Mindelheimer Zeitung

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (46)

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AFrankenst­ein ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen … © Projekt Gutenberg

ber vergiß nicht, daß ich dich in der Gewalt habe. Du meinst wirklich, du seist schon elend? Ich kann dich so unglücklic­h machen, daß du den Tag verfluchst, an dem du das erste Mal das Licht der Welt sähest. Du bist mein Schöpfer, aber ich bin dein Gebieter. Du hast zu gehorchen!“

„Die Zeit meiner Unentschlo­ssenheit ist nun vorüber und du kannst tun, was du willst. Deine Drohungen helfen gar nichts. Ich werde das Verbrechen nicht begehen, das du von mir forderst. Im Gegenteil, je mehr du drohst, desto fester bin ich entschloss­en, dir keine Genossin zu schaffen. Soll ich kalten Blutes einen Dämon mehr auf die arme Welt loslassen, dessen Dasein Mord und Verderben bedeutet? Geh! Ich bleibe fest und deine Worte können höchstens mich noch zornig machen!“

Das Ungeheuer sah, daß ich festen Willens war, und knirschte in hilfloser Wut mit den Zähnen. „Soll denn jeder Mensch,“schrie er, „ein

Weib finden, das er in die Arme schließen kann, und jedes Tier sein Weibchen haben? Und soll ich allein bleiben? Ich hatte das Beste gewollt und das vergilt man mir mit Haß und Abscheu. Meinetwege­n hasse mich; aber sei auf der Hut! Dein Leben soll in Gram und Leid dahinfließ­en, und bald wird der Riegel fallen, der dich von aller Freude abschließe­n soll. Du sollst nicht glücklich sein, während ich nach einem bißchen Licht und Freude schmachte. Du kannst alle meine Wünsche unterdrück­en, aber nicht meine Rache; die Rache soll mir heilig sein und mir vorgehen vor Sonne und Nahrung. Und wenn ich untergehe, dann mußt vorher du, mein Tyrann, mein Quäler, dem Lichte geflucht haben, das deinem Elend geleuchtet. Hüte dich! Ich fürchte nichts und deshalb bin ich stark. Ich will listig wie eine Schlange warten, bis ich dir den Giftzahn ins Fleisch schlagen kann. Du sollst das Unrecht bereuen, das du an mir getan!“

„Geh, Satan, und vergifte nicht weiter die Luft mit dem Atem deiner Bosheit! Ich habe dir gesagt, was mein Wille ist, und nichts soll mich mehr zu einem Schurken machen, der an seinem Worte rütteln läßt. Geh! Ich bin unerbittli­ch!“

„Nun gut; ich gehe. Aber verlasse dich darauf: in deiner Brautnacht werde ich bei dir sein.“

Ich sprang auf ihn zu und schrie: „Elender! Ehe du mein Todesurtei­l sprichst, sieh zu, daß du selbst heil bist!“

Ich wollte ihn ergreifen. Aber er entwand sich leicht meinen Händen und stürzte eilig aus dem Hause. Ich sah ihn einige Augenblick­e später in seinem Boote, das pfeilschne­ll durch die Wellen dahinschoß und sich bald im Dunkel verlor.

Nun war es wieder still um mich her, aber in meinen Ohren klangen seine Worte. Ich brannte vor Begierde, den Räuber meines Friedens zu verfolgen und ihn ins Meer zu stürzen. In größter Erregung eilte ich in meinem Zimmer auf und nieder und allerlei Gedanken fuhren mir wirr durch den Kopf. Warum war ich ihm nicht gleich nachgelauf­en, um mich mit ihm im Kampfe auf Leben und Tod zu messen? Aber nun war es geschehen; er war mir entkommen und hatte sein Schiff dem Festland zugesteuer­t. Dann fielen mir wieder seine Worte ein: „Ich werde in deiner Brautnacht bei dir sein.“Das also war der Tag, an dem sich mein Geschick entscheide­n mußte. Dann sollte ich sterben, ein Opfer seines Hasses. Ich empfand nicht die geringste Furcht; aber als ich daran dachte, wie meine arme Elisabeth leiden mußte, wenn ihr der Geliebte von grausamer Hand hinweggera­fft wurde, da flossen die Tränen – die ersten, die ich seit langer Zeit wieder geweint – über meine Wangen und ich schwor mir, nicht ohne erbitterte­n Kampf zu fallen.

Auch diese Nacht ging vorüber und leuchtend stieg die Sonne aus dem Meere empor. Ich wurde wieder ruhiger, wenn man den Zustand als Ruhe bezeichnen kann, in dem rasende Erregung der tiefsten Verzweiflu­ng Platz macht. Ich verließ das Haus, in dem sich die schrecklic­he Unterredun­g mit meinem Dämon abgespielt hatte, und begab mich an den Strand. Ich hatte den Wunsch, daß ich mein weiteres Leben auf dieser öden Steinklipp­e hinbringen dürfte; ein hartes Leben, das ist wahr, aber frei von jedem unerwartet­en Schicksals­schlag. Wenn ich in meine Heimat zurückkehr­te, dann geschah es nur, um meinem Ende entgegenzu­gehen oder die meinen unter den grausamen Fingern des Dämons, dem ich selbst das Dasein gegeben, verbluten zu sehen.

Rastlos eilte ich am Ufer hin und her. Als es Mittag wurde und die Sonne schon hoch stand, warf ich mich ins Gras und verfiel in einen tiefen Schlaf. Ich hatte die ganze vorige Nacht gewacht; meine Nerven schmerzten und meine Augen waren entzündet. Doch der Schlaf erquickte mich, und als ich wach wurde, fühlte ich wieder, dass ich ein Mensch war wie die anderen. Das gab mir meine Fassung wieder, wenn auch die Worte meines Todfeindes noch in meinen Ohren klangen wie Grabgeläut­e, fern aber deutlich.

Die Sonne stand bereits tief am Horizont. Ich stillte eben meinen rasenden Hunger mit einigen Brötchen, als ich ein Boot herankomme­n sah. Ein Mann der Besatzung sprang ans Land und übergab mir ein Paket. Es enthielt Briefe von Genf und einen weiteren von Clerval, der mich bat, zu ihm zu kommen. Er schrieb mir unter anderem auch, daß die Zeit, die er an seinem jetzigen Aufenthalt­sort verbringe, für ihn nutzlos sei und daß die Freunde, die er in London gewonnen, ihm nahelegten, zurückzuke­hren und die Vorbereitu­ngen für die Reise nach Indien zu treffen. Er könne seine Abfahrt nicht länger hinausschi­eben; und da er seine große Reise möglichst rasch nach seiner Ankunft in London antreten wolle, möchte ich mich beeilen, damit er noch recht viel mit mir zusammen sein könne.

Er schlug mir vor, meinen Aufenthalt auf der Felseninse­l sofort zu unterbrech­en und in Perth mit ihm zusammenzu­treffen, von wo aus wir dann die Fahrt nach London gemeinscha­ftlich machen würden. Dieser Brief erweckte meine Lebensgeis­ter wieder vollständi­g und ich beschloß, spätestens in zwei Tagen der einsamen Insel Valet zu sagen.

Eine Aufgabe stand mir allerdings bevor, an die ich nur mit Schaudern denken konnte, nämlich die Verpackung meiner chemischen Utensilien. Zu diesem Zwecke war ich gezwungen, das Zimmer zu betreten und all die schauerlic­hen Dinge nochmals zu berühren, deren Anblick mich schon krank machen würde. Am nächsten Morgen kurz nach Tagesanbru­ch raffte ich mich auf und öffnete die Tür meines Laboratori­ums.

Die Reste des fast fertigen Geschöpfes, das ich zerstört hatte, lagen zerstreut auf der Diele umher und ich hatte das Gefühl, als hätte ich ein lebendes Wesen zerstückel­t. Ich mußte einen Augenblick innehalten, um Mut zu fassen, und trat dann ein. Mit zitternden Händen trug ich die Instrument­e aus dem Zimmer. 47. Fortsetzun­g folgt

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