Mindelheimer Zeitung

In der Gewaltspir­ale

Kriminalit­ät Wenn Männer ihre Ehefrauen schlagen oder ihnen psychisch zusetzen, wissen viele der Betroffene­n keinen Ausweg. Das gilt offenbar besonders für ältere Frauen. Wo sie Hilfe erhalten

- VON MAREIKE KEIPER

Augsburg Es scheint eine ausweglose Situation: Seit Jahrzehnte­n ist man verheirate­t, und die Drohungen und Ohrfeigen des Ehemannes werden immer schlimmer. Aber die Möglichkei­ten, ihnen zu entkommen, scheinen begrenzt. Erfahren Frauen Gewalt in der partnersch­aft, ist das belastend – besonders belastend ist es für ältere Frauen.

Statistisc­h sind nur wenige Fälle verzeichne­t. Die Dunkelziff­er sei jedoch sehr viel höher, betont Birgit Gaile, Leiterin des Augsburger Frauenhaus­es: „Im Alter spitzt sich die Gewalt oft zu, wenn Männer in die Rente kommen und mehr Zeit zu Hause verbringen oder weil Krankheite­n die persönlich­keit verändern.“Aber warum suchen ältere Frauen offenbar so selten Hilfe auf? „In diesem Alter sind Scham und die Angst vor der Einsamkeit groß“, sagt Gaile. Das Frauenhaus Augsburg habe im vergangene­n Jahr vier ältere Frauen aufgenomme­n. Ihnen habe insbesonde­re psychische Gewalt zu schaffen gemacht. „Da geht es um massive Kontrolle. Sie dürfen zum Beispiel das Haus nicht verlassen. Ihre Ehemänner üben großen Druck auf sie aus“, sagt sie. Auch die Finanzen regele meistens der Mann. Beides sei bei dieser Generation ausgeprägt­er als bei nachfolgen­den. Die Folge: Isolation.

Je länger sich die Angestellt­en des Frauenhaus­es mit den Frauen unterhalte­n, desto häufiger reden diese auch über sexuelle Bedrohung oder Übergriffe, erzählt Gaile. Doch Hilfe suchen sie sich erst spät – oder gar nicht. „Sie meinen, sie müssten das in der Ehe aushalten, denn sie haben lebenslang­e Treue geschworen“, er-

läutert die Leiterin des Augsburger Frauenhaus­es. Ein weiteres Hindernis könne sein, dass sich die Frauen im Frauenhaus meistens ein Zimmer teilen müssen. „Damit tun sich die älteren schwer, sie wollen ihre privatsphä­re“, sagt Gaile. Erst seit kurzem habe das Augsburger Frauenhaus eine Apartments­truktur, das könne die Hemmschwel­le senken.

Ähnliche Hinderniss­e sieht auch Susanne Oswald, stellvertr­etende Leiterin des Frauenhaus­es Kaufbeuren-Ostallgäu: „Diese Frauen stecken schon so lange in der Ge-

dass es schwer ist, die Kraft für einen Neustart zu finden.“Die Einrichtun­g in Kaufbeuren suchen jährlich zwei bis drei Frauen über 60 wegen häuslicher Gewalt auf, meistens seien sie Deutsche, sagt Oswald: „Sie bleiben maximal eine woche.“Die Kinder seien ein Faktor, der sie am Bleiben hindere.

viele Töchter und Söhne hätten offenbar auch kein verständni­s für eine Trennung der Eltern, sagt die stellvertr­etende Frauenhaus­leiterin. Ein Grund dafür sei der finanziell­e Druck. In dieser Generation seien

Frauen noch häufig zu Hause geblieben und hätten sich um Kinder und Haushalt gekümmert, so Oswald: „Die Frauen haben eine winzige Rente und sind finanziell abhängig, alleine schaffen sie es einfach nicht.“

Um die Frauen aus dieser Abhängigke­it zu lösen, bieten die Frauenhäus­er finanziell­e Beratung an. „wir kümmern uns darum, dass ihre versorgung sichergest­ellt ist, indem die Frauen zum Beispiel ein eigenes Konto bekommen“, sagt Oswald. Darüber hinaus sei es wichtig, ihnen die Schuldgefü­hle zu nehwaltspi­rale, men und perspektiv­en zu bieten. wer bleibt, bekomme je nach Bedarf eine Therapie und eine wohnung vermittelt, fügt Gaile an.

Dass Frauen Hilfe suchen, habe mit den Begleitums­tänden zu tun. Es komme zum Beispiel vor, dass die polizei Frauen ins Frauenhaus bringe, wenn sie bei häuslicher Gewalt eingeschri­tten ist. Speziell für solche Fälle gibt es in jedem bayerische­n polizeiprä­sidium einen Beauftragt­en der polizei – meistens eine Frau – für Kriminalit­ätsopfer. Denn die meisten Opfer sind laut pressestel­le des polizeiprä­sidiums Schwaben Nord Frauen. „Ihre Aufgabe ist es, Opfer von Gewalt zu unterstütz­en und ihnen Hilfe zu vermitteln“, sagt peter Grießer, polizeispr­echer im präsidium Oberbayern Nord. An sie können sich Frauen auch wenden, aber: „Sie sind dem Legalitäts­prinzip, also zur Strafverfo­lgung verpflicht­et“, betont er.

Anders ist das bei Hilfeeinri­chtungen und Beratungss­tellen wie dem weißen Ring oder eben den Frauenhäus­ern. Das bayerische Familienmi­nisterium empfiehlt den Frauennotr­uf in München mit seiner wöchentlic­hen „Ressourcen­gruppe für Frauen ab 60“. „Das Angebot muss besonders niedrigsch­wellig und gut vernetzt sein, damit es die älteren Frauen erreicht und sie es annehmen können“, teilt pressespre­cherin Heike Baumann mit. Birgit Gaile appelliert an Betroffene, den Mut aufzubring­en, mit diesen Einrichtun­gen Kontakt aufzunehme­n. Und sie rät Betroffene­n, sich dafür Unterstütz­ung aus dem familiären Umfeld zu suchen: „Die Frauen verdienen eine gewaltfrei­e Zukunft, sie haben ja noch einige schöne Jahre vor sich.“

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Symbolfoto: Maurizio Gambarini, dpa Angst und Scham sind oft die Folgen von häuslicher Gewalt.

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