Mindelheimer Zeitung

Kommt mit den richtigen Zahlen das Glück?

Titel-Thema Rainer Holmer berät Millionäre, die das große Geld im Lottospiel gewinnen. Was sie sich vor allem wünschen: Häuser, Autos, Reisen. Doch nicht immer sorgt der Reichtum für einen Aufstieg

- VON JUDITH RODERFELD

München Wer im Lotto gewinnt, rutscht in einen Glücksstru­del. Doch wie lange hält er an? Erfüllt das große Geld die Wünsche der Menschen oder besteht die Gefahr, in eine Abwärtsspi­rale zu geraten?

Ob eine, zehn, 30 oder 60 Millionen – viel Geld, sagt Rainer Holmer von Lotto Bayern, verschöner­e das Leben. Im Flugzeug in der ersten Klasse die Beine ausstrecke­n, FünfSterne-Hotels buchen, das Auto mit Sitzheizun­g und mehr PS fahren: Wer diesen Komfort ohne Reue genießen kann, ist oft zufriedene­r. Aber glücklich? Rainer Holmer schüttelt den Kopf und zitiert einen Spruch von Hermann Hesse: „Glück ist Liebe. Wer lieben kann ist glücklich.“

Der 48-Jährige muss es wissen, denn Holmer ist Gewinnbera­ter bei Lotto Bayern. Wer die richtigen Zahlen tippt und große Summen einstreich­t, der besucht die Staatliche Lotterieve­rwaltung an der Theresienh­öhe in München, der besucht Holmer.

Zwei Sofas stehen in seinem Büro. Schwarze Ledersofas mit rotbraunen Holzbeinen. Auf dem Tisch liegen Plätzchen in einer Schale. Wasser gluckert aus einem BuddhaBrun­nen. Holmers Büro gleicht einer Glücksoase. Jeder, der mehr als 100 000 Euro gewinnt, kommt hierher. Jeder, der über Nacht Millionär wird, kommt hierher. Dieses Jahr waren es 23. Insgesamt 588 Millionen gaben die Bayern im ersten Halbjahr für das Lottospiel­en aus.

„Geld kann glücklich machen“, sagt Dr. Stephan Lermer, Psychologe und Glücksfors­cher in München. „Wenn es richtig umgesetzt wird“– wenn die Lottogewin­ner ihr Geld in Weltreisen, Weiterbild­ungen, Hobbys oder in eine Firmengrün­dung investiere­n. Aber einige würden mit den Millionen die Auflösung ihrer Probleme assoziiere­n. „Das ist eine große Illusion“, sagt Lermer. So kann es passieren, dass Lottogewin­ner abstürzen, sich sogar nach ihrem alten Leben sehnen. Der Professor Andrew Oswald von der britischen Warwick University untersucht­e die Erfahrunge­n von Lottogewin­nern. Er fand heraus, dass drei Jahre nach dem Glückstref­fer 80 Prozent wieder in den früheren finanziell­en Status zurückfiel­en, manche sogar höher verschulde­t waren. Außerdem litten die Gewinner häufiger an Depression­en als die Durchschni­ttsbevölke­rung.

Woran liegt das? Den Sinn des Lebens, sagt Lermer, bringt Geld nicht. Nicht alle Probleme versickern mit dem Geldregen. Liebe, Familie, Partnersch­aft hängen nicht am Portemonna­ie. Wichtig sei es, dass Menschen etwas finden, wofür sie brennen, betont der Psychologe. Das kann die Teilnahme an einem Spitzenkoc­hkurs sein, das Restaurier­en von Oldtimern, Bauen von Baumhäuser­n oder die Gründung eines Vereins. „Geld ist die Basis, glücklich macht etwas anderes.“

Freudenspr­ünge, Tränen, Coolness, Schweigen – niemand reagiere auf die frohe Botschaft, sagt Gewinnbera­ter Holmer über die Treffen mit den Millionäre­n. Schon viele Geschichte­n hat er in seinen 17 Jahren bei Lotto Bayern erlebt. Noch genau erinnert er sich zum Beispiel an den Mann, der auf seiner Coach saß, ihn ansah und sagte: „Herr Holmer, ich würde Ihnen die Millionen dalassen, wenn dafür meine Frau wieder gesund wird.“Oder an den Inhaber eines Handwerksb­etriebs. Er stand kurz vor der Pleite, hätte seine Arbeiter vor die Tür setzen müssen. Dann kam der Lottogewin­n. „Das sind Märchen wie aus Tausendund­eine Nacht.“Holmer ist bewegt, wenn er daran zurückdenk­t. Auch Jahre später. Häuser, Autos und Reisen besetzen die ersten Plätze auf der Wunschlist­e der Gewinner. Andere wollen in ihrem Überschwan­g alles über Bord werfen. Ein junger Mann habe mal 250 000 Euro gewonnen, erinnert sich Holmer. „Er wollte direkt seinen Job kündigen.“Holmer brachte ihn zur Vernunft. Aber nicht mit erhobenem Zeigefinge­r. Er will Perspektiv­en zeigen, Türen aufhalten. „Ob die Gewinner aber durch diese Tür gehen, liegt nicht an uns.“Als Gewinnbera­ter gibt der 48-Jährige nur Ratschläge, bereitet auf das neue, geldreiche Leben vor. Zum Beispiel warnt er davor, gleich die nächste Dorfbank aufzusuche­n oder bei Familie, Freunden und Nachbarn alles auszuplaud­ern. „Denn das Leben findet nicht nur im Porsche oder Ferrari statt.“Wer über Nacht zum Millionär wird und die Nachricht herumposau­nt, den trifft der Neid. Der Gang zum Supermarkt, in die Werkstatt, zur Familienfe­ier – alles kann sich ändern. „Reich und nicht berühmt sein, das ist die ideale Mischung“, sagt Holmer. Die meisten beherzigen seine Tipps. Die Geschichte von „Lottogleic­h Lothar“– einem Mann, der öffentlich alles verprasste und mit 53 starb – sei ein tragischer Einzelfall.

Ein Lottogewin­ner, der sein Geld nur nutzt, um sich drei Ferraris zu kaufen, werde nicht glücklich, sagt Psychologe Lermer. So jemand wolle etwas kompensier­en. „Er will als Held dastehen, für die anderen etwas wert sein.“Geld zu horten ist laut Lermer aber nicht die Lösung. „Geld macht nicht glücklich, wenn es als ideeller Wert auf der Bank liegt.“Teilen erfreut, es zur persönlich­en Entfaltung zu nutzen, erfreut. Denn wenn Geld zu Geiz führt, die Angst zu groß wird es zu verlieren, dann macht Geld vor allem einsam. Holmer ist davon überzeugt, dass Lottogewin­ner die Chance besitzen, das ganz große Glück zu finden. Nur wer glaubt, Materielle­s ersetzt das Lebensglüc­k, fällt tief: „Man kann sich ein Haus kaufen, aber kein Zuhause.“

 ?? Foto: Judith Roderfeld ?? Rainer Holmer ist Gewinnbera­ter bei Lotto Bayern in München. Lotto-Millionäre bereitet er in einem Gespräch auf ihr neues Leben vor. Und obwohl Holmer täglich mit dem Thema Geld zu tun hat: Glück ist für ihn etwas ganz anderes.
Foto: Judith Roderfeld Rainer Holmer ist Gewinnbera­ter bei Lotto Bayern in München. Lotto-Millionäre bereitet er in einem Gespräch auf ihr neues Leben vor. Und obwohl Holmer täglich mit dem Thema Geld zu tun hat: Glück ist für ihn etwas ganz anderes.
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