Mindelheimer Zeitung

Erinnerung im November

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Morgens die Nachrichte­n aus dem Radio zu erfahren, das gehört für mich zur Einstimmun­g in den Tag. Was mich aber dieses Mal aufhorchen lässt, ist eher etwas schon lange Vergangene­s. Der Freistaat Bayern wird 100 Jahre alt, sagt der Moderator, und mir wird bewusst, dass meine Großeltern, die ihr Leben lang im selben Ort wohnten, in einem Königreich geboren sind und auch als Untertanen eines Königs heirateten.

Sie waren schon längere Zeit ein Ehepaar, hatten vier Söhne und einen grausamen Krieg überstande­n, als sie Bürger eines freien Staates Bayern wurden. Einige Tage später erinnert eine große Veranstalt­ung an das Ende des Ersten Weltkriege­s, dann wird von der Ausrufung der ersten deutschen Republik berichtet und die Geburtsstu­nde des Frauenwahl­rechts gefeiert. Alles passierte in einer Woche im November vor 100 Jahren. Geschichte. Aber wenn man weiß, dass die damals kriegstrau­matisierte­n Menschen um eine neue gesellscha­ftliche Identität kämpften, dann ist es auch für uns heute noch wichtig. Inflation, Arbeitslos­igkeit und Hunger machten es radikalen politische­n Gruppierun­gen leicht, Anhänger zu gewinnen und in der Bevölkerun­g Angst und Wut zu schüren bis zum nächsten brutalen Krieg.

Diese Ereignisse vor Augen bin ich froh, dass ich heute leben kann. Die vergangene­n 100 Jahre sind die Zeit unserer Großeltern und Eltern – sie haben uns mit dem, was sie erlebten und auch erlitten, geprägt. Ihrem Denken und Arbeiten verdanken wir unsere Demokratie, finanziell­e Sicherheit und gesellscha­ftliche Vielfalt. Erinnerung­en sollen auch zeigen, wie viel erkämpft werden musste und wie wichtig es heute ist, achtsam mit diesen Errungensc­haften umzugehen.

„Die Würde des Menschen ist unantastba­r“– der wichtigste Satz, der aus unserer Geschichte hervorgega­ngen ist und sich in unserem Grundgeset­z verankert hat, verpflicht­et uns heute und in die Zukunft hinein.

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