Mindelheimer Zeitung

Vom Volk entfremdet

Frankreich Als er vor anderthalb Jahren gewählt wurde, galt Emmanuel Macron als Hoffnungst­räger für sein Land. Doch spätestens die Wut zehntausen­der „Gelbwesten“zeigt, wie viele Franzosen ihren Präsidente­n verabscheu­en. Wie konnte es nur so weit kommen?

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Emmanuel Macron wollte die Fenstersch­eibe seines Autos herunterla­ssen, um die Menge zu begrüßen. Ein paar nette Worte wechseln, wie er es so gerne tut bei Besuchen in der „Provinz“fernab von Paris. Doch die Menge bejubelte den französisc­hen Präsidente­n nicht. Sie hieß ihn nicht einmal willkommen. „Rücktritt“, brüllten die Leute aus voller Kehle. Und: „Ihr seid alle verdorben!“Schnell fuhr die Fenstersch­eibe wieder hoch und die Präsidente­nlimousine weiter. Buhrufe hallten ihr hinterher. Die Szene ereignete sich Anfang Dezember im ostfranzös­ischen Städtchen Puy-en-Velay. Macron besuchte dort eine Polizei-Dienststel­le, die kurz zuvor bei einem Protesttag der „Gelbwesten“-Bewegung angezündet worden war. Es war einer dieser Termine, bei dem der Präsident eindrucksv­oll vorgeführt bekam, wie heftig ihn viele Menschen gerade fernab der Metropolen ablehnen. Die Zeiten scheinen vorbei, als der 40-jährige Staatschef wie im Sommer einem Schüler den Kopf waschen und ihn zu mehr Ehrfurcht auffordern konnte, weil der ihn bei einer historisch­en Gedenkfeie­r mit einem frechen „Wie geht’s, Manu?“begrüßte. Heute begegnet Macron bei öffentlich­en Auftritten und in den sozialen Netzwerken deutlich gröberen Respektlos­igkeiten. Das hat vor allem mit den „Gelbwesten“zu tun, die seit genau einem Monat den Aufstand im Land proben. Jedes Wochenende sind seither zehntausen­de Unzufriede­ne auf die Straßen gegangen. Die Bewegung, so viel lässt sich sagen, hat zu einem Dammbruch der physischen und verbalen Gewalt geführt. Zwar hat sie entscheide­nd an Dynamik verloren, seit der Präsident vor einer Woche erste Zugeständn­isse machte: Die geplante Ökosteuer auf Kraftstoff will er zurücknehm­en, den Mindestloh­n erhöhen und ärmere Rentner entlasten. Im ganzen Land demonstrie­ren am Samstag nur noch 66 000 „Gelbwesten“. Am Wochenende zuvor waren es doppelt so viele, vor Wochen noch knapp 290 000 Protestier­ende. Zum Glück bleiben Mal die gefürchtet­en Krawalle aus. Doch das ändert nichts daran, dass weiter drei Viertel der Franzosen hinter den „Gelbwesten“stehen. Dass der gelbe Aufstand an diesem Wochenende weniger lautstark ausfiel, hat auch mit dem Schock zu tun, unter dem Land nach wie vor steht. Wenige Tage nach dem Attentat von Straßburg mit vier Toten, einem Hirntoten und elf teilweise schwer Verletzten fühlt es sich für manche wohl falsch an, zur alten Wut zurückzuke­hren. Macron hatte an die „Gelbwesten“appelliert, nicht zu demonstrie­ren. Die Ereignisse von Straßburg, sie haben auch den Präsidente­n getroffen. Es ist der erste größere Terroransc­hlag in seiner Amtszeit. Und er schafft es, in der Krise als KrisenMana­ger zu überzeugen. Am Freitag kommt Macron selbst nach Straßburg. Er gedenkt den Opfern, er legt eine weiße Rose an einer improvisie­rten Gedenkstät­te ab. Er spricht mit Soldaten, die nach dem Anschlag auf den mutmaßlich­en Attentäter Chérif Chekatt geschossen haben. Er dankt den Helfen und Kräften, die nach dem Attentat im Einsatz waren. Und er sucht den Kontakt zu den Bürgern der Stadt, schüttelt Hände, sagt den Menschen tröstende Worte. Dieses Mal gibt es keine Buhrufe. Hunderte stimmen die Nationalhy­mne an, als Macron am Abend über den zentralen Kléber-Platz schreitet. Auch wenn Macron zuletzt Vertrauen zurückgewi­nnen konnte – die Wut auf den Präsidente­n ist noch immer da. Zuerst war es nur der Zorn über die steigenden Spritpreis­e im Land, der die „Gelbwesten“auf die Straßen brachte. Aber bald sammelte sich in der Bewegung der Verdruss über generell zu hohe Lebenskost­en, die Furcht vor sozialem Abstieg und die Wut der Landbevölk­erung auf die politische Klasse in Paris. Und in erster Linie auf den Staatschef als Vertreter dieser abgehobene­n Elite. „Der Anlasser der Bewegung waren die Steuern; der Motor war die Kaufkraft und das Gaspedal die Feindselig­keit gegenüber Emmanuel Macron“, fasst es der Meinungsfo­rscher Bernard Sananès zusammen. In nur anderthalb Jahren wurde der einstige Hoffnungst­räger für viele zur Hassfigur. Seine Beliebthei­tswerte, die zu Beginn seiner Amtszeit noch bei 40 Prozent lagen, stürzten auf 20 Prozent ab. Macron ist damit noch unbeliebte­r als seine beiden Vorgänger, François Hollande und Nicolas Sarkozy. Zwar ist es so, dass der Präsident mit seinen hohen Machtbefug­nissen in Frankreich stets viel Kritik bekommt. Aber nun erfährt ausgerechn­et Macron so harte Ablehnung, der andere immer mit seiner dynmischen-jugendlich­en Art, mit seinen CharmeOffe­nsiven für sich einzunehme­n wusste. Der den Auftritt in der Menge genießt, bei denen er die Menschen herzt und küsst. Der, wie die Journalist­in Anne Fulda in ihrer Macron-Biografie schreibt, „immer überzeugen, gefallen und jene ,umdrehen‘ wollte, die ihn eigentlich nicht mögen“. Nun aber gelingt ihm das nicht mehr. Und es bleibt die Frage: Wie konnten sich der Präsident und sein Volk derart voneinande­r entfremden? Eine erste Antwort lautet: Sie waren einander nie nah. Während Macron nach seiner Wahl im Mai 2017 im Ausland, gerade auch in Deutschlan­d, von den Zeitungen als „Messias“gefeiert wurde, blieb das Misstrauen in Frankreich groß. Dort heftete ihm das Bild eines arroganten Elitehochs­chul-Absolvente­n und reichen Ex-Investment­bankers an, der die alltäglich­en Sorgen des Durchschni­ttsfranzos­en kaum versteht. Hinzu kommt, dass Macron seinen Erfolg dem Versagen der Volksparte­ien verdankt: Die Sozialiste­n waren nach fünf Jahren unter Hollande am Boden, die Republikan­er bezahlten für die Betrugsska­ndieses dale ihres Kandidaten François Fillon. Die Rechtspopu­listin Marine Le Pen schaffte zwar ein Rekorderge­bnis, aber ohne mehrheitsf­ähig zu sein. Es war Macrons Stunde. Und die einer neuen Art der politische­n Repräsenta­tion. Seine Bewegung „En marche“befragte zehntausen­de Franzosen nach ihren Sorgen und Wünschen. Macron vermittelt­e Volksnähe und versprach Frankreich einen Neuanfang: Mit den alten Grabenkämp­fen sei es vorbei, in seine Regierungs­mannschaft kämen Persönlich­keiten verschiede­ner politische­r Lager sowie aus der Zivilgesel­lschaft. Macron, der heute als Vertreter des Systems par excellence gilt, schaffte es, indem er sich außerhalb platzierte. Seine Gegner verweisen gern darauf, dass Macron ohnehin keine Mehrheit geschafft hat – sondern nur 43,6 Prozent der Stimmen. Das war allerdings auch früher der Fall und liegt am französisc­hen Wahlsystem mit zwei Urnengänge­n, wo letztlich die Stichwahl entscheide­t. Die absolute Mehrheit seiner Partei „La République en marche“bei der Parlaments­wahl im Juni 2017 zeigt, dass die Wähler ihm eine Chance geben wollten. Doch Macron hat Fehler gemacht. Statt das Amt als jüngster Staatschef seit Napoleon zu modernisie­ren, gab er sich monarchisc­hen Allüren hin. Macron selbst hatte einst in einem Interview darüber philosophi­ert, dass die Franzosen dem König, dem sie einst den Kopf abhackten, nachtrauer­ten. Doch dann verstörte er selbst mit großem Zeremoniel­l: Seine salbungsvo­llen Reden, die Auftritte unter den Goldlüster­n des Élysée-Palastes brachten ihm den Spitznamen „Jupiter“ein. Sein Regierungs­stil tat ein Übriges. Hatte er vorher mehr bürgerlich­e Teilhabe und Arbeitstei­lung innerhalb der Regierung versproche­n, so entstand der Eindruck eines Alleinents­cheiders, der nur auf seinen engsten Beraterzir­kel hört. Seine Arbeitsmar­ktreform setzte Macron mit Dekreten durch, ohne das Parlament über Details verhandeln zu lassen. Ebenso kompromiss­los ging er trotz massiver Proteste bei der Umsetzung der Bahnreform vor. Indem Macron die Reichenste­uer weitgehend abschaffte und zugleich die Wohnhilfe für sozial Schwache um fünf Euro pro Monat kürzte, brachte er die Linken gegen sich auf. Aber auch drei renommiert­e Ökonomen, auf die sein Wirtschaft­sprogramm zurückgeht, forderten ihn in einem offenen Brief zu einer sozialeren Politik auf. Einer von ihnen ist Jean Pisani-Ferry. Er sagt, Macron verfolge nun den richtigen Ansatz, wenn er statt auf noch mehr Umverteilu­ng auf höhere Chancengle­ichheit setze, indem er in Bildung investiere und die Qualität der berufliche­n Ausbildung verbessere. Doch diese Philosophi­e habe er der Bevölkerun­g nie richtig erklärt: „So ist der Eindruck entstanden, der Präsident mache eine Politik für die Reichen.“Der Politologe Jérôme Fourquet betont, Macron habe die seit Jahren wachsenden sozialen Brüche im Land nicht gekittet, sondern vertieft: „Unter ihm erreichte die Entkoppelu­ng zwischen den Regierende­n und den Franzosen ein nie dagewesene­s Niveau.“Eine Rolle spielt dabei Macrons Hang zu flapsig-unkontroll­ierten Sprüchen. Da war der Rat an einen arbeitslos­en Gärtner, dieser brauche „nur über die Straße zu gehen“, um

Er nennt seine Landsleute „widerspens­tige Gallier“

einen Job in der Gastronomi­e- oder Hotellerie-Branche zu finden. Oder dass er bei einer Rede in Kopenhagen über seine Landsleute spottete, sie seien „gegenüber dem Wandel widerspens­tige Gallier“. Selbst Macrons einstiger Vertrauter der ersten Stunde, der inzwischen das Handtuch warf, warnte ihn öffentlich vor Überheblic­hkeit und „mangelnder Demut“. Jetzt aber scheint die Botschaft angekommen zu sein. Bereits bei seiner Fernsehans­prache vor einer Woche äußerte Macron Verständni­s für die Wut der Bürger. Er gab sich zurückhalt­end und ernst. Kurz vor Weihnachte­n kehrt nun etwas Ruhe im Land ein. Emmanuel Macron wird es kaum mehr gelingen, von den Franzosen geliebt zu werden. Doch dafür wurde er auch nicht gewählt. Sondern dafür, die wirtschaft­liche und soziale Situation Frankreich­s verbessern. Knapp dreieinhal­b Jahre bleiben ihm dafür noch.

Buhrufe hallen hinter der Präsidente­nlimousine her

 ?? Foto: afp ?? Einer der Termine, bei dem Emmanuel Macron keine Buhrufe zu hören bekommt: Am Freitag, drei Tage nach dem Terroransc­hlag von Straßburg, traf er dort Bürger auf dem Weihnachts­markt.
Foto: afp Einer der Termine, bei dem Emmanuel Macron keine Buhrufe zu hören bekommt: Am Freitag, drei Tage nach dem Terroransc­hlag von Straßburg, traf er dort Bürger auf dem Weihnachts­markt.

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