Mindelheimer Zeitung

Gefahr von Anschlägen weiter hoch

Gewerkscha­ft der Polizei in Sorge

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Herr Malchow, wie hoch ist die Gefahr von Terroransc­hlägen auf Weihnachts­märkte in Deutschlan­d? Malchow: Die Ereignisse von Straßburg wecken natürlich schmerzlic­he Erinnerung­en an den Anschlag auf den Weihnachts­markt auf dem Berliner Breitschei­dplatz vor rund zwei Jahren. Seit diesem schrecklic­hen Attentat, bei dem zwölf Menschen starben und viele weitere verletzt wurden, wurden die Sicherheit­svorkehrun­gen für Weihnachts­märkte stark ausgebaut. So kommen heute etwa Poller, riesige Sandsäcke oder Container zum Einsatz, um Marktgelän­de zu schützen. Überall in Deutschlan­d sind bewaffnete Polizeibea­mte auf den Märkten unterwegs. Trotzdem wird es keine hundertpro­zentige Sicherheit geben.

Wo sehen Sie Defizite?

Malchow: Grundsätzl­ich kann man von hoher Sicherheit ausgehen. Aber wir führen die Sicherheit­smaßnahmen nicht aus Selbstzwec­k durch. Die Terrorgefa­hr ist weiterhin hoch, das zeigt ja auch der Anschlag von Straßburg. Maßnahmen, um Anschläge mit Fahrzeugen wie auf dem Breitschei­dplatz zu verhindern, sind ja nur gegen diese Begehungsf­orm wirksam. Terroriste­n können natürlich auch auf jede andere Weise Menschen auf Weihnachts­märkten oder anderswo angreifen, verletzen oder töten.

Der Attentäter von Straßburg benutzte eine Schusswaff­e ...

Malchow: Genau, jeder kann auf einen Weihnachts­markt gehen, in der Regel wird niemand kontrollie­rt, es gibt keine abgesperrt­en Bereiche. Wir wollen die Freiheit bewahren, auf einen Weihnachts­markt zu gehen. Aber das kann auch ausgenutzt werden, nicht nur von Terroriste­n, auch von anderen Straftäter­n. Das lässt sich auch nicht ändern.

Der Anschlag auf dem Breitschei­dplatz hatte einen islamistis­chen Hintergrun­d, auch in Straßburg gibt es Hinweise in diese Richtung. Wie schätzen Sie die Bedrohung durch den radikalen Islamismus ein?

Malchow: Grund zur Entwarnung gibt es leider nicht. Die Zahl der islamistis­chen Gefährder ist unveränder­t hoch, sie liegt bei gut 700 Personen, wobei nicht alle gleich gefährlich sind. Dass der sogenannte Islamische Staat militärisc­h nicht mehr so potent ist, heißt nicht, dass er nicht mehr in der Lage ist, Menschen anzuwerben, zu radikalisi­eren und zu Terrorakte­n zu bewegen, etwa über soziale Medien im Internet. Außerdem gibt es jetzt verstärkt das Phänomen der radikalisi­erten Rückkehrer aus Kriegsgebi­eten in Syrien oder im Irak.

Hat die Politik die richtigen Lehren aus dem Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt gezogen? Malchow: Das Attentat vom Breitschei­dplatz hat ja auch über seine eigentlich­e Tragik hinaus zahlreiche Fragen aufgeworfe­n. Etwa, wie es möglich sein kann, dass bestimmte Personen in Deutschlan­d unter etlichen verschiede­nen Identitäte­n Sozialleis­tungen beziehen und Straftaten begehen können, ohne dass der Staat konsequent einschreit­et. Seither ist sicher viel passiert, man ist sensibler im Umgang mit Informatio­nen geworden. Doch manche Defizite bestehen weiter. Dass etwa Mehrfachid­entitäten heute zur Gänze ausgeschlo­ssen sind, stelle ich infrage. Insofern ist die Aufarbeitu­ng des Anschlags vom Breitschei­dplatz noch nicht abgeschlos­sen.

Interview: Bernhard Junginger Oliver Malchow ist Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft der Polizei.

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