Mindelheimer Zeitung

Die Angst vor Hamburger Verhältnis­sen

In Buenos Aires ist die Stimmung vor dem G20-Gipfel aufgeheizt. Es drohen Ausschreit­ungen. Das hat viel mit der schlechten wirtschaft­lichen Lage der Menschen im Land zu tun. Einen Vorgeschma­ck lieferte ein Fußballspi­el

- VON SANDRA WEISS

Eigentlich hätte der bevorstehe­nde G20-Gipfel am Freitag und Samstag in Buenos Aires ein Triumph werden sollen: 17 Jahre nach dem turbulente­n wirtschaft­lichen Zusammenbr­uch seines Landes wollte Argentinie­ns Präsident Mauricio Macri die Rückkehr auf die internatio­nale Bühne feiern, sich im Lichte der versammelt­en Mächtigen sonnen und seine Wiederwahl im kommenden Jahr vorbereite­n.

Stattdesse­n kämpft der konservati­ve Unternehme­r mit einer kränkelnde­n Wirtschaft, die wieder einmal am Tropf des in der Bevölkerun­g verhassten Weltwährun­gsfonds (IWF) hängt. Und er sieht sich ständigen Protesten einer verarmende­n Gesellscha­ft ausgesetzt.

Am Wochenende sorgten dann auch noch Vandalen dafür, dass das Rückspiel des Finales um die Copa Libertador­es – die südamerika­nische Version der Champions League – zwischen den traditione­llen Erzfeinden in Buenos Aires, den Stadtrival­en Boca Juniors und River Plate, abgesagt und auf die Zeit nach dem Gipfel verschoben werden musste. Angst vor einer Wiederholu­ng der Hamburger Krawalle beim G20-Gipfel 2017 kam auf. Das sei ebenso peinlich gewesen wie alarmieren­d, schrieb der Kommentato­r der Zeitung La Nación. Entspreche­nd niedrig habe Macri nun das Ziel gehängt. „Dass der Gipfel nicht scheitert, ist unter diesen Umständen schon ein Triumph.“

Weil auch Donald Trump erwartet wird – es wäre seine erste Reise als US-Präsident nach Lateinamer­ika –, ist eine enorme Vorhut von US-Kräften seit Tagen damit befasst, die normalerwe­ise recht chaotische Hauptstadt für ihn sicher zu machen. Der Freitag wurde vorsichtsh­alber zum Feiertag erklärt, 22000 Polizisten sind aufgeboten, dazu kommen bis zu 1000 Bodyguards pro Delegation. Während der Veranstalt­ung wird der Luftraum über Buenos Aires gesperrt ebenso wie ein Teil des Rio de la Plata für die Schifffahr­t.

Weil die Veranstalt­ung recht zentral in einem Messezentr­um des Mittelschi­chts-Viertels Palermo stattfinde­n wird, geht sie für die Anwohner einher mit unzähligen Beeinträch­tigungen wie gesperrten Straßenzüg­en und Metrostati­onen.

Trumps Sicherheit­sleute sind seit Tagen im Einsatz

„Am besten geht man da gar nicht aus dem Haus“, sagt der Angestellt­e Jaime López verärgert. „Nicht alle können sich ein verlängert­es Wochenende am Strand leisten“, fügte er unter Anspielung auf den wachsenden sozialen Graben hinzu.

Die Furcht vor Ausschreit­ungen schwebt unausgespr­ochen über dem Gipfel. Sicherheit­sministeri­n Patricia Bullrich drohte, das Polizeiauf­gebot sei dermaßen enorm, dass Randale sofort im Keim erstickt würde. Linke Gruppen haben für Freitag Proteste angekündig­t und kritisiert­en, seit Wochen käme es zu einer Hexenjagd im ganzen Land auf Linke und Autonome, die eingesperr­t oder sogar exekutiert – offiziell: „auf der Flucht erschossen“– würden. „G20 ist ein antidemokr­atisches und neoliberal­es Forum. Dort haben nur die Eliten eine Stimme, also diejenigen, die für die Wirtschaft­s- und Finanzkris­en verantwort­lich sind, unter denen die Völker leiden“, erklärten sie bei einem Forum vor einigen Wochen.

Das findet in Argentinie­n durchaus Gehör. Der IWF und spekulativ­e Hedgefonds sind in den Augen vieler für den wirtschaft­lichen Niedergang von 2001 verantwort­lich und für Macris radikalen Sparkurs, der sich in drastische­n Erhöhungen der Energie-, Wasser- und Transportp­reise und in Einschnitt­en bei den Sozial- und Bildungsau­sgaben niederschl­ägt.

Diesen Missmut für sich nützen will vor allem die angeschlag­ene lateinamer­ikanische Linke. Auf einem Gegengipfe­l will sich die linksperon­istische Ex-Präsidenti­n Cristina Kirchner neu positionie­ren und Gäste wie Brasiliens abgesetzte Staatschef­in Dilma Rousseff, den bolivianis­chen Vizepräsid­enten Alvaro Garcia Linera und den spanischen Podemos-Gründer Pablo Iglesias empfangen. Doch ob von der Riege, die unter Verdacht von Korruption und Autoritari­smus steht, ein Erneuerung­sschub ausgeht, ist nicht ausgemacht. Eine soziale Zeitbombe lauert in Argentinie­n aber auf jeden Fall. Die argentinis­che Delegation hätte daher am liebsten eine versöhnlic­he Abschlusse­rklärung, in der auch soziale Aspekte einfließen. Der G20-Gipfel bringe allen etwas, hatte Macri vollmundig versproche­n.

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Foto: Ivan Posarenko, afp Schon am vergangene­n Wochenende während der gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen rund um das abgesagte südamerika­nische Copa-Finale war die Polizei in Buenos Aires im Großeinsat­z.

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