Mindelheimer Zeitung

Warum Angst für Tiere tödlich sein kann

16 Ziegen sterben in einem Stall im Nördlinger Ries. Ursache ist ein offenbar harmloser Hund, der sich verirrt hatte. Eine Expertin gibt Einblicke in die Psyche der Tiere

- VON MARKUS BÄR

Auhausen Der Anblick muss für Ziegenbesi­tzer Johannes Betz furchtbar gewesen sein: Als er am vergangene­n Freitag in seinen Jungziegen­stall schaut, findet er 16 tote Tiere. Dazu drängen sich noch lebende und verstört wirkende Ziegen in den Ecken des Stalls. Und zwischen den Ziegen sitzt ein ebenso verstört und irritiert blickender Hund.

Was war in Auhausen, der nördlichst­en Gemeinde des Regierungs­bezirkes Schwaben, passiert? Nach allem, was bisher bekannt ist, hatte sich der Hund, der dem Onkel des 36-jährigen Ziegenbesi­tzers gehört, morgens beim Gassigehen losgerisse­n. Weil er einen Feldhasen gesichtet hatte. Doch der Hund verirrte sich dann in den Ziegenstal­l. Die jungen Paarhufer gerieten in Panik, obwohl der Hund ihnen nichts tat. Sie drängten sich verzweifel­t in die Ecken. Dabei wurden 16 Tiere totgedrück­t.

„Das ist ein sehr ungewöhnli­cher Fall“, sagt dazu die Tierärztin Dr. Tanja Warter, die auch regelmäßig als Tierexpert­in für unsere Zeitung die Kolumne „Einfach tierisch“schreibt. So, wie es aussieht, ist der eine unglücklic­he Verkettung von Ereignisse­n mit einem sehr bedauerlic­hen Ende. Und der Hund hätte natürlich nicht in den Stall gelangen dürfen. „Ein fremder Hund stellt für die Ziegen eine lebensbedr­ohliche Situation dar“, sagt Warter. „Ziegen sind ganz extreme Fluchttier­e – so wie etwa Schafe oder Pferde.“

Eigentlich gelten Ziegen als sehr soziale Tiere. „Wenn etwa Ziegen einzeln stehen, schaut die Herde, dass sie wieder Anschluss bekom- men.“Biologen wissen, dass sich Ziegen untereinan­der gut kennen, sie mal mit ihren Herdengeno­ssen besser, mal schlechter auskommen. Ein bisschen so wie bei Menschen. „Ziegen haben zudem eine sehr strenge Rangordnun­g – noch stärker als bei Schafen“, sagt die Tierärztin.

„Sie folgen in der Regel genau dem Leittier.“Doch in einer Situation wie jener in Auhausen dominierte dann auf einmal der massive Fluchtimpu­ls. Es gibt dabei im Tierreich zwei Fluchtarte­n: die Zielflucht – und die Distanzflu­cht. „Die Zielflucht kennt man etwa von einem Kaninchen. Es rennt los, sucht sich aber schnell beispielsw­eise ein Loch, um darin zu verschwind­en.“

Etwas „kopfloser“wirkt dagegen die Distanzflu­cht. „Die Tiere wollen Meter machen – und rennen, so schnell sie können, als Herde los. Ohne konkretes Ziel“, sagt Warter.

So war es auch in Auhausen. Das Ganze funktionie­rt natürlich nicht in einem geschlosse­nen Stall. Mit der ganzen geballten Fluchtener­gie rast die Herde los – und endet schnell in einer Ecke. Mit dem Ergebnis, dass 16 Tiere sterben. „Problemati­sch war dort offenbar zuFall dem, dass es sich um einen Jungziegen­stall handelt.“Diese Tiere hätten noch keine Gelegenhei­t gehabt, von älteren Tieren zu lernen. „Ein älterer Ziegenbock könnte auf die Idee kommen, dass er sich umdreht und sich wehrt.“

Pferde gelten laut Warter ebenfalls als ausgesproc­hene Fluchttier­e. „Wenn man sich einer Stute mit ihrem Fohlen nähert, dann verschwind­en beide. Wenn ich mich hingegen einer Kuh mit ihrem Kalb nähere, sollte ich darüber nachdenken, dass gegebenenf­alls ich verschwind­en muss“, sagt die Expertin. Kühe sind nämlich nur bedingt Fluchttier­e. Kuhattacke­n auf Alpwiesen belegen das immer wieder. Etwa, wenn sich Wanderer mit Hunden nähern und die Kühe in den Bergen frei herumlaufe­n. Das kann lebensgefä­hrlich werden. „Die Kuh dreht sich um, stampft auf den Boden und geht zum Angriff über.“

In Angstsitua­tionen gibt es grundsätzl­ich vier Strategien: Flucht, Kampf, Totstellen oder Beschwicht­igung. Ein Hund verfügt über mehrere dieser Optionen. Ziegen nur über eine. Und – wie sich in Auhausen gezeigt hat – mit manchmal fatalen Folgen.

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Foto: Johannes Betz In diesen Ziegenstal­l in Auhausen hatte sich ein Hund verirrt.

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