„Der Fall Maurizius“wird neu aufgerollt
Mehr als eine Kriminalgeschichte: Jakob Wassermanns Roman über einen Mord und einen Justizirrtum erscheint ab morgen in unserer Zeitung
Leonhart Maurizius sitzt seit fast zwei Jahrzehnten im Gefängnis. Einst wurde er verurteilt, weil er seine Frau getötet haben soll. So jedenfalls wurden die Indizien gedeutet – Maurizius aber hatte nie ein Geständnis abgelegt. Weshalb manch einer glaubt, dass er in Wahrheit gar nicht der Mörder ist. Das sieht auch der 16-jährige Etzel Andergast so, Sohn jenes Staatsanwalts, der in der Mordsache einst Anklage erhob.
„Der Fall Maurizius“rollt die Geschichte noch einmal auf. Geschrieben hat sie Jakob Wassermann, der Roman ist sein bekanntestes Buch. Heute ist der 1873 in Fürth geborene, aus jüdischer Familie stammende Wassermann kaum mehr bekannt, in den 1920er und frühen 30er Jahren jedoch war er ein Erfolgsschriftsteller. Erste literarische Versuche unternimmt er in der berühmten Münchner SatireZeitschrift Simplicissimus, später übersiedelt er nach Wien und versucht sich an umfangreicheren Werken. Größere Wahrnehmung findet Wassermann erstmals mit dem 1915 vorgelegten Roman „Das Gänsemännchen“, von da an wächst sein Ruhm, auch über den deutschen Sprachraum hinaus. Wassermann stirbt am Neujahrstag 1934 im österreichischen Altaussee an den Folgen eines Schlaganfalls. Da hatten die Nationalsozialisten seine Bücher schon geächtet, darunter auch den 1928 erschienenen „Fall Maurizius“. Ein Werk, das der Publizist Theodor Lessing mit den Worten lobte, es sei „das schönste aller Gerechtigkeitsbücher“.
Weil der junge Etzel Andergast überzeugt ist, dass Leonhart Maurizius zu Unrecht verurteilt wurde, macht er sich heimlich auf nach Berlin, wo der Hauptbelastungszeuge des damaligen Gerichtsverfahrens lebt. Aber auch Etzels Vater, dem Staatsanwalt Andergast, sind inzwischen Zweifel gekommen an seinem eigenen Vorgehen in dem eigentlich längst zu den Akten gelegten Mordfall, weshalb er den Häftling Maurizius im Gefängnis aufsucht.
„Der Fall Maurizius“ist aber keineswegs nur eine spannende Kriminalgeschichte, deren tatsächliche Zusammenhänge erst nach und nach ans Licht gelangen. Der Roman ist auch die Beschreibung eines tief greifenden Vater-Sohn-Konflikts. Denn der starr seinen Prinzipien folgende Jurist Andergast hat seine Frau, Etzels Mutter, erst in die Arme eines Geliebten und dann aus dem Haus gejagt, was der Junge ihm nicht verzeiht. Der Vater wiederum glaubt aufgrund seiner Tätigkeit bei Gericht, seinen Sohn Etzel vor dem Abgleiten in problematische Milieus bewahren zu müssen.
Durch die neuerlichen Recherchen Etzels wie auch seines Vaters kommt auf, dass der inhaftierte Maurizius lediglich eine von vier Personen war, die damals zur Zeit der Mordtat in einem engen Beziehungsgeflecht unterschiedlichster Gefühle zueinander standen – ein Gemenge, das schließlich seinen unheilvollen Höhepunkt fand in der Ermordung von Maurizius’ Frau. Wenn aber nicht Leonhart Maurizus der Mörder war, wer war es dann? Das erzählt Jakob Wassermann in den kommenden Wochen in „Der Fall Maurizius“, unserem neuen Tagesroman.
„Das schönste aller Gerechtigkeitsbücher“