In der Gewaltspirale
Kriminalität Wenn Männer ihre Ehefrauen schlagen oder ihnen psychisch zusetzen, wissen viele der Betroffenen keinen Ausweg. Das gilt offenbar besonders für ältere Frauen. Wo sie Hilfe erhalten
Augsburg Es scheint eine ausweglose Situation: Seit Jahrzehnten ist man verheiratet, und die Drohungen und Ohrfeigen des Ehemannes werden immer schlimmer. Aber die Möglichkeiten, ihnen zu entkommen, scheinen begrenzt. Erfahren Frauen Gewalt in der partnerschaft, ist das belastend – besonders belastend ist es für ältere Frauen.
Statistisch sind nur wenige Fälle verzeichnet. Die Dunkelziffer sei jedoch sehr viel höher, betont Birgit Gaile, Leiterin des Augsburger Frauenhauses: „Im Alter spitzt sich die Gewalt oft zu, wenn Männer in die Rente kommen und mehr Zeit zu Hause verbringen oder weil Krankheiten die persönlichkeit verändern.“Aber warum suchen ältere Frauen offenbar so selten Hilfe auf? „In diesem Alter sind Scham und die Angst vor der Einsamkeit groß“, sagt Gaile. Das Frauenhaus Augsburg habe im vergangenen Jahr vier ältere Frauen aufgenommen. Ihnen habe insbesondere psychische Gewalt zu schaffen gemacht. „Da geht es um massive Kontrolle. Sie dürfen zum Beispiel das Haus nicht verlassen. Ihre Ehemänner üben großen Druck auf sie aus“, sagt sie. Auch die Finanzen regele meistens der Mann. Beides sei bei dieser Generation ausgeprägter als bei nachfolgenden. Die Folge: Isolation.
Je länger sich die Angestellten des Frauenhauses mit den Frauen unterhalten, desto häufiger reden diese auch über sexuelle Bedrohung oder Übergriffe, erzählt Gaile. Doch Hilfe suchen sie sich erst spät – oder gar nicht. „Sie meinen, sie müssten das in der Ehe aushalten, denn sie haben lebenslange Treue geschworen“, er-
läutert die Leiterin des Augsburger Frauenhauses. Ein weiteres Hindernis könne sein, dass sich die Frauen im Frauenhaus meistens ein Zimmer teilen müssen. „Damit tun sich die älteren schwer, sie wollen ihre privatsphäre“, sagt Gaile. Erst seit kurzem habe das Augsburger Frauenhaus eine Apartmentstruktur, das könne die Hemmschwelle senken.
Ähnliche Hindernisse sieht auch Susanne Oswald, stellvertretende Leiterin des Frauenhauses Kaufbeuren-Ostallgäu: „Diese Frauen stecken schon so lange in der Ge-
dass es schwer ist, die Kraft für einen Neustart zu finden.“Die Einrichtung in Kaufbeuren suchen jährlich zwei bis drei Frauen über 60 wegen häuslicher Gewalt auf, meistens seien sie Deutsche, sagt Oswald: „Sie bleiben maximal eine woche.“Die Kinder seien ein Faktor, der sie am Bleiben hindere.
viele Töchter und Söhne hätten offenbar auch kein verständnis für eine Trennung der Eltern, sagt die stellvertretende Frauenhausleiterin. Ein Grund dafür sei der finanzielle Druck. In dieser Generation seien
Frauen noch häufig zu Hause geblieben und hätten sich um Kinder und Haushalt gekümmert, so Oswald: „Die Frauen haben eine winzige Rente und sind finanziell abhängig, alleine schaffen sie es einfach nicht.“
Um die Frauen aus dieser Abhängigkeit zu lösen, bieten die Frauenhäuser finanzielle Beratung an. „wir kümmern uns darum, dass ihre versorgung sichergestellt ist, indem die Frauen zum Beispiel ein eigenes Konto bekommen“, sagt Oswald. Darüber hinaus sei es wichtig, ihnen die Schuldgefühle zu nehwaltspirale, men und perspektiven zu bieten. wer bleibt, bekomme je nach Bedarf eine Therapie und eine wohnung vermittelt, fügt Gaile an.
Dass Frauen Hilfe suchen, habe mit den Begleitumständen zu tun. Es komme zum Beispiel vor, dass die polizei Frauen ins Frauenhaus bringe, wenn sie bei häuslicher Gewalt eingeschritten ist. Speziell für solche Fälle gibt es in jedem bayerischen polizeipräsidium einen Beauftragten der polizei – meistens eine Frau – für Kriminalitätsopfer. Denn die meisten Opfer sind laut pressestelle des polizeipräsidiums Schwaben Nord Frauen. „Ihre Aufgabe ist es, Opfer von Gewalt zu unterstützen und ihnen Hilfe zu vermitteln“, sagt peter Grießer, polizeisprecher im präsidium Oberbayern Nord. An sie können sich Frauen auch wenden, aber: „Sie sind dem Legalitätsprinzip, also zur Strafverfolgung verpflichtet“, betont er.
Anders ist das bei Hilfeeinrichtungen und Beratungsstellen wie dem weißen Ring oder eben den Frauenhäusern. Das bayerische Familienministerium empfiehlt den Frauennotruf in München mit seiner wöchentlichen „Ressourcengruppe für Frauen ab 60“. „Das Angebot muss besonders niedrigschwellig und gut vernetzt sein, damit es die älteren Frauen erreicht und sie es annehmen können“, teilt pressesprecherin Heike Baumann mit. Birgit Gaile appelliert an Betroffene, den Mut aufzubringen, mit diesen Einrichtungen Kontakt aufzunehmen. Und sie rät Betroffenen, sich dafür Unterstützung aus dem familiären Umfeld zu suchen: „Die Frauen verdienen eine gewaltfreie Zukunft, sie haben ja noch einige schöne Jahre vor sich.“