Verbraucher zahlen für Strom, den es nicht gibt
Warum noch immer Ökoenergie für 610 Millionen Euro vergeudet wird
Augsburg Während im polnischen Kattowitz derzeit auf der UN-Konferenz die Staaten um mehr Klimaschutz ringen, gehen in Deutschland Jahr für Jahr große Mengen Ökostrom verloren. Die Netze reichen häufig nicht aus, um die grüne Elektrizität abzutransportieren, wenn zum Beispiel an der Küste der Wind kräftig bläst. Die Anlagen werden dann abgeschaltet. Das ist teuer für Verbraucher: Sie zahlen für den Strom mit, den es nicht gibt, weil die Anlagenbetreiber ein Recht auf Entschädigung haben. Allein im vergangenen Jahr mussten 610 Millionen Euro aufgewendet werden, berichtet der Bundesverband Windenergie. Rund 95 Prozent davon für Windkraft, der Rest für Photovoltaik oder Strom aus Biomasse. Und auch wenn das Problem geringer geworden ist: Noch immer werden Millionen eingeplant, weil Windräder auf See noch gar nicht angebunden sind – oder umgekehrt zu bestehenden Leitungen die Offshore-Windparks fehlen. Für das Jahr 2019 sind 144 Millionen Euro veranschlagt.
Die Grünen kritisieren diese Situation scharf: „Erneuerbarer Strom darf nicht ungenutzt verschwendet werden, weil klimaschädlicher Kohlestrom die Netze verstopft“, sagte Parteivorsitzende Annalena Baerbock unserer Redaktion. Deshalb und zur Erreichung der Pariser Klimaziele brauche es den Kohleausstieg und einen raschen Netzausbau zugunsten der erneuerbaren Energien.
Denn dass sich die Situation kurzfristig ändert, ist nicht in Sicht. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres entstanden der Bundesnetzagentur zufolge Kosten von 228 Millionen Euro, um Grünstrom-Erzeuger zu entschädigen, die wegen Netzengpässen nicht einspeisen konnten. Im ersten Quartal 2017 waren es erst 142 Millionen Euro.
Bei der Bundesnetzagentur sieht man vor allem einen Weg, um die Situation zu verbessern: „Der Netzausbau muss insgesamt aufholen, um mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien Schritt zu halten“, sagte ein Sprecher. Ähnlich denkt man bei den Grünen: „Leistungsfähige Stromnetze sind für eine erfolgreiche Energiewende und die Klimaziele unabdingbar“, sagte Baerbock. Dazu gehöre der zügige Bau der bereits beschlossenen Leitungen, die den Transport von Windstrom vom Norden in den Süden Deutschlands sicherstellen. Bekannt ist, dass auch Bayern hier gebremst hat und darauf pochte, Leitungen unter die Erde zu legen.
Die Grünen-Chefin fordert nun mehr Tempo. „Das Problem ist, dass die Bundesregierung bisher viel zu wenig getan hat, um den Netzausbau voranzutreiben“, kritisiert Baerbock. „Der geplante Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Netzausbaus ist überfällig. Die meisten Maßnahmen hätten schon vor Jahren umgesetzt werden können.“
Der Bundesverband Windenergie fordert zudem, erneuerbaren Strom stärker für die Mobilität oder die Wärme- und Kälteerzeugung zu nutzen. Dies wären wichtige Beiträge, „um die Kosten zu begrenzen“, sagte Geschäftsführer Wolfram Axthelm. Auch die Grünen pochen darauf, grünen Strom nicht einfach abzuregeln: „Es braucht alternative Verwendungsmöglichkeiten für den Ökostrom“, sagt Baerbock. Ob zum Heizen oder im Verkehrsbereich – technische Möglichkeiten existierten genug.
Baerbock zufolge bleiben solche Techniken fast ungenutzt: „Die Bundesregierung verschläft es, die alternative Nutzung des Grünstroms für die Produzenten wirtschaftlich attraktiv zu gestalten.“Recht gibt ihr das neue Ranking internationaler Umweltorganisationen. Deutschland ist hier abgerutscht: Im Klimaschutz-Index liegt die Bundesrepublik nur noch auf Rang 27 – hinter Ländern wie Rumänien oder Indien.