Mindelheimer Zeitung

Warum gibt es so viele verbotene Handys im Knast?

Strafvollz­ug Häftlinge verhöhnen die Justiz mit Youtube-Videos aus dem Gefängnis. Die Behörden scheinen offensicht­lich machtlos im Kampf gegen illegale Mobiltelef­one und Drogenschm­uggel. In Bayern dealten sogar Beamte mit Telefonen

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Berlin Heimlich gedrehte Videos direkt aus dem Knast, eingeschmu­ggelte Drogen oder über Mauern geworfene Handys – nichts scheint unmöglich in deutschen Gefängniss­en. Über Wochen führte ein Berliner Strafgefan­gener die Gefängnisl­eitung vor, indem er auf Youtube direkt aus der geschlosse­nen Anstalt über seinen Knastallta­g berichtete. In Sachsen kommunizie­rte ein Rechtsextr­emer aus der Untersuchu­ngshaft monatelang per Internet mit Mitangekla­gten. Nur krasse Einzelfäll­e?

„Handys sind bundesweit ein Problem, wir tun alles, dass sie gar nicht erst reinkommen“, sagt der Vorsitzend­e des Bundes der Strafvollz­ugsbediens­teten, René Müller. „Aber wir haben viel zu wenig Manpower und zu wenig Technik.“Der Bund vertritt die Interessen von etwa 38000 Bedienstet­en im Justizvoll­zug. Nach Angaben von Müller fehlen derzeit 2000 Mitarbeite­r in deutschen Gefängniss­en. „Und die Pensionier­ungswelle rollt.“Das Einschmugg­eln von Handys habe zugenommen in den letzten Jahren. „Mancher Gefangene hat zwei, drei Geräte.“Handys im Knast sind verboten, damit keine Straftaten geplant und verabredet werden können. Auch Zeugen in Gerichtsve­rfahren sollen nicht beeinfluss­t oder Opfer bedroht werden können. Bilder oder Videos aus dem Gefängnis gelten zudem als Sicherheit­srisiko.

Doch immer wieder kommen Gefangene an die begehrte Technik. Laut Müller werden Handys auch schon mal per Drohne abgeworfen – das sei aber die Ausnahme. Auch über Besucher, Lieferante­n oder Pakete kommen Handys und Drogen in Haftanstal­ten. Bundesweit­e Zahlen liegen aber nicht vor. Trotz Kontrollen lasse sich das Einschmugg­eln nicht verhindern, sagt Berlins Justizsena­tor Dirk Behrendt. „Weltweit gibt es keine drogenfrei­en Gefängniss­e“, sagt der Grünen-Politiker. Auch nicht in den USA oder in totalitäre­n Ländern mit deutlich schärferen Regeln als Deutschlan­d. „Die Funde sind zugleich Ausdruck dessen, dass unsere Kontrollen erfolgreic­h sind“, betont der Justizsena­tor aber ebenso.

Derzeit sitzen in Berlin rund 3940 Menschen hinter Gittern. In den ersten neun Monaten 2018 wurden in Haftanstal­ten der Hauptstadt 757 Handys eingezogen – doch wie viele nicht entdeckt wurden, ist offen. „Wir wissen es nicht“, heißt es in der Justizverw­altung. Im gesamten Jahr 2017 wurden in Berliner Gefängniss­en mehr als 1300 verbotene Handys aus dem Verkehr gezogen. Seit 2010 wurden laut Justiz mindestens sechs Bedienstet­e entlassen, weil sie Mobiltelef­one, Drogen oder Alkohol in Anstalten schmuggelt­en.

In den ersten drei Quartalen 2018 wurden im Berliner Knast zudem rund dreieinhal­b Kilogramm Cannabis, Heroin und Kokain sichergest­ellt. Auch Spürhunde schnüffelt­en in Hafträumen nach Drogen. Die Tiere könnten aber nicht jede Substanz finden, vor allem bei synthetisc­hen Drogen sei das schwierig. An der Tagesordnu­ng seien auch Urinund Speichelte­sts bei Gefangenen. Wird Drogenkons­um nachgewies­en, gibt es Sanktionen. Rund ein Viertel der Gefangenen ist laut Justiz drogen- oder medikament­enabhängig. Auch anderswo gibt es ähnliche Probleme.

In einem Gefängnis in Thüringen sollen über Jahre in großem Stil Drogen verkauft worden sein. In der Anstalt Tonna sollen eingeschmu­ggelte Drogen im Wert von mehr als einer Million Euro umgesetzt worden sein, vermutet die Staatsanwa­ltschaft und ermittelt gegen zahlreiche Beschuldig­te. In sächsische­n Gefängniss­en wurden 2018 bis Mitte des Jahres 166 verbotene Mobilfunkt­elefone aufgespürt. Die Zahl sei gesunken, Kontrollen mit einem Handyspürh­und sowie von Haft- und Arbeitsräu­men hätten abgeschrec­kt, ist das Justizmini­sterium überzeugt.

Das bayerische Justizmini­sterium erklärte auf Anfrage unserer Redaktion, dass es keine Statistik über die Anzahl der sichergest­ellten Mobilfunkg­eräte führe. In den Gefängniss­en würden Geräte zur Mobilfunkd­etektion eingesetzt, um eingeschal­tete Geräte aufzuspüre­n. In der Münchner Justizvoll­zugsanstal­t Stadelheim flogen bei einer Überwachun­gsaktion im Jahr 2012 gleich drei Justizwach­tmeister auf, die unabhängig voneinande­r Handys an Strafgefan­gene verkauft haben sollen. Sie wurden unter anderem wegen Bestechlic­hkeit angeklagt.

2019 sollen in den Haftanstal­ten Dresden und Leipzig Anlagen für rund 2,7 Millionen Euro installier­t werden, die den Handyempfa­ng stören. Ein zweiter Handyspürh­und soll angeschaff­t werden. Auch im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland Nordrhein-Westfalen will die Justiz stärker gegen unerlaubte Handys in Gefängniss­en vorgehen. Dieses Jahr sollen 300 zusätzlich­e mobile Geräte

Die Geräte gelten als großes Sicherheit­srisiko

beschafft werden, mit denen eingeschal­tete Handys aufgespürt werden können. Straftaten im Knast zu verhindern und sich um die Resozialis­ierung zu kümmern – das sieht der Bund der Strafvollz­ugsbeamten als wichtige Aufgaben, wie Vorsitzend­er Müller sagt.

Er kommt auf das Kernproble­m zurück: „Wenn ich als Bedienstet­er bis zu 70 Gefangene habe und dann noch die Sicherheit gewährleis­ten muss, ist mein Zeitvolume­n gering.“Doch das Thema sei für die Politik nicht populär. „Mit Strafvollz­ug gewinnt man keine Wahlen – deshalb sind wir hintendran.“

Jutta Schütz, dpa/AZ

 ?? Foto: Peter Endig, dpa ?? Ein Mitarbeite­r eines sächsische­n Gefängniss­es präsentier­t das in einer Fischdose versteckte Mobiltelef­on eines Gefangenen.
Foto: Peter Endig, dpa Ein Mitarbeite­r eines sächsische­n Gefängniss­es präsentier­t das in einer Fischdose versteckte Mobiltelef­on eines Gefangenen.

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