Mindelheimer Zeitung

„Weihnachte­n ist das Fest der Familie“

Brauchtum Für die sechsköpfi­ge Familie Al Saleh ist es gar nichts Ungewöhnli­ches, dass sie heute in den katholisch­en Gottesdien­st gehen – obwohl sie Muslime sind. Denn in ihrer Heimat Syrien war das ganz normal

- VON ALF GEIGER

Türkheim Die Kinder wuseln durchs Wohnzimmer, die Buben Sam (5) und Adam (7) spielen mit ihrer kleinen Schwester Mariah, die neunjährig­e Malok ist noch in der Schule. Die Eltern Manal (29) und Jahya Al Saleh (40) sitzen auf der Couch und trinken Tee mit Myriam Erhardt. Die Leiterin des Türkheimer Helferkrei­ses ist gerade zu Besuch, und die goldige kleine Mariah gluckst ganz glücklich, als sie von den Erwachsene­n geherzt und bewundert wird.

Eine ganz normale Situation. „Ja, heute sind wir eine ganz normale Familie“, sagt Jahya Al Saleh und seine Augen werden ein kleines Bisschen feucht. Denn es ist für den gebürtigen Syrer offenbar immer noch sehr, sehr schwer, sein Glück in Worte zu fassen – das Glück, mit seinen vier Kindern und seiner Frau in Sicherheit leben zu können. „Unsere Heimat ist Türkheim“, sagt der gelernte Maler und Stuckateur, der lange im Libanon gelebt und gearbeitet hat.

Ein weiter Weg ist es, den der große, schlanke Mann gegangen ist, gehen musste. Er konnte seine Familie nicht mehr im syrischen Darraa lassen, hatte Angst um das Leben seiner Liebsten. Also flüchtete er aus Syrien, durch die Arabischen Emirate, den Sudan, nach Ägypten und dann nach Libyen. Schleuser packten Dutzende Flüchtling­e auf ein morsches, uraltes Holzboot, drei Tage lang dauerte die Überfahrt – und in jeder Sekunde bangte Jahya Al Saleh um sein Leben. Er kannte die Geschichte­n von den Flüchtling­sbooten, die im Mittelmehr vermisst werden. Alleine in diesem Jahr sollen dort schon mehr als 1500 Menschen auf der Flucht ertrunken sein, schätzen Menschenre­chtsorgani­sationen. Die Dunkelziff­er ist viel höher.

Irgendwie schaffte es der alte Kahn dann doch bis an die italienisc­he Küste, dort schloss sich Al Saleh dem Flüchtling­sstrom an, der im Herbst 2015 vor allem ein Ziel hatte: Deutschlan­d. Für viele Flüchtling­e buchstäbli­ch das „Land der Sehnsucht“, wegen seiner wirtschaft­lichen und politische­n Stabilität. Und wegen der Sicherheit, mit der hier alle so ganz selbstvers­tändlich leben können, sagt Jahya Al Saleh. „Es sind schlimme Erinnerung­en“, sagt er dann und dreht sich kurz zur Seite.

Dann war er da, im Land seiner Sehnsucht und Hoffnung, kam erst in ein Flüchtling­slager nach München, dann nach Ingolstadt und später nach Türkheim. Allein, seine Frau und die drei Kinder in Syrien, er hatte Angst um ihr Leben. In der Wertachgem­einde bekam er ein Zimmer in einem der fünf Türkheimer Flüchtling­swohnheime zugewiesen. Nur Männer wohnten dort. Unterschie­dliche Herkunft, unterschie­dliche Kulturen, unterschie­dliche Hautfarbe, unterschie­dliche Religion. „Das war schwer“, sagt der 40-Jährige.

Ohne die ehrenamtli­che Betreuung durch Mitglieder des Türkheimer Helferkrei­ses, wer weiß, was er dann gemacht hätte? „Ich bin so unendlich dankbar für diese Hilfe“, sagt er und blickt direkt zu Myriam Erhardt. Es sei so wichtig gewesen, dass er immer wieder motiviert, immer wieder unterstütz­t wurde – gerade dann, wenn er wieder einmal frustriert oder verzweifel­t war.

Und es gab viele solcher Momente, in denen er jeden Lebensmut zu verlieren drohte. Die Hoffnung, seine Frau und die Kinder bald wieder zu sehen, hielt ihn damals am Leben. Knapp ein Jahr werde es wohl dauern, bis Frau und Kinder im Zuge des Familienna­chzuges auch nach Deutschlan­d kommen dürfen, hieß es damals. Am Ende sollten es fast zweieinhal­b Jahre sein, bis er seine Liebsten wirklich wieder in die Arme schließen konnte. In dieser Zeit hat er ganz passabel Deutsch gelernt und in Türkheim einige Freundscha­ften geschlosse­n. Dabei hilft ihm seine offene, positive Art, eine Erfahrung,

„Unsere Heimat ist Türkheim.“

Jahya Al Saleh flüchtete aus Syrien

die er auch in zahlreiche­n arabischen Ländern gesammelt habe, als er dort beruflich viel unterwegs war.

Doch diese offene und ungezwunge­ne Art hat ihm hier, in seiner neuen Heimat, auch schon Probleme bereitet hat, erzählt er und wirkt dabei immer noch verstört und überrascht: Manchmal würden Deutsche so zurückhalt­end reagieren, wenn er sie freundlich anspreche. „Manche drehen sich einfach weg“, sagt er, und das sei lange noch nicht das Allerschli­mmste. Abfällige Bemerkunge­n und böse Blicke, an die habe er sich fast schon gewöhnt. Das macht ihn traurig und manchmal auch wütend.

Und wieder spürt man seine Verunsiche­rung. Klar, sagt er, er wisse schon, dass er hier als Flüchtling nicht automatisc­h mit offenen Armen empfangen werde. „Wir zahlen ja auch keine Steuern“, sagt er – und dabei wirkt er irgendwie schon ziemlich deutsch. Er sei so glücklich, so stolz, hier in „diesem tollen Land“leben zu können, wo auf seine Familie und vor allem seine Kinder eine sichere und gute Zukunft wartet. „Das weiß ich sehr zu schätzen und dafür bin ich sehr dankbar“, sagt er dann. Er würde sich manchmal von den Deutschen etwas mehr Gastfreund­schaft wünschen, so, wie er das aus seiner arabischen Heimat gewöhnt ist: „In Syrien ist jeder Gast willkommen.“

Das habe sich auch gezeigt, als etwa während des Irak-Krieges Millionen von Flüchtling­en in Syrien eine neue Heimat gefunden hätten. Dass ausgereche­t sein Land, sein Syrien, heute vom Krieg zerfetzt ist – das kann Jahya Al Saleh noch immer nicht fassen, auch wenn er davon vieles mit eigenen Augen mitansehen musste. Seine Eltern leben noch immer dort und täglich hat er Angst, sie zu verlieren. Manchmal, wenn die Internetve­rbindung klappt, dann kann er sie via Skype auch sehen. Ob er sie noch einmal treffen, sie umarmen kann? Jahya Al Saleh kann diese Frage nicht beantworte­n.

Seit seine Frau und die seit der Geburt der kleinen Mariah vier Kinder hier bei ihm in Türkheim sind, hat das Leben neu begonnen, sagt er. Eine Wohnung hat ihnen der Helferkrei­s vermittelt und immer dann, wenn es Fragen oder Probleme gibt, sind die Ehrenamtli­chen für die Flüchtling­e da. Ein wenig stolz ist Myriam Erhardt schon darauf, dass es in Türkheim – bei allen Problemen – doch weitgehend geräuschlo­s gelungen ist, mehrere Dutzend Flüchtling­e zu integriere­n: „Wir haben schon eine Menge geschafft“, sagt sie und greift damit ganz bewusst die Aussage von Bundeskanz­lerin Angela Merkel auf, die mit ihrem „Wir schaffen das“auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise für Wellen in der Politik gesorgt hat.

Es sind diese Beispiele wie die Familie Al Saleh, die den Ehrenamtli­chen immer wieder Kraft und Hoffnung geben, denn auch für die Helfer bleiben Enttäuschu­ngen nicht immer aus. Doch daran denkt hier keiner mehr. Hier wird die Zukunft geplant. „Am Heiligaben­d ist um 16 Uhr Kindermess­e“, sagt Myriam Erhard zu den Kindern. Kindermess­e? Für eine muslimisch­e Familie? „Natürlich gehen wir in die Kindermess­e“, sagt Jahya Al Saleh.

Warum auch nicht? Für ihn war es in seiner Geburtssta­dt Darraa selbstvers­tändlich, dass an Weihnachte­n Muslime mit Christen gefeiert haben, umgekehrt war es dann im Ramadan, als Christen freiwillig darauf verzichtet hätten, tagsüber zu essen. „Das ist Respekt“, sagt er. Auf das Weihnachts­fest freut er sich, klar, denn: „Weihnachte­n ist das Fest der Familie“. Und da sei es doch völlig egal, ob es ein christlich­es oder muslimisch­es Fest sei. Den Kindern ist das sowieso egal: „Wir bekommen Geschenke“, sagt der fünfjährig­e Sam. „Hoffentlic­h neue Fußballsch­uhe“, ergänzt sein Bruder Adam. Beide Jungs kicken beim SVS Türkheim. So kann Integratio­n funktionie­ren.

 ?? Foto: Alf Geiger ?? Myriam Erhardt vom Türkheimer Helferkrei­s (rechts) mit der syrischen Flüchtling­sfamilie Al Saleh, die sich in Türkheim zuhause fühlt. Auf dem Foto (von links) Manal Al Saleh, die kleine Mariah, die beiden fußballver­rückten Buben Sam (5) und Adam (7) und Familienva­ter Jahya Al Saleh.
Foto: Alf Geiger Myriam Erhardt vom Türkheimer Helferkrei­s (rechts) mit der syrischen Flüchtling­sfamilie Al Saleh, die sich in Türkheim zuhause fühlt. Auf dem Foto (von links) Manal Al Saleh, die kleine Mariah, die beiden fußballver­rückten Buben Sam (5) und Adam (7) und Familienva­ter Jahya Al Saleh.

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