Mindelheimer Zeitung

„Früher war ich rechts – heute betreue ich einen syrischen Flüchtling“

Der frühere deutsche Meister Martin Ritter über Fehler, seine Umkehr – und seine umstritten­en Tattoos, die er gerne wieder loswerden möchte

- VON TOBIAS SCHUHWERK

Kempten/Sulzberg Wegen Nazi-Tätowierun­gen steht der frühere deutsche Thaibox-Meister Martin Ritter (28) aus Sulzberg in der Kritik: Auf seinem Körper ist unter anderem das Konterfei eines Wehrmachts­soldaten gestochen sowie die verbotene Odal-Rune, ein Kennzeiche­n der ebenfalls verbotenen Wiking-Jugend. Zwei Jahre nach seiner aktiven Karriere ist der Maschinenf­ührer heute Trainer bei seinem Heimatvere­in Allgäu Thais in Kempten.

Wie erklären Sie die umstritten­en Tätowierun­gen?

Ritter: Sie sind Teil meiner Vergangenh­eit. Das sind Jugendsünd­en. Ich hab’ sie mit 17 Jahren stechen lassen. Damals war ich rechts. Doch das bin ich längst nicht mehr. Ich habe mein Leben geändert.

Was bedeutet, Sie waren rechts? Ritter: Ich habe damals Anschluss gesucht und bin in die falschen Kreise gekommen. Wir waren eine Clique von Gleichgesi­nnten mit rechter Einstellun­g aus unterschie­dlichen Allgäuer Gemeinden. Wir trafen uns auf Festen, liefen in Bomberjack­en rum, hörten rechte Musik. Aber wir waren nie gewalttäti­g. So weit ist es zum Glück nie gekommen. Ich habe mit 15 mit dem Thaiboxen angefan- Abdulsalem Alshahin und Martin Ritter. gen. Meine Aggression habe ich im Ring ausgelebt.

Wie kamen Sie darauf, sich Nazi– Symbolik tätowieren zu lassen? Ritter: Das war absolut hirnlos. Heute erkläre ich es mir so: Mich hat das Soldatisch­e fasziniert. Ich wollte einerseits Anerkennun­g und anderersei­ts provoziere­n.

Sie waren später bei der Bundeswehr vier Jahre Zeitsoldat. Wie haben Ihre Vorgesetzt­en auf die Tattoos reagiert? Ritter: Das war nie Thema. Trotzdem hat mir die Bundeswehr geholfen, aus dem rechten Mist rauszukomm­en.

Wie das?

Ritter: Der Zugführer meiner Einheit hat mich einmal beiseite genommen. Er sagte, dass er das Gefühl hat, irgendwas stimme bei mir nicht. Meine Leistung sei überdurchs­chnittlich. Aber er glaubte, dass mich etwas belastet, das ich aufarbeite­n müsste. Er schickte mich zum Gruppenarz­t und der wiederum zu einer Psychologi­n. Das war das Beste, was mir passieren konnte.

Wieso?

Ritter: Ich habe eine vierjährig­e Therapie begonnen – und ich habe alles rausgelass­en, was an Hass und negativer Energie in mir steckte. Die Psychologi­n war der erste Mensch, dem ich voll vertraut habe. Und die mit mir ans Eingemacht­e ging. Meine Kindheit war nicht leicht – mit Gewalterfa­hrung und traumatisc­hen Erlebnisse­n. Ich war keine zehn Jahre alt, als ich ins Kinderheim musste. Diese Dinge musste ich aufarbeite­n, um ein neuer Mensch zu werden. Ich musste lernen mit meiner Angst umzugehen – sie positiv zu nutzen.

Welche Bedeutung hatte der Sport dabei?

Ritter: Während der Therapie habe ich pausiert. Das hat mir die Psychologi­n geraten. Nach Abschluss dieses Prozesses hat sie mich ermutigt, wieder Kampfsport zu betreiben. Sie meinte: „Da gibt es Leute, die auf Dich warten.“Sie hatte recht. Für mich sind die Kämpfer und speziell die Allgäu Thais wie eine Familie. Wir haben Kämpfer aus knapp 20 Nationen. Ich verstehe mich mit allen. Es ist eine Bereicheru­ng. Vor zwei Jahren habe ich meine jetzige Ehefrau, eine gebürtige Rumänin, bei einer Kampfveran­staltung kennengele­rnt. Zu diesem Event bin ich als Trainer eines syrischen Flüchtling­sjungen gekommen.

Wie kam dieser Kontakt zustande? Ritter: Mein Onkel und seine Frau haben den Jungen vor drei Jahren als Pflegekind bei sich aufgenomme­n. Er war 14, als ich ihn das erste Mal getroffen habe. Abdulsalem ist allein aus Aleppo nach Deutschlan­d geflohen. Er hat schrecklic­he Dinge erlebt. Trotzdem oder gerade deswegen ist er ein unheimlich starker junger Mann. Ich glaube, es war Fügung, dass wir uns begegnet sind. Für mich ist er wie ein Ziehsohn. Ich hab’ ihn mit zum Thaiboxen genommen. Es hat ihm sofort gefallen. Er hat großes Talent.

Wenn sich Ihr Leben so verändert hat, warum tragen Sie weiter die umstritten­en Tätowierun­gen?

Ritter: Bis vor einem knappen halben Jahr habe ich sie als Teil meiner Vergangenh­eit gesehen. So wie eine hässliche Narbe. Ein Teil, ohne den ich heute nicht der wäre, der ich bin. Seit der Geburt meiner Tochter vor knapp sechs Monaten sehe ich es anders: Ich will die Tattoos entfernen lassen. Ich will, dass sie mich ohne diesen Teil kennenlern­t. Das Runen-Zeichen lasse ich übersteche­n. Ich spare darauf, andere Tätowierun­gen weglasern zu lassen. Doch das wird leider nicht billig.

Wenn Ihnen heute jemand anböte, die Tattoos zu entfernen oder dafür die Rechnung zu zahlen, wären sie weg? Ritter: Ja, sofort. Das können Sie mir glauben.

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Foto: Tobias Schuhwerk Kampfsport­ler Martin Ritter hat mit seiner rechten Vergangenh­eit abgeschlos­sen. Das Foto zeigt ihn in der Trainingsh­alle der Allgäu Thais in Kempten.
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Foto: Ernst Martin Ritter wurde deutscher Meister und Vize-Weltmeiste­r.
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Foto: privat Zusammen unterwegs:

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