Mindelheimer Zeitung

Pariser Karotten-schick

- VON MELANIE SPRINGER-RESTLE redaktion@mindelheim­er-zeitung.de

Da ist sie wieder, die Zeit der Weihnachts­feiern. Eigentlich besuche ich die ganz gern, denn sie sind kleine Inseln im Vorweihnac­htsstress. Man trifft nette Menschen, hört besinnlich­e Geschichte­n und kann sich kulinarisc­h verwöhnen lassen. Doch so sehr ich mich immer auf das Abendessen gefreut habe, so traurig stimmt mich mittlerwei­le der schleichen­de Verfall unserer Esskultur. Dabei möchte ich mich gar nicht mal über die Auswahl an Speisen beklagen, denn die ist bei den meisten Feiern durchaus gegeben. Traurig ist vielmehr, dass es heutzutage eher die Ausnahme ist, frisch zubereitet­es Essen serviert zu bekommen: Gemüse aus der Konserve, Soße mit reichlich Geschmacks­verstärker­n, Spätzle, die mehr nach Konservier­ungsstoffe­n als nach Ei schmecken. Und das in Bayrischsc­hwaben, wo Spätzle doch das kulinarisc­he Aushängesc­hild sind! Ich habe mir also vor dieser Weihnachts­feier keine großen Illusionen gemacht und meine Erwartunge­n entspreche­nd zurückgesc­hraubt. Als ich dann am Buffet stand, sah ich orangefarb­ene Bällchen, die sich als Karotten entpuppten. Während meine Tischnachb­arin und ich noch diskutiert­en, ob die geometrisc­he Vollendung von Karotten unbedingt notwendig sei, stellte ich fest, dass mich die Möhrenkuge­ln geschmackl­ich an die längst vergessene­n und schnell verbannten Babynahrun­gsgläser aus meiner Zeit als junge Mutter erinnerten. Mal Klartext gefragt: Ist es denn so schwer, ehrliches Essen zuzubereit­en? Es ist doch eigentlich ganz simpel: Wenn der Geschmack gut ist, braucht man keine extravagan­te Form. Kein Mensch erfreut sich an runden Karotten, die nach nichts schmecken. Als ich an dem Abend zuhause war, erfuhr ich im Internet, dass die kugeligen Möhren „Pariser Karotten“heißen und nicht zuletzt zu Konservier­ungszwecke­n so formvollen­det gezüchtet werden. Die sollen mal schön in Paris bleiben. Mir sind die schwäbisch­en mit einem Klecks Butter und frischen Spätzle tausend Mal lieber.

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