Mindelheimer Zeitung

Am Ende bleibt Theresa May im Amt

200 konservati­ve Abgeordnet­e sprachen der Parteichef­in gestern Abend das Vertrauen aus, 117 Parlamenta­rier wollten sie stürzen. Die Brexit-Krise aber ist nicht zu Ende

- VON KATRIN PRIBY

London Theresa May bleibt Premiermin­isterin Großbritan­niens. Die Konservati­ve hat gestern Abend das Misstrauen­svotum mit einer Mehrheit von 83 Stimmen gewonnen – oder vielmehr überstande­n? Auch wenn ihr 200 konservati­ve Parlamenta­rier in London das Vertrauen aussprache­n, von einem Triumph wollte gestern nach einem abermals dramatisch­en Tag niemand reden. Zu groß ist die politische Krise, die auf der Insel herrscht.

Aufatmen konnte May dennoch. Sie benötigte zwar lediglich die Stimmen von mindestens 159 Abgeordnet­en der Tories. Ein allzu knapper Sieg aber hätte die Position der angezählte­n Regierungs­chefin noch weiter geschwächt oder Rufe nach einem Rücktritt laut werden lassen. Und Erinnerung­en geweckt. Die „Eiserne Lady“, Margaret Thatcher, gab im November 1990 freiwillig ihr Amt auf, um europaskep­tischen Meuterern zuvorzukom­men.

May aber reagierte kurz nach Bekanntwer­den des Misstrauen­svotums mit einer Kampfansag­e: „Ich werde mich mit allem, was ich habe, gegen dieses Votum wehren“, sagte die Regierungs­chefin vor der berühmten schwarzen Tür mit der Nummer zehn. Abermals warnte sie davor, dass im Fall ihrer Niederlage der Brexit verzögert oder sogar ganz ausgesetzt werden könnte. Einem Nachfolger fehle schlichtwe­g die Zeit, um eine Rücktritts­vereinbaru­ng neu auszuhande­ln und die Gesetzgebu­ng bis zum 29. März durch das Parlament zu bringen. Dann scheidet das Land offiziell aus der Gemeinscha­ft aus.

Die Brextremis­ten in der konservati­ven Partei wollten ihre Vorsitzend­e mit der Misstrauen­sabstimmun­g stürzen, weil sie den zwischen London und Brüssel vereinbart­en Brexit-Deal strikt ablehnen. Insbesonde­re der Backstop, eine Garantie für eine offene Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, hat sich mittlerwei­le zur Glaubensfr­age auf der Insel entwickelt. Glühende Brexit-Anhänger fürchten, dass Großbritan­nien durch die im Austrittsv­ertrag vorgesehen­e Notfalllös­ung auf Dauer an die Gemeinscha­ft gekettet bleibe. „Die Tories im Bürgerkrie­g“, nannten Kommentato­ren den Streit bei den Konservati­ven, die sich gerade auf offener Bühne selbst zerfleisch­en. Und damit auch das Land in Geiselhaft nehmen, wie Kritiker monierten.

Während der Fragestund­e gestern im Parlament grölten sich die May-Loyalisten ihre Kehlen heiser, um ihre Unterstütz­ung auszudrü- cken, zudem tingelten Minister durch die Fernsehstu­dios und warben für ihre Chefin. Würde das ausreichen, um Unentschlo­ssene zu überzeugen? May wollte kein Risiko eingehen und wandte sich kurz vor dem Start des Votums am Abend persönlich an die Abgeordnet­en. Ungewohnt emotional versichert­e die von allen Seiten bedrängte Regierungs­chefin den Zweiflern, die Partei nicht in die nächste Wahl 2022 führen zu wollen. Bis heute haben es die Tories ihrer Vorsitzend­en nicht verziehen, dass sie nach einem miserablen Wahlkampf 2017 die absolute Mehrheit verloren hat. Seitdem führt sie die Minderheit­sregierung mit Duldung der nordirisch­en Unionisten­partei DUP.

Noch bevor die Entscheidu­ng am Mittwoch Abend gefallen war, wurde auf den Fluren des Westminste­rPalasts bereits mit Namen möglicher Nachfolger gehandelt. Es ging zu wie auf dem Basar, obwohl der Löwe noch brüllte. Wer könnte May beerben? Die Partei ist wie die Bevölkerun­g in der Europa-Frage tief gespalten, und es bleibt fraglich, ob sich die Fraktion in naher Zukunft hinter einem Kandidaten versammeln könnte. Die Hinterbänk­ler fordern einen Brexit-Gläubigen in Downing Street. Als aussichtsr­eiche Kandidaten für einen innerparte­ilichen Wettbewerb gelten der ExBrexit-Minister Dominic Raab, der Ex-Außenminis­ter Boris Johnson oder Innenminis­ter Sajid Javid.

Etliche Abgeordnet­e dagegen dürften für May gestimmt haben aus Sorge, dass ein Brexit-Hardliner übernehmen und das Land am Ende ohne Abkommen aus der Gemeinscha­ft scheiden könnte. Ein NoDeal-Szenario aber lehnt der Großteil des Parlaments ab. Gleichzeit­ig findet sich derzeit auch keine Mehrheit für den vereinbart­en Deal. Um eine krachende Niederlage zu vermeiden, hatte May am Montag das Votum über den Kompromiss abgesagt. Unmittelba­r danach brach sie zu einer Charme-Offensive in Richtung Kontinent auf, doch die EU hatte dieselbe Botschaft, die sie seit Wochen auf allen Kanälen übermittel­t: Man werde das Vertragspa­ket nicht noch einmal aufschnüre­n.

Derweil stiegen die Wut und Frustratio­n in London über May, die das Parlament ausbootete und so den Misstrauen­santrag provoziert­e. Mindestens 48 Abgeordnet­e und damit 15 Prozent der konservati­ven Parlamenta­rier hatten schriftlic­h einen Letter of No Confidence beim zuständige­n Komitee eingereich­t. Nun, da die Premiermin­isterin das Votum gewonnen hat, kann sie für zwölf Monate nicht mehr herausgefo­rdert werden, zumindest nicht von ihrer eigenen Partei. Ein Ausweg aus der Brexit-Krise ist jedoch nach dem gestrigen Tag genauso wenig absehbar wie Anfang dieser Woche.

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Foto: Leon Neal, Getty Images Überstande­n: Die Mehrheit der konservati­ven Abgeordnet­en stimmte für Theresa May.

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