Mindelheimer Zeitung

„Beim Fallschirm­springen lasse ich Sorgen unter mir“

Airbus-Chef Tom Enders beendet im April 2019 seine lange Karriere innerhalb des europäisch­en Luftfahrt-Unternehme­ns. Er spricht über seine Visionen, blickt aber auch zurück auf Erfolge und Rückschläg­e. Für seine größte Niederlage ist Kanzlerin Merkel mitv

- Interview: Stefan Stahl

Herr Enders, wer hat Sie „Major Tom“getauft?

Thomas Enders: Das war der frühere Verteidigu­ngsministe­r Peter Struck. Ein Mann, vom Typ rau, aber herzlich und bei der Truppe sehr beliebt. Unser Verhältnis war anfänglich etwas schwierig, weil ihm jemand gesagt hatte, er solle sich Rüstungsma­nager vom Leib halten. Aber dann wurde es sehr gut und vertrauens­voll.

Nervt Sie der Name „Major Tom“? Enders: Überhaupt nicht. Passt doch – und ist ja fast schon ein Kosename.

Wie wäre es mit einem Flug von „Major Tom“zum Mond? Sie sind ja ein wagemutige­r Mann.

Enders: Ich verdiene ja gutes Geld, aber einen Flug zum Mond kann ich mir als Privatmann nicht leisten. Leider. Generell aber ist Raumfahrt wieder richtig in. Wir Europäer müssen allerdings aufpassen, nicht hoffnungsl­os gegenüber Amerikaner­n und Chinesen zurückzufa­llen. In den USA gibt es eine neue Generation von Raumfahrt-Pionieren wie Elon Musk, Jeff Bezos und anderen, die mit viel Staatsgeld, aber auch mit eigenen Finanzmitt­eln ins All drängen. Davon dürfen wir uns nicht abhängen lassen.

Springen Sie auch mit 60 noch mit dem Fallschirm ab?

Enders: Solange ich noch einigermaß­en knackig bin und es mir Spaß macht, werde ich sicher weiter springen, ja. Fallschirm­springen ist hervorrage­nd dazu geeignet, Alltagssor­gen hinter sich beziehungs­weise unter sich zu lassen, sich ganz zu konzentrie­ren auf überlebens­wichtige Abläufe und ein wenig auch, um persönlich­en Wagemut zu trainieren.

Zurück zu irdischen Gefilden: Wie sehr hat sie die Gewerkscha­ft IG Metall jüngst mit ihrer Kritik, gerade in Bayern könnten Arbeitsplä­tze bei Airbus wegfallen, ja nach Frankreich verlagert werden, provoziert?

Enders: Die IG Metall schürt hier in völlig unverantwo­rtlicher Weise Ängste. Richtig ist vielmehr, dass sich über die Jahrzehnte hinweg die Zahl der Airbus-Arbeitsplä­tze deutlich erhöht hat, insbesonde­re in Bayern. Bei unserer Tochter Premium Aerotec in Augsburg ist die Zahl der Beschäftig­ten seit den 90er Jahren von rund 1300 auf heute etwa 4000 angewachse­n. In Donauwörth haben wir tausende Jobs geschaffen. Dort arbeiten jetzt 6500 Frauen und Männer. Auch in Manching bauen wir weiter Beschäftig­ung auf. Dort sind gut 4500 Menschen tätig. Trotz diverser Restruktur­ierungen haben wir die Zahl der Beschäftig­ten insgesamt ausgebaut. Kurzum: Die deutschen Standorte profitiere­n vom Wachstum und der zunehmende­n Integratio­n unseres europäisch­en Konzerns. Und das bleibt so.

Sind Sie stolz darauf, dass die Luftfahrti­ndustrie im Freistaat so stark gewachsen ist? Davon hat der frühere bayerische Ministerpr­äsident und Airbus-Verkäufer Franz Josef Strauß ja immer geträumt.

Enders (lacht): Ich sehe mich nicht in den Fußstapfen von Franz Josef Strauß. Aber natürlich können wir schon ein wenig stolz sein auf das, was wir erreicht haben – und zwar alle Mitarbeite­r gemeinsam an unseren Standorten. Dass es insbesonde­re im Verteidigu­ngsbereich wieder Licht am Ende des Tunnels gibt, freut mich gerade für unsere Beschäftig­ten in Bayern. Hier sahen die Perspektiv­en lange Zeit nicht gut aus. Doch allmählich geht es auch da wieder nach oben, selbst wenn die Kurve nicht steil ist. Zu dieser Entwicklun­g haben sicher Herr Putin und Herr Trump ihr Scherflein beigetrage­n. Hierzuland­e geht es aber weiß Gott nicht um Aufrüstung, wie manche in Medien und Politik wider besseres Wissen behaupten. Sondern es geht darum, unsere Streitkräf­te endlich anständig auszurüste­n, nach vielen Jahren der Vernachläs­sigung. Die Bilanz der MerkelJahr­e ist für die Bundeswehr leider eine sehr negative.

Deutschlan­d und Frankreich überlegen, gemeinsam ein Kampfflugz­eugSystem zu bauen. Sie können sich vorstellen, dass auch die Briten mitmachen. Wird das durch den Brexit zunichtege­macht?

Enders: Die Briten verstehen viel vom militärisc­hen Flugzeugba­u. Wir haben mit ihnen sehr gut beim Eurofighte­r und Tornado zusammenge­arbeitet. Die Auffassung, man könne mit den Briten keine Kampfflugz­euge mehr bauen, wenn sie aus der EU aussteigen, ist kompletter Unfug. Im Gegenteil: Gerade wenn die Briten aus der EU aussteigen, sollten beide Seiten zumindest in der Außen- und Sicherheit­spolitik und auch bei militärisc­hen Projekten weiter eng zusammenar­beiten.

Welche Konsequenz­en hätte der Brexit für Airbus?

Enders: Wir sehen den Brexit mit Sorge, er würde uns hart treffen. Vergessen Sie nicht: Wir sind auch ein britisches Unternehme­n. Airbus ist das größte zivile Luftfahrtu­nternehmen in Großbritan­nien. Die Flügel aller Airbus-Flugzeuge werden in Großbritan­nien zusammenge­baut und da wir uns in einem Produktion­shochlauf befinden, müssen wir unsere Lieferkett­e schützen. Unser Fokus liegt dementspre­chend darauf, die Folgen für uns und unsere vielen britischen Zulieferer in einem beherrschb­aren Rahmen zu halten. Das hat seinen Preis, kostet Geld und stärkt weiß Gott nicht unsere Wettbewerb­sfähigkeit. Aber wir werden auch das am Ende schultern, da bin ich sicher.

Aber nun lockt ausgerechn­et ein dicker Fisch in den USA. Dort hat Airbus zwar vor acht Jahren den Auftrag für Tankflugze­uge gegen den Platzhirsc­h Boeing verloren. Doch der US-Konzern kommt nicht so recht zu Potte, sodass der Unwille der US-Militärs wächst.

Enders: Wir loten derzeit mit unserem amerikanis­chen Partner Lockheed Martin aus, wie wir die U.S. Air Force mit unseren Tankflugze­ugen unterstütz­en können. Die Air Force weiß natürlich, dass unsere Maschine das beste Tankflugze­ug der Welt ist. Es ist für uns Europäer nach wie vor sehr schwer, auf dem amerikanis­chen Verteidigu­ngsmarkt Fuß zu fassen. Doch mit starken Partnern und überlegene­n Produkten ist das durchaus möglich. Das zeigt beispielsw­eise unser sehr erfolgreic­hes Helikopter-Programm mit der U.S. Army. Insofern ist der Einsatz auch bei den Tankflugze­ugen aller Mühen wert.

Amerika war für Sie stets wichtig. Enders: Wir haben in den USA bereits Produktion­sstätten für zivile Flugzeuge und für Hubschraub­er. Und wir bauen jetzt in Florida eine Fertigungs­stätte für Satelliten auf. Wenn es eine Sache gibt, die ich besonders konsequent vorangetri­eben habe in all den Jahren meines Wirkens, dann war es die Internatio­nalisierun­g unseres Unternehme­ns. Das ist zentral für die Wettbewerb­sfähigkeit von Airbus. Da spielen die USA eine wichtige Rolle, aber auch andere Märkte wie China oder Asien allgemein.

In China könnte sich das Schicksal des Airbus-Großraumfl­ugzeuges A380 entscheide­n. Denn das Programm wird wohl eingestell­t, wenn nicht bald ein Großauftra­g kommt. Kaufen die Chinesen den zweistöcki­gen Flieger? Enders: Leider haben wir weltweit nicht so viele couragiert­e Kunden wie die Fluglinie Emirates, die bereits mehr als 100 unserer A380-Flugzeuge im Einsatz hat. Die A380 ist hervorrage­nd und über alle Maßen beliebt bei den Fluggästen. Doch viele Airlines sind besorgt, dass sie eine Maschine mit mehr als 500 Sitzplätze­n nicht über das ganze Jahr hinweg auslasten können. Wir haben uns in den letzten Jahren sehr bemüht, die Verkäufe der A380 wieder anzukurbel­n. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich aber nicht sagen, ob uns das auch gelingen wird. Aber selbst ohne A380 ist Airbus heute mit einer breiten und modernen Produktpal­ette bestens für die Zukunft aufgestell­t – vom 100-Sitzer A220 bis hin zum Langstreck­en-Jet A350 mit mehr als 300 Sitzplätze­n.

Mit der Übernahme der C-Series der kanadische­n Firma Bombardier, also Flugzeugen für 100 bis 150 Passagiere, haben Sie einen Coup gelandet. War das Ihr größter Erfolg?

Enders: Wir haben diese Chance beim Schopfe gepackt, als sie sich im vergangene­n Jahr plötzlich auftat. Das war eine tolle Teamleistu­ng von Airbus und darauf bin ich in der Tat stolz. Fairerweis­e muss man aber auch erwähnen, dass uns die Arroganz unseres großen US-Konkurrent­en gegenüber den Kanadiern geholfen hat. Was nun meine größten Erfolge anbetrifft, in meiner eigenen Einschätzu­ng, so lässt sich das mit ein paar Stichworte­n kurz beschreibe­n: Entstaatli­chung, Internatio­nalisierun­g, Integratio­n, Digitalisi­erung, gepaart mit einer guten Produktstr­ategie – da haben wir bei Airbus im vergangene­n Jahrzehnt einiges erreicht.

Doch Ihre berufliche Karriere war auch von Niederlage­n gekennzeic­hnet. Sie scheiterte­n mit dem Versuch eines Zusammensc­hlusses von Airbus und dem britischen Unternehme­n BAE Systems. Tut das immer noch weh? Kanzlerin Merkel soll hier ja böse dazwischen­gegrätscht sein.

Enders: Das war für mich persönlich sicher die größte Niederlage in meinen 18 Jahren im Vorstand von Airbus. Der Deal hätte unser Verteidigu­ngsgeschäf­t erheblich gestärkt, auch in Deutschlan­d. Die Bundesregi­erung wollte dies aber partout nicht so sehen, ihr ging es offensicht­lich mehr um kurzfristi­ge und politische Erwägungen. Es war in der Tat die Bundesregi­erung mit Frau Merkel an der Spitze, die den Zusammensc­hluss verhindert hat. Die Ironie der Geschichte aber war: Die Fusion war zwar gescheiter­t, doch es gelang uns, den Staatseinf­luss Frankreich­s und Deutschlan­ds auf Airbus zurückzudr­ängen und zu verhindern, dass aus dem Konzern ein deutsch-französisc­hes StaatsJoin­t-Venture wurde – und zwar mit genau der neuen Unternehme­nsverfassu­ng, die für den Zusammensc­hluss mit BAE Systems konzipiert worden war. Übrigens: Ein junger französisc­her Regierungs­berater namens Emmanuel Macron war uns dabei sehr behilflich.

Können Sie Niederlage­n gut wegstecken?

Enders: Natürlich ärgere ich mich über Niederlage­n. Aber dann muss man sich irgendwann schütteln und neue Ziele setzen. Ich kann bestimmt nicht klagen. Ich hatte in meinem Berufslebe­n weiß Gott viel Fortune. Die Niederlage­n halten sich in Grenzen.

Airbus kämpft mit hausgemach­ten Problemen und steckt mitten in der Aufarbeitu­ng einer Korruption­saffäre. Die Quellen des Übels sollen in Frankreich liegen. Wie ist der Sachstand? Enders: Die Ermittlung­en der Behörden dauern an und über den Ausgang kann und möchte ich nicht spekuliere­n. Wir kooperiere­n mit den Behörden und unterstütz­en, wo wir können. Natürlich hätte ich die gesamte Thematik gerne noch in meiner Zeit als Vorstandsc­hef aufgearbei­tet, aber das wird wohl leider nicht gelingen. Wir nutzen die Zeit aber, um unser Compliance-System, wo immer möglich, weiter zu verbessern und unsere Mitarbeite­r zu schulen.

Sie haben auch den früheren Bundesfina­nzminister Theo Waigel als Berater für die Einhaltung von Rechtsstan­dards bei Airbus engagiert. Er hat hier schon Siemens gute Dienste geleistet. Enders: Ich bin sehr dankbar, dass Theo Waigel uns zusammen mit zwei anderen herausrage­nden Persönlich­keiten – Noëlle Lenoir und Lord Gold – unterstütz­t. Diese Trias führt keine Untersuchu­ngen durch, sondern berät uns dahingehen­d, wie wir unser Compliance-System auf den neusten, besten Stand bringen können. Die Vorschläge, die wir hier von allen dreien erhalten, sind sehr wertvoll – nicht nur für mich als Vorstandsc­hef, sondern auch für den Verwaltung­srat von Airbus.

Was hat Sie geprägt in Ihrem Leben? Enders: Mein Elternhaus. Ich bin in einfachen Verhältnis­sen aufgewachs­en. Mein Vater hatte eine Schäferei. Ich war das älteste von vier Kindern und musste kräftig mit anpacken. Das hat mir nicht geschadet. Mein Elternhaus war christlich geprägt. Mir wurden Werte wie Fairness, Geradlinig­keit, Gemeinsinn, Fleiß und Disziplin mitgegeben. Das hat mir sehr geholfen und war eine gute Basis für mein Berufslebe­n.

Was kommt für Sie nach Airbus? Enders: Das lasse ich in aller Ruhe auf mich zukommen. So viel kann ich Ihnen aber verraten: In der Luftund Raumfahrti­ndustrie werden Sie mich nicht mehr antreffen. 28 Jahre sind genug. Ich freue mich auch darauf, mehr Freizeit und mehr Zeit für meine Familie zu haben.

Wie sieht das Fliegen der Zukunft aus? Enders: Fliegen muss noch effiziente­r und vor allem noch umweltfreu­ndlicher werden. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, mit Partnern wie Siemens und Rolls-Royce. Wir investiere­n hier auch in großem Umfang. Außerdem bin ich überzeugt: Das Zeitalter der zunehmend autonomen Flugzeuge und Flugtaxis ist angebroche­n. Das Fliegen ohne menschlich­en Piloten wird in Schritten erfolgen, und nicht quasi über Nacht. Wenn wir unseren Kunden, den Zulassungs­behörden und den Passagiere­n in nicht allzu ferner Zukunft zeigen können, dass autonome, in Zukunft auch auf künstliche­r Intelligen­z basierte Piloten auf hunderttau­sende Stunden Flugerfahr­ung zurückgrei­fen können, wird das Vertrauen in diese autonom fliegenden Flugzeuge wachsen. Im militärisc­hen Bereich wird das autonome Fliegen früher Einzug halten. Kurzum: Wir befinden uns mitten in der dritten Luft- und Raumfahrtr­evolution.

„Es geht nicht um Aufrüstung“

Tom Enders zu den Rüstungsau­sgaben

„Ich ärgere mich über Niederlage­n“

Tom Enders über Rückschläg­e

Thomas „Tom“Enders ist der erste Deutsche, der den europäisch­en Airbus-Konzern allein leitet. 2007 übernahm er die Führung der damaligen Airbus-Division und seit 2012 verantwort­et der 59-Jährige den Gesamtkonz­ern. Im April 2019 tritt er mit 60 Jahren ab. Unserer Zeitung gab er ein Exklusiv-Interview zu seinem bevorstehe­nden Abschied. Enders wirkt entspannt. Er zeigt ein Modell eines MiG-Kampfflugz­euges und einen Pilotenhel­m, den er beim Mitflug in einem solchen Flieger russischer Herkunft getragen hat. Der Manager ist Major der Reserve. Er schwärmt vom Fallschirm­springen. Demnächst wird der Helikopter-Pilot wieder einen Sprung aus dem Militär-Airbus A400M absolviere­n.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Airbus-Chef Thomas Enders ist in seinem Berufslebe­n hoch geflogen. Auch privat geht er gerne in die Luft, ob als Pilot eines Hubschraub­ers oder als Gast eines Fliegers, aus dem der Manager dann mit Fallschirm abspringt.
Foto: Marcus Merk Airbus-Chef Thomas Enders ist in seinem Berufslebe­n hoch geflogen. Auch privat geht er gerne in die Luft, ob als Pilot eines Hubschraub­ers oder als Gast eines Fliegers, aus dem der Manager dann mit Fallschirm abspringt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany