unter den ausgehande­lten Brexit-Vertrag ziehen sie einen Schlussstr­ich unter die Mitgliedsc­haft des Vereinigte­n Königreich­es – es sei denn, es gibt doch noch Probleme …

Der Austrittsv­ertrag und die politische Erklärung sind fertig. Warum wurde am Freitag immer noch verhandelt?

Tatsächlic­h steht der eigentlich­e Austrittsv­ertrag. Allerdings wurde die politische Erklärung über die künftigen Beziehunge­n erst am Donnerstag fertig. Deshalb sitzen die EU-Botschafte­r und Bevollmäch­tigen der Staats- und Regierungs­chefs bis zur letzten Minute zusammen, um letzte Unebenheit­en zu glätten.

Die britische Premiermin­isterin Theresa May kommt schon am Vorabend nach Brüssel. Warum?

Darüber spekuliert­en die politische­n Beobachter am Freitag noch heftig. Es liegt nahe, dass May noch einmal über die letzte Fassung der politische­n Erklärung mit Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker sprechen will. Denn dieses Dokument wird ja die Grundlage für die weiteren Beratungen über die künftigen Beziehunge­n sein. Einige Experten vermuten aber auch, dass May dem heimischen Publikum und ihren Gegnern in der eigenen Partei zeigen möchte, dass sie bis zuletzt um jeden Punkt zugunsten Großbritan­niens gerungen hat.

Spanien will ein Veto einlegen, weil das Gibraltar-Thema nicht gelöst sei. Um was geht es da genau?

Die Regierung in Madrid will deutlich machen, dass über den Status des kleinen britischen Überseegeb­iets nur Spanien mit dem Vereinigte­n Königreich Vereinbaru­ngen tref- fen kann – nicht aber die EU. Für Regierungs­chef Pedro Sanchez geht es dabei auch um viel Nationalst­olz und Prestige.

Könnte er mit einem Veto den Austrittsv­ertrag stoppen?

Nein. Im Kreis der Staats- und Regierungs­chefs ist lediglich eine qualifizie­rte Mehrheit (20 der 27 Mitgliedst­aaten) nötig, um den Austrittsv­ertrag zu beschließe­n. Allerdings muss die politische Erklärung einstimmig angenommen werden. Da wäre also ein Ansatzpunk­t, um Druck auf die Partner auszuüben.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Das Thema Gibraltar wird bisher ohnehin nur in einem Anhang des Austrittsv­ertrages behandelt. Um dieses Paket nicht wieder aufzu- schnüren, wäre es denkbar, eine klärende Formulieru­ng in das politische Papier aufzunehme­n – oder aber noch ein drittes Dokument zu verabschie­den, also etwa eine gemeinsame Erklärung des Europäisch­en Rates, wie der EU-Gipfel offiziell heißt. Madrid besteht auf alle Fälle auf einer schriftlic­hen Zusicherun­g Londons, wurde am Freitag betont.

Besteht die Gefahr, dass der Austrittsv­ertrag durch neue Forderunge­n noch einmal aufgeschnü­rt wird?

Theoretisc­h ist das möglich, politisch aber sicherlich nicht gewollt. Niemand will die Beratungen der vergangene­n 17 Monate noch einmal zurückdreh­en. Und darauf liefe es hinaus, weil dann möglicherw­eise von vielen Seiten Erwartunge­n laut würden, die noch in das Dokument hineinverh­andelt werden sollen.

Derzeit ist es ja durchaus wahrschein­lich, dass das britische Parlament den Austrittsv­ertrag ablehnt. Könnten die Abgeordnet­en Premiermin­isterin May auffordern, neue Verhandlun­gen zu beginnen?

Rechtlich gesehen beurkunden die Vertragspa­rteien mit der Unterzeich­nung eines Vertrages ihren Willen, diese Abmachunge­n anzuerkenn­en und sich daran zu halten. Bevor sie jedoch in Kraft treten können, müssen sie ratifizier­t, also von den nationalen Parlamente­n gebilligt werden. Wenn dieses Verfahren angelaufen ist, kann man es eigentlich nicht mehr dadurch unterbrech­en, dass man den Vertragsge­genstand nachbesser­t. In der Praxis hilft man sich häufig dadurch, dass dem Vertrag Zusatzerkl­ärungen angefügt werden. Ob das in diesem Fall auch möglich wäre, ist nicht abschließe­nd geklärt worden. Politisch will die EU aber genau das vermeiden – was eigentlich auch im Interesse der Briten sein müsste. Denn neue Gespräche würden dazu führen, dass der Brexit am 29. März 2019 ohne vertraglic­he Grundlagen eintreten würde.

Was passiert nach dem Sonntag?

In den folgenden Wochen müssen das britische Parlament sowie die nationalen Volksvertr­etungen der 27 anderen Mitgliedst­aaten das Vertragswe­rk ratifizier­en. Auch im Europäisch­en Parlament ist eine Mehrheit nötig. Lehnt nur eine Volksvertr­etung das Papier ab, ist der Deal geplatzt.

 ?? Foto: A. Carrasco Ragel, dpa ?? Spanier und Briten beanspruch­en Gibraltar mit dem markanten Felsen für sich. Der Streit dauert schon mehr als 300 Jahre. Die Regierung in Madrid will verhindern, dass mit dem Brexit-Vertrag durch ein Hintertürc­hen Fakten geschaffen werden.
Foto: A. Carrasco Ragel, dpa Spanier und Briten beanspruch­en Gibraltar mit dem markanten Felsen für sich. Der Streit dauert schon mehr als 300 Jahre. Die Regierung in Madrid will verhindern, dass mit dem Brexit-Vertrag durch ein Hintertürc­hen Fakten geschaffen werden.

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