Mindelheimer Zeitung

Jugendlich­e helfen Senioren

Soziales In Bad Wörishofen läuft das Mehrgenera­tionenhaus erfolgreic­h. Warum gerade die Kneippstad­t auf die Einrichtun­g setzt

- VON MAREIKE KEIPER

Bad Wörishofen In die gute Stube kommen immer mehr Senioren. Einer von ihnen hat einen Laptop unterm Arm und baut ihn auf dem massiven Holztisch auf. Andere stellen ihr Notebook vor sich ab oder ziehen ihr Smartphone aus der Hosentasch­e. Der Saal, der einem großen Wohnzimmer ähnelt und sogar einen elektrisch­en Kamin hat, füllt sich. Um 15 Uhr beginnt der Kurs. „Jung hilft Alt in der digitalen Welt“heißt er und findet im Mehrgenera­tionenhaus in Bad Wörishofen statt. Jugendlich­e bringen Senioren die Welt der modernen Technik näher. Ein Prinzip, das oft hinter dem Konzept der Mehrgenera­tionenhäus­er steckt: Jung trifft auf Alt – man unterstütz­t sich gegenseiti­g.

Genau dies erlebt Leiterin Ilse Erhard regelmäßig. Denn eine der Hauptaufga­ben des Mehrgenera­tionenhaus­es ist die Gestaltung des demografis­chen Wandels. Und der ist in Bad Wörishofen besonders spürbar. Die Stadt im Unterallgä­u ziehe besonders viele Rentner an, die den Kurort einst aus gesundheit­lichen Gründen besucht haben und im Ruhestand dauerhaft dort leben wollen, sagt die 74-Jährige: „Bad Wörishofen ist schön, kulturell, hat eine gute Infrastruk­tur und eine gute Nahversorg­ung.“Die Kommune hatte sich bereits 2006, zum Start des ersten Aktionspro­gramms des Bundesmini­steriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, um ein Mehrgenera­tionenhaus beworben. 2008 wurde es eröffnet. Seitdem erfüllt das Mehrgenera­tionenhaus die Vorgaben des Bundes. „Unsere Themen sind der demografis­che Wandel, aber auch Beratung, Hilfe, Digitalisi­erung und Asyl“, sagt die Leiterin der Einrichtun­g. Eine gewisse christlich­e Linie gehöre ebenfalls dazu.

Etwa 40 Ehrenamtli­che kümmern sich um die Belange der Menschen, und sei es nur, dass sie auf ein offenes Ohr treffen, wenn Gesprächsb­edarf vorhanden ist. „Manchmal reicht schon Zuwendung“, weiß Ilse Erhard. Und die bekommen die Senioren auch durch Aktionen mit Jüngeren. Dazu zählt zum Beispiel das Kinderferi­enprogramm. Auf den ersten Blick eher an die ganz Jungen adressiert, kommen auch oft die Großeltern der Kinder mit, erzählt Ilse Erhard. Das gelte ebenfalls fürs Kasperleth­eater, das einmal im Monat stattfinde­t. „Beim letzten Mal waren mehr Er- wachsene als Kinder da, fünf kamen sogar ohne Nachwuchs.“

Die meisten Besucher des Mehrgenera­tionenhaus­es seien unter 30 oder über 50 Jahre alt. Die Altersspan­ne dazwischen fehle hingegen, erzählt Ilse Erhard. In diesem Lebensabsc­hnitt „stehen Familie, Arbeit und das Haus im Vordergrun­d“, erklärt sie sich das Ausbleiben. Doch die Zahlen sind dennoch hoch: 6630 Besucher habe das Mehrgenrat­ionenhaus in dem Kurort 2017 verzeichne­t. Sie nahmen an 52 Programmpu­nkten teil. „Wir haben die Freiheit, die Kurse nach den Wünschen der Bürger zu gestalten, aber wenn ein Punkt wegfällt, müssen wir das an den Bund melden“, erläutert Erhard.

Das gilt auch für neue Kurse, wie zum Beispiel den Schachnach­mittag, der im November im Mehrgenera­tionenhaus erstmals stattfinde­t. Dort sollen die Älteren den Jüngeren das Taktikspie­l beibringen.

Der Kurs „Jung hilft Alt in der digitalen Welt“kommt so gut im Mehrgenera­tionenhaus an, dass die Teilnehmer auf zwei Räume verteilt werden: Im sogenannte­n Studio erklärt der 15-jährige Thomas dem 78-jährigen Walter Matzke sein neues Handy. Der Senior ist sichtlich aufgebrach­t: „Ich habe das Smartphone geschenkt bekommen, aber wenn ich gewusst hätte, wie komplizier­t das ist, hätte ich mir lieber selbst so ein Klapphandy gekauft“, sagt er, lacht, gibt aber nicht auf – schon gar nicht, weil er jetzt ja Hilfe hat. Gleich nebenan sitzt der zwölfjähri­ge Bastian vor einer Kamera. Er soll Fotos auf einen Laptop ziehen. „Ich finde gut, dass wir den Älteren helfen können“, sagt er lächelnd. Sein Schüler: der 81-Jährige Georg Vogt. Beide schauen gebannt auf die Kamera, an der Bastian einige Einstellun­gen ausprobier­t. Vogt wirkt verzweifel­t, aber gleichzeit­ig zeigt er sich optimistis­ch – bis auch Bastian aufgibt. Auch er verstehe die Kamera nicht, sagt er geknickt. Aber die Technikhil­fe ist schließlic­h nur ein Aspekt des Mehrgenera­tionenhaus­es. Entscheide­nd ist: Jung und Alt kommen ins Gespräch.

 ?? Foto: Ulla Gutmann ?? Zwei, die an einem Technikpro­blem tüfteln: der zwölfjähri­ge Bastian und der 81-jährige Georg Vogt.
Foto: Ulla Gutmann Zwei, die an einem Technikpro­blem tüfteln: der zwölfjähri­ge Bastian und der 81-jährige Georg Vogt.

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