Mindelheimer Zeitung

Jonglieren mit den großen Lebensfrag­en

Titel-Thema Einfach nur „Happy“: Im Buchhandel boomt das Segment der Glücksratg­eber

- VON FELICITAS LACHMAYR

Jeder wünscht es sich, am liebsten ein Leben lang. Doch glücklich zu sein, scheint ein schwer zu erreichend­er Zustand. Nicht umsonst stapeln sich in den Buchläden Ratgeber, die die Suche nach dem Glück erleichter­n sollen. Die Titel klingen vielverspr­echend: „So geht glücklich sein“, „Glück ist, was du daraus machst“, „Glück ist kein Zufall“oder einfach nur „Happy“. Die einen werben für ein glückerfül­ltes Leben im Alter, andere sehen Glück als Herausford­erung oder nähern sich ihm ganz analytisch. Die Bandbreite reicht von spirituell­en Varianten über pragmatisc­he und medizinisc­he Anleitunge­n bis hin zu ironischen Annäherung­sversuchen.

Neu sind solche Anleitunge­n für ein vermeintli­ch geglücktes Leben nicht. Schon die Philosophe­n der Antike suchten nach einer Antwort auf die Frage, was Glück eigentlich ist. Aristotele­s verband es mit einer sinnerfüll­ten Tätigkeit. Epikur sah die Voraussetz­ung für Glück in der Befreiung von Leid und Schmerz. Mit der Entwicklun­g des Buchdrucks wuchs der Markt. Das Genre der Ratgeberli­teratur verbreitet­e sich. War die Suche nach dem Glück damals häufig mit einer christlich­en Lebensweis­e verbunden, suchten die Menschen mit dem Beginn der Moderne ihr Glück immer mehr in Reichtum und Erfolg.

In den 1980er Jahren boomte der Markt der Glücksratg­eber. Einen ironischen Gegenentwu­rf lieferte der österreich­ische Psychologe Paul Watzlawick 1983 mit seiner „Anleitung zum Unglücklic­hsein“. Statt Tipps für ein glückliche­s Leben zu geben, beschreibt er, wie man sich den Alltag am effektivst­en zur Hölle macht. Bis heute sind Glücksratg­eber ein Riesengesc­häft. Etwa 13 Millionen Euro Umsatz jährlich entfallen nur auf Bücher, die explizit das Wort Glück im Titel führen, schätzt Dagmar Becker-Goethel vom Coppenrath Verlag. Das Thema sei ein Dauerbrenn­er auf dem Buchmarkt. Wie groß der Anteil an Glücksratg­ebern ist, lässt sich nicht genau sagen. Nach Angaben des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s machen Ratgeber 16,7 Prozent des gesamten Buchmarkts aus. 21,9 Prozent davon entfallen auf Ratgeber aus dem Bereich „Lebenshilf­e und Alltag“. Besonders beliebt sind Bücher, die „mit den großen Fragen des Lebens jonglieren, den Fragen nach Glück und Harmonie, Sinn und Verstand“, heißt es.

So unterschie­dlich sie sich dem Thema Glück nähern, eines ist vielen Ratgebern gemein. Sie gehen davon aus, dass es dem Leser an Glück mangelt, und geben vor, diese Lücke mit konkreten Gegenmaßna­hmen füllen zu können. Vorausgese­tzt, der Leser ist bereit, pausenlos an seinem Glück und sich selbst zu arbeiten. „Gib immer dein Bestes“, fordern die einen, „setzt dich fünf Minuten zum Meditieren hin“die anderen. Von einer „magischen Leiter zum Erfolg“ist die Rede. Die Soziologin Stephanie Duttweiler hat hunderte solcher Ratgeber verglichen und festgestel­lt: „Glück wird als etwas ausgewiese­n, das zwar nicht selbstvers­tändlich, aber für jeden, zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Tätigkeit möglich ist – unabhängig von der Existenz oder Nichtexist­enz von Ressourcen, Privilegie­n oder Handicaps der Einzelnen.“Jeder kann demnach glücklich werden, solange der Wille zur Selbstopti­mierung da ist. Nach Meinung der Expertin deckt sich diese fast unternehme­rische Beziehung zu sich selbst mit neoliberal­en Entwicklun­gen unserer Zeit. „Wenn Sozialleis­tungen abgebaut werden, ist es nur vernünftig, dass Glücksratg­eber dazu anleiten, wie man selbst über sein Leben bestimmen kann“, sagte Duttweiler in einem Interview.

Doch die Voraussetz­ungen sind nicht für alle Menschen gleich. Wer einen vermeintli­ch wirksamen Ratgeber liest und nicht glückliche­r ist als zuvor, kann sich nur selbst die Schuld für sein Scheitern geben. Der Autor hat es geschafft, wieso kann ich es dann nicht? So manch ein Satz nimmt die Angst vor dem Scheitern schon vorweg: „Wenn Sie nicht durch eine angenehme Persönlich­keit Anziehungs­kraft auf andere Menschen ausüben, könnte es im schlimmste­n Fall passieren, dass Sie an ihrem Lebenswerk scheitern.“

Mit solchen Aussagen können die Bücher genau das Gegenteil dessen bewirken, was sie verspreche­n. Machen Glücksratg­eber also in Wirklichke­it eher unglücklic­h? Nicht unbedingt. Sie erinnern daran, dass man seine Lebenssitu­ation verbessern kann. Das kann motivieren. Doch die meisten Titel verspreche­n mehr, als sie halten. Denn gäbe es einen Ratgeber, der die Leser wirklich glücklich macht, bräuchte es all die anderen nicht mehr.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany