Überraschung im Steuerskandal-Prozess
Justiz Gibt es jetzt doch ein schnelles Ende? Staatsanwalt bietet eine Strafe von „höchstens einem Jahr“an. Jetzt müssen sich die Prozessbeteiligten überlegen, ob sie auf diesen Deal eingehen
Türkheim/Memmingen Mit einer überraschenden Wende ging gestern der vierte Verhandlungstag im Prozess um den sogenannten „Türkheimer Steuerskandal“vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Memmingen zu Ende. Der Staatsanwalt bot einen „Deal“an, der jetzt bis zum nächsten Termin geprüft werden soll.
Die Verteidigung verzichtete zunächst auf weitere Beweisanträge und Zeugenaussagen – und das könnte den Prozessbeteiligten eine lange – vielleicht sogar jahrelange – „Hängepartie“in diesem Verfahren ersparen. Die hätte nämlich gedroht, wenn doch noch jeder einzelne der nicht erlassenen Steuerbescheide ganz genau unter die Lupe genommen worden wäre.
Wie berichtet, hatte der Angeklagte in den Jahren von 2001 bis 2015 gut 1000 Steuerbescheide offenbar einfach unter den Tisch fallen lassen. Deshalb muss sich der inzwischen frühpensionierte ehemalige Leiter des VG-Steueramtes vor Gericht verantworten, die Staatsanwaltschaft wirft ihm Untreue vor, weil er aus Sicht der Anklage dadurch einen Schaden von gut drei Millionen Euro angerichtet habe.
Nachdem eine Vielzahl der Fälle bereits verjährt war, als der Steuerskandal im Jahr 2016 öffentlich wurde, sei ein Gesamtschaden von rund 1,4 Millionen Euro entstanden, hat die Staatsanwaltschaft Memmingen zusammengerechnet. Dies müsse der Angeklagte auch gewusst haben, zumindest habe er den Schaden billigend in Kauf genommen, so Staatsanwalt Sebastian Murer.
Murer war es dann auch, der gestern für eine überraschende Wende im Prozess sorgte: Aus seiner Sicht zeichne sich doch längst ab, dass sich „relativ viel Verständnis für den Angeklagten“ergeben habe, und wenn auch die Verteidigung „die Signale erkannt“habe, die Murer beim Gericht und auch bei sich selbst bemerkt hatte, dann stehe doch einer schnellen Abwicklung des ansonsten landwierigen Verfahrens nicht im Wege, warf Murer mal so in die Runde.
Voraussetzung sei dann aber schon, dass die Verteidigung nicht länger auf einen Freispruch ihres Mandanten abziele und ihre bisherige Strategie entsprechend ändere: „Gibt es eine Möglichkeit, eine angemessene Strafe zu finden?“fragte Murer – und erntete bei den Prozessbeteiligten erleichterte Reaktionen. Bei einem sogenannten „Rechtsgespräch“steckten die Beteiligten dann hinter verschlossenen Türen die Köpfe zusammen – und haben offenbar diese Möglichkeit auch gefunden. Letztlich habe die Beweisaufnahme gezeigt, dass der Angeklagte keineswegs aus „eigenem wirtschaftlichen Nutzen“gehandelt habe, so Murer. Auslöser war wohl vielmehr die psychische Belastung des Beamten, die mit den Jahren immer mehr zugenommen habe, ohne dass dies von seinen Kollegen bemerkt worden war.
Zwar habe der Beamte so einen durchaus „erheblichen Schaden“auf kommunaler Seite angerichtet, so Staatsanwalt Sebastian Murer. Dennoch sei aus seiner Sicht eine Verurteilung mit einer möglichen Strafe von „unter einem Jahr“Haft möglich, die dann ohne weiteres zur Bewährung ausgesetzt werden könne: „Das bringt eine Entscheidung jetzt, und nicht erst nach Jahren“machte Murer der Verteidigung seinen Vorschlag schmackhaft. Dies schien so angekommen zu sein, auch wenn sich die beiden Rechtsanwälte des Angeklagten zunächst nicht dazu äußerten. Dies wird dann aber wohl beim nächsten Prozesstermin in Memmingen am kommenden Montag, 3. Dezember, um 9.30 Uhr der Fall sein.
Und dann könnte der mit Spannung erwartete Prozess schneller zu Ende sein, als dies abzusehen war: Nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung kann das Schöffengericht ein Urteil fällen. Zuvor hat auch der Angeklagte noch Gelegenheit, sich erstmals zu den Vorwürfen zu äußern: Wie bei jedem Prozess hat er das letzte Wort. Ob er diese Gelegenheit nutzt, ist noch offen, bislang hat er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
Eine lange „Hängepartie“hätte gedroht