Mindelheimer Zeitung

Eine mutige Aussage

- VON LEONIE KÜTHMANN leonie.kuethmann@augsburger-allgemeine.de

Soll ich wirklich Anzeige erstatten? Was kommt auf mich zu? Was werden andere sagen? Die junge Frau, die fast vergewalti­gt worden wäre, hat vor dem Memminger Amtsgerich­t gesagt, dass sie mit sich gerungen habe, ob sie den 28-Jährigen anzeigen soll. Dass sie sich diese Fragen gestellt hat, ist verständli­ch: Noch immer gibt es Menschen, die bei solchen Fällen sagen: „Es ist ja nichts passiert.“„Hätte sie halt nicht so etwas Aufreizend­es angehabt.“„Die erfindet das doch nur.“Aussagen, die bestimmt auch die 27-Jährige irgendwann mal gehört hat – wenn auch vielleicht zu anderen Fällen.

Dass sie sich trotzdem überwunden hat und vor Gericht ausgesagt hat, ist bewunderns­wert und mutig. Zum einen, weil viel dazugehört, Fremden von so einer intimen Erfahrung zu berichten. Aber auch, weil es wichtig ist. Mit ihrer Anzeige hat die 27-Jährige ein Exempel statuiert: Auch wenn die Tat als „versuchte Vergewalti­gung“vor Gericht behandelt wird, ist sie ein gravierend­er Eingriff in die Intimsphär­e eines Menschen, der Spuren hinterläss­t. Es ist definitiv etwas passiert.

Die Kleidung der jungen Frau war vor Gericht kein Thema – und das ist gut so. Denn egal, was sie getragen hat: Nichts gibt einem Mann das Recht, sie in dieser Weise zu behandeln. Schon gar nicht, wenn sie mehrfach klarstellt, dass sie das nicht will.

Die Glaubwürdi­gkeit – ein wichtiger Aspekt, mit dem sich Gerichte bei solchen Fällen immer wieder auseinande­rsetzen müssen. Dass man die Frage „Stimmt es oder stimmt es nicht?“immer wieder bis aufs kleinste Detail prüfen muss, liegt an zwei Dingen: Erstens daran, dass es in solch intimen Situatione­n oft keine Zeugen gibt. Aber auch daran, dass es leider auch Frauen gibt, die Vergewalti­gungsgesch­ichten erfinden. Sie schaden damit nicht nur den Männern, die sie beschuldig­en, sondern noch viel mehr allen Frauen, die tatsächlic­h von solchen Taten betroffen sind.

Jede Frau, die so etwas erlebt hat, ist mitnichten schuld an der Tat, noch sollte sie ihr Leben lang stigmatisi­ert werden. Wenn sie die Kraft findet, Anzeige zu erstatten, und die Tat nicht verschweig­t, ist sie eine Wegbereite­rin für eine Gesellscha­ft, in der keine Frau vor Gericht mehr als Opfer aussagen muss mit Sätzen wie: „Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas passiert.“

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