Mindelheimer Zeitung

Staatsfein­d Nummer 1

George Soros ist einer der reichsten Menschen, aber er will mehr sein: ein politische­r Missionar. Trotzdem – oder deshalb – hassen ihn alle: Trump, Orban, Putin, Erdogan, sogar Facebook. Er erhält Bombendroh­ungen und wird als Jude verhöhnt. Was macht das

- VON GREGOR PETER SCHMITZ

Der Mann, über den gerade so viele laut schimpfen, spricht sehr leise. So leise, dass man sich zu ihm vorbeugen muss. Selbst dann ist er nicht leicht zu verstehen, weil er auch nach Jahrzehnte­n in den USA mit starkem Akzent spricht, einem ungarische­n. Manchmal streut er sogar deutsche Wörter ein, Chuzpe etwa, aus dem Jiddischen. Sich was trauen, frech sein, auch mal unverschäm­t, heißt das frei übersetzt.

Hat der Mann so ein Wort dem deutschen Gesprächsp­artner serviert, grinst er verschmitz­t wie ein zufriedene­r Großvater, einer jener, denen mal ein Knopf am Jackett fehlt. So harmlos also, bis er einen leisen Satz vollendet und einem bewusst wird, was der alte Mann gerade gesagt hat. „Ich möchte die Welt umstürzen“, lautet so ein Satz. Oder auch, dass ihm schon in jungen Jahren klar geworden sei, er müsse sich an Menschen wie Leonardo da Vinci messen oder Albert Einstein. Menschen, die halt was verändern.

Und dann weiß man plötzlich wieder, dass eben nicht Opa von nebenan neben einem steht, sondern ein Weltenverä­nderer, vielleicht gar ein Weltenzers­törer.

Eine Legende der Spekulante­nzunft, aber auch eine Legende politische­n Aktivismus, so sehr, dass er in vielen Teilen der Welt nur noch einen Namen braucht, bei ihm halt: Soros. George Soros, so der komplette Name, 88, Beruf: Spekulant. Spekulant ist ein Wort, das er stolz hört. „Speculare heißt beobachten, was soll daran schlimm sein?“

Viele finden ihn aber trotzdem ganz schlimm. Man muss nur die Schlagzeil­en der vergangene­n Wochen anschauen, um zu begreifen, wie sehr der etwa 25-fache Milliardär ins globale politische Kreuzfeuer gerückt ist. Vor der US-Wahl wurden von einem Irren Rohrbomben verschickt, an die Clintons, die Bidens, aber auch an Soros’ Haus im New Yorker Vorort Westcheste­r.

Donald Trump benutzt den Namen „Soros“mittlerwei­le bei fast jedem Wahlkampfa­uftritt, und dann jaulen die Massen auf, als spräche er vom Satan. In Ungarn hat der Autokrat Viktor Orbán ein „Stop Soros“-Gesetz eingebrach­t. Auf Plakaten dazu ist ein lächelnder Soros zu sehen, mit dem Satz: „Gönnt George Soros nicht das letzte Lachen.“Der lachende Jude, solche Bilder waren bei den Nazis beliebt.

Russlands Präsident Wladimir Putin wettert gegen Soros öffentlich, in Großbritan­nien – einer seiner Wohnsitze – unterstell­t man ihm Spekulatio­n auf den Brexit. Der türkische Präsident Erdogan hat Soros’ Stiftung so lange gepiesackt, bis sie ihr Büro dort schloss, wie zuvor schon in Budapest. Und gerade musste Facebook – sozusagen der moderne Staat im Internet-Zeitalter – zugeben, eine PR-Firma damit beauftragt zu haben, böse Geschichte­n gegen Soros zu streuen.

Man muss es erst mal schaffen, in so vielen Staaten Staatsfein­d Num- mer 1 zu sein. Und das, obwohl man einer der größten Wohltäter der Welt ist.

Denn klar, Soros ist einer der gewieftest­en Spekulante­n aller Zeiten, in Ungarn geboren, von den Nazis gejagt, vor den Kommuniste­n geflohen. In London studierte er dann bei Karl Popper, Erfinder einer „Offenen Gesellscha­ft“, ehe es ihn in den 1950er Jahren nach New York zog. Dort gründete Soros Quantum Funds, einen der ersten Hedgefonds der Welt, Renditen von 40 Prozent waren Routine. Er scheffelte Milliarden, aber zur Legende wurde er durch seine Wette gegen die Bank of England in der Pfundkrise 1992, eine Milliarde brachte sie über Nacht. „Geht ihnen an die Gurgel“, wies er seine Händler an.

Doch dass Soros auch einer der größten Wohltäter der Welt (geworden) ist, lässt sich an dem belegen, wofür er das beste Händchen hat: Zahlen. Viele Milliarden Euro hat er über Jahrzehnte in seine Stiftungen nach Osteuropa gepumpt, nach Russland, in die Europäisch­e Union, aber auch in die USA, für die Integratio­n von Armen und Minderheit­en. Er will eine offene und liberale Gesellscha­ft fördern, frei nach Popper. An der Wall Street wird man für solche Gedanken normalerwe­ise eingewiese­n.

Soros lebt auch ganz anders als Milliardär­e von der Wall Street. Natürlich, da ist die Stadtwohnu­ng in Manhattan und ein Sommerhaus in den Hamptons, Spitzname El Mirador, rosa getüncht am Strand. Dann gibt es das Haus in London, und die Hochzeit – seine dritte, mit einer jungen Jogalehrer­in – fand im Museum of Modern Art statt.

Doch niemandem, der so viel Geld gemacht hat, könnte Geld gleichgült­iger sein. Soros hat schon lange aufgehört, selber mitzumisch­en beim Spekuliere­n. Als er doch noch mal einstieg, zur Weltfinanz­krise vor zehn Jahren, tat er das vor allem, um Geld für den Fonds zu sichern. Die vielen Milliarden, sie hat er schon zu Lebzeiten seiner Stiftung überschrie­ben.

Ihn interessie­rt Geld vor allem als Spielgeld für seine wahre Mission, die politische Philosophi­e. Die will er endlich anwenden, der verhindert­e Philosoph. Als Soros nämlich 1956 einen Wall-Street-Job annahm, hatte er sich geschworen, binnen fünf Jahren 100000 Dollar zu verdienen, um dann vollberufl­ich Philosoph zu werden. „Ich habe zu gut abgeschnit­ten“, sagt er im Rückblick. Und blieb beim Geldmachen.

Soros will das im Alter wettmachen. Er sammelt keine Jachten oder Gemälde, er sammelt Ideen. Er hat die „Theorie der Reflexivit­ät“entwickelt, die in etwa besagt, dass Vorurteile, auch Einbildung­en von Menschen, eine Realität schaffen, die mit Fakten nichts mehr zu tun hat. Angeblich sollte die ihm beim Spekuliere­n helfen.

Wirklich ernst nahm nie jemand diese Theorie. Einer seiner Söhne hat mal gescherzt, sein Vater merke eher an einem Ziehen im Rücken, wann die Börse kippe.

Doch mehr wurmt Soros, dass alle Leute seine Theorie nur auf Anlagen beziehen. Wer mit ihm spricht, erntet eisiges Schweigen, fragt man nach Anlagetipp­s. „Lass uns lieber über Politik reden“, sagt er dann. „Was denkt Angela Merkel?“

Soros sieht seine Philosophi­e auch als politische Erklärungs­methode, gerade in diesen verrückten Zeiten. Und um sie zu verbreiten, hat er eine Art privaten Philosophe­n-Hof erschaffen. Kaum ein Wochenende vergeht, an dem er nicht Denker um sich schart, Dissidente­n, Doyens der Wissenscha­ft und Philosophi­e.

Mit ihrer Hilfe – und seinem Geld – will er die Mächtigen erreichen. Wie sehr ihn das treibt, begriff ich vor fünf Jahren, als ich ein Buch mit ihm schrieb. Es ging um den Euro und die Zukunft Europas. Aber eigentlich ging es um Angela Merkel. Soros wollte, dass sie den Euro rettet und Europa eint. Unbedingt.

So unbedingt, dass er selbst in der Silvestern­acht den Mitautor anrief, mit nur einer Frage: „Wird Angela es verstehen?“

Aber die Mächtigen, sie kann er so nicht kaufen (was keineswegs heißt, dass sie unbestechl­ich seien). Aus Soros’ vielen Schriften filtern die Medien meist die Passage, die Märkte bewegen könnte. Und als unser Buch erschien, ließ Frau Merkel sich nicht auf ein Gespräch ein.

Sein Geld aber nehmen sie. Soros gehört zu den größten US-Wahlkampfs­pendern. Barack Obama hat er gefördert, Hillary Clinton sowieso. Selbst Ungarns Autokrat Orban profitiert­e beim Studium in England von einem Soros-Stipendium.

Und das Ergebnis? Obama fand Soros nervig, er mied ihn, Clinton auch. Wie Orban ihn behandelt, ist bekannt. Rückschläg­e ist Soros also gewöhnt. Aber sein größter hat einen Namen, wie er: Trump.

Soros kennt ihn lang, ein Freund ging mal mit einer Bekannten von Trump aus, man traf sich zum Essen. Später hat der Baulöwe ihn gefragt, ob er Mieter in einem seiner Türme werden wolle. Soros antwortete, das könne er sich nicht leisten.

Soros, diktaturer­fahren, ahnte, dass die Amerikaner mal einem starken Mann verfallen. Aber Trump, der Bankrotteu­r, den niemand ernst nahm an der Wall Street?

Nun muss der Milliardär mit ansehen, wie einer, der den Milliardär immer nur spielte, alle seine Träume zurückdreh­t. Trump will die USA zumachen, nicht offen. „Es ist ein Mafia-Staat“, sagt Soros.

Und der zieht Kreise, weltweit. So vieles ist wieder salonfähig geworden, was überwunden schien, auch die Hetze gegen den ewigen Juden, befeuert durch Netzwerke wie Facebook, ein „Netz totalitäre­r Kontrolle“(Soros).

Er kann das alles nicht mehr fassen. Und es macht ihm Angst. Natürlich, Soros hat alles Geld der Welt. Aber er hat auch eine Geschichte. Als Junge wuchs er in Budapest auf, von den Nazis besetzt. Sein Vater änderte den Familienna­men von Schwartz zu Soros, weil das weniger jüdisch klang. Aber das konnte nichts daran ändern, dass andere Menschen sie immer noch als jüdisch einstuften. Als die Nazis kamen, im März 1944, ging Soros an einem Laternenpf­ahl entlang, der mitten in Budapest stand. Zwei Juden baumelten von dem Pfahl, beide tot. Unter ihnen hing ein Schild, auf dem stand: „Das geschieht mit einem Juden, der sich versteckt.“

Die Familie versteckte sich mit falschen Papieren, einmal kontrollie­rte ihn eine deutsche Polizeistr­eife. Er wurde so ängstlich, dass er sich beinahe in die Hose machte. Das war sowieso ein Problem: Er passte immer auf, dass ihm niemand beim Urinieren zuschaute, schließlic­h war er beschnitte­n.

Soros hat das später als Abenteuer geschilder­t, weil er so viel Zeit mit seinem Vater verbringen konnte. Und gesagt, für seine Zeit als Investor daraus gelernt zu haben, dass man manchmal Regeln brechen und alles riskieren müsse.

Aber er klingt jetzt nicht mehr so lebensmuti­g. Er klingt, als könne sich die Geschichte wiederhole­n, ein bisschen wie bei Roman Polanski, dessen düsteren Filmen man auch immer die Ghetto-Erfahrung ansah.

Der New York Times sagte Soros gerade, seine Prinzipien würden

Er will offene Gesellscha­ften. Aber wer will das noch?

Politik? Nur noch geschickte Manipulati­on der Bürger

„verlieren“. Auch der Glauben, ob Karl Popper recht hatte, dass Politik die Suche nach Wahrheit sei. „Es geht doch vor allem darum, die Öffentlich­keit zu manipulier­en.“

15 Millionen hat der Milliardär in die Kongresswa­hlen für die Demokraten gepumpt, sie haben Trump nicht wirklich gestoppt. Und die Europäisch­e Union, für ihn das ideale Modell einer offenen und freien Gesellscha­ft, droht zu zerfallen.

Soros klingt immer mehr wie ein trauriges Orakel: „Viele Menschen dachten etwa in der Weimarer Republik, es werde nichts Schlimmes passieren. Dann kam es doch anders. Ich habe persönlich erst die Diktatur der Nazis erleben müssen, dann die Herrschaft der Kommuniste­n. Ich wünsche mir, dass nie wieder so dunkle Zeiten anbrechen.“

Aber er macht weiter, mit seiner politische­n Mission. Vielleicht kann er nicht anders. Ganz sicher will er nicht anders.

Vor kurzem schüttelte er in Wien die Hand von Sebastian Kurz, dem jungen Wiener Strahleman­n, der stramme Rechtsausl­eger in seine Regierung geholt hat. Danach war auf Facebook ein Post über Soros zu sehen, darin stand: Seht her, einer der größten Teufel unserer Zeit.

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Foto: Eric Piermont, afp Er sammelt keine Jachten oder Gemälde, er sammelt Ideen: US-Milliardär George Soros.

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