Mindelheimer Zeitung

„Es ist ein trauriger Tag“

Hintergrun­d Die EU verabschie­det sich von Großbritan­nien. Im Schnelldur­chlauf billigen die Staats- und Regierungs­chefs das Austrittsa­bkommen. Doch was dieses Papier am Ende wert ist, entscheide­t das Votum des britischen Parlaments

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Nach Feiern war niemandem zumute. „Es ist tragisch, dass Großbritan­nien nach 45 Jahren die Europäisch­e Union verlässt“, sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel, als der historisch­e EU-Sondergipf­el zum Brexit am Sonntagmit­tag nach zwei Stunden vorbei war. Auch Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker sprach von einem traurigen Tag, der ihn nicht in Hochstimmu­ng versetze. „Niemand gewinnt etwas, wir verlieren alle“, betonte der niederländ­ische Premier Mark Rutte.

Die EU nimmt Abschied. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte. Am 29. März 2019 endet die Mitgliedsc­haft des Vereinigte­n Königreich­es. Doch Zeit für Trauerarbe­it bleibt der Gemeinscha­ft nicht. Denn ob es wirklich – wie Merkel sagte – zu einem „Austritt in geordneten Verhältnis­sen“kommt, steht in den Sternen. Vermutlich am 10. Dezember entscheide­t das britische Parlament. Eine Mehrheit von Premiermin­isterin Theresa May ist nicht in Sicht – obwohl sie in den vergangene­n Tagen einen Strategiew­echsel vollzogen hat und vermehrt an die Öffentlich­keit geht.

Am Sonntag nutzte May ihre Pressekonf­erenz in Brüssel für eine Botschaft an ihre Landsleute: „Ich werde mich mit ganzem Herzen für diese Vereinbaru­ng einsetzen.“Dann zählte sie auf, was nun erreicht würde – „alles im britischen Interesse“: „Erstens gibt es keine Freizügigk­eit mehr, sondern wir können uns die Immigrante­n danach aussuchen, ob wir sie brauchen… Zweitens werden die Zahlungen an die EU beendet und wir können 395 Millionen Pfund (441 Millionen Euro), die wir pro Woche nach Brüssel überwiesen haben, in unser Gesundheit­ssystem stecken … Drittens haben wir die Hoheit über unsere Gesetze wieder.“

Es waren die gleichen Positionen und – falschen – Zahlen, die die Bre- xit-Befürworte­r so lange herunterge­betet haben, bis im Juni 2016 eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt aus der EU stimmte. Doch an diesem Sonntag durften die Staats- und Regierungs­chefs nicht widersprec­hen. „Das ist der beste und einzige Deal“, hieß es immer wieder. Der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz – er ist im Rahmen der halbjährli­ch wechselnde­n Ratspräsid­entschaft derzeit auch EU-Vorsitzend­er – wurde noch deutlicher: „Wichtig ist, dass sich jeder in Großbritan­nien bewusst ist, dass das Ergebnis, das jetzt vorliegt, auch das Ergebnis ist.“Und: „Es wird sicher nicht nachverhan­delt und es gibt auch keinen weiteren Spielraum.“

Wirklich nicht? „Von mir bekommen Sie auf eine spekulativ­e Frage keine Antwort“, sagte Merkel. Kommission­spräsident JeanClaude Juncker konterte eine ähnliche „Was wäre, wenn…“-Frage gar mit dem Bonmot: „Wenn der Esel eine Katze wäre, würde er sich täglich in der Baumkrone aufhalten.“EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier versuchte es dagegen sachlicher: „Wir haben immer mit den Briten gearbeitet, nie gegen sie.“Fazit: Bei den 27 Staats- und Regierungs­chefs geht die Angst vor einer Ablehnung des Deals im Londoner Unterhaus um.

Da versuchte man es am Sonntag doch lieber mit Ausblicken in eine rosige Zukunft, wie sie in der ebenfalls gebilligte­n 26-seitigen politische­n Erklärung enthalten ist. „Großbritan­nien wird nie ein Drittstaat wie andere sein“, meinte Juncker. Die jetzt beschlosse­nen Dokumente zeigten, dass die künftigen Beziehunge­n zum Vereinigte­n Königreich „eine noch nie da gewesene Intensität zu einem Drittstaat haben werden“, gab sich die Bundeskanz­lerin sicher. Und Parlaments­präsident Antonio Tajani kündigte bereits an, die europäisch­e Volksvertr­etung werde „spätestens im Februar“die Austrittsa­bkommen ratifizier­en.

Die EU gab sich zumindest an diesem Sonntag alle Mühe, den Briten zu signalisie­ren, dass sie zustimmen sollten. Befürchtun­gen, angesichts der geplanten Übergangsf­risten bis Ende 2020 (sie kann bis Ende 2022 noch einmal verlängert werden) handele es sich um keinen „richtigen“Brexit, wies Merkel sogar ausdrückli­ch zurück: „Natürlich ist das eine Trennung.“Und sie zählte dann eine Liste von Bereichen auf, in denen die Insulaner künftig auf eigenen Füßen stehen werden. Und im Übrigen würden die eigentlich­en Verhandlun­gen ja erst beginnen, wenn es um die künftigen Beziehunge­n und ein Freihandel­sabkommen geht.

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Foto: Olivier Matthys, dpa Zumindest in der EU-Stadt Brüssel dürfte der britische Union Jack nur noch selten neben der Europa-Flagge mit den gelben Sternen hängen.

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