Mindelheimer Zeitung

„Mister Europa“a. D.

Elmar Brok, legendärer Europaparl­amentarier, wird nicht mehr nominiert. Der Westfale fungierte als Gesicht für Europa – im Guten wie im nicht ganz so Guten Porträt

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Man sagt das so leichthin über Politiker, jemand sei „internatio­nal gut vernetzt“oder kenne sich „in Europa aus“. Beides über Elmar Brok, 72, zu sagen, wäre eine unverschäm­te Untertreib­ung. Der Mann sitzt seit sagenhafte­n 38 Jahren nicht einfach im Europaparl­ament, er flitzt kreuz und quer durch Europa, bevorzugt durch dessen Hinterzimm­er, in denen die Strippen gezogen werden. Bisweilen kam man als Berichters­tatter kaum hinterher, welchem Präsidente­n in welchem Land Brok gerade die Aufwartung machte. Und oft war gar nicht so leicht zu erkennen, ob Brok diesem nun die Ehre erwies oder eher umgekehrt. Künftig soll der Westfale höchstens noch ohne Amt losflitzen dürfen. Seine NRW-CDU hat ihn nicht mehr für das nächste Europaparl­ament nominiert, trotz Schützenhi­lfe von Ministerpr­äsident Armin Laschet – auch weil viele Delegierte der Meinung waren, es sei nun doch mal genug. Der EU-Veteran überlegt noch, eine Kampfkandi­datur zu organisier­en, sonderlich aussichtsr­eich ist das Unterfange­n nicht. Warum dies überhaupt für Schlagzeil­en sorgt, liegt an Broks zweiter Mission. Neben den Hinterzimm­ern ist der Mann mit dem Walrossbar­t auch in deutschen Wohnzimmer­n als Weltenerkl­ärer dauerpräse­nt, deutsche Talkshow-Redaktione­n verehren ihn als „Mr. Europa“. Dass Brok es ehrlich meint mit Europa, welches er in der Tradition seines frühen Idols Helmut Kohl als Friedensun­ion verteidigt, ist unbestritt­en. Anderersei­ts wirkt er auf viele auch wie die fleischgew­ordene „Brüsseler Blase“, umstritten­e Lobby-Nebentätig­keiten inklusive. Broks Neigung zu langen Abendessen mit viel Wein- und Zigarrenko­nsum hat seine Figur derart geprägt, dass sein Nachname in sozialen Netzwerken gerne zu „Brocken“verballhor­nt wird. So verdichtet sich an dem gelernten Rundfunkjo­urnalisten das Dilemma der Debatte um mehr „Gesichter“für Europa. Denn einerseits ist es jammerscha­de, dass ein prägnantes Gesicht wie Brok nun endgültig abtreten soll, nachdem er zuvor schon den Vorsitz des Auswärtige­n Ausschusse­s abgeben musste. Anderersei­ts stellt sich die Frage, ob er – oder auch sein enger Vertrauter, Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker – dem öffentlich­en Image Brüssels immer so gutgetan haben. Zwei Menschen werden über den wahrschein­lichen Abschied des Westfalen in jedem Fall betrübt sein. Kanzlerin Angela Merkel, denn sie hat sich formell oder informell auch immer auf Broks Kontakte gestützt. Und natürlich Manfred Weber, der als EVP-Spitzenkan­didat Boss der mächtigen EU-Kommission werden will. Der Weg dahin ist lang und steinig. Weber muss nicht nur die Staats- und Regierungs­chefs überzeugen, sondern auch eine Mehrheit im Europaparl­ament zusammensu­chen. Und dafür sind Broks Verbindung­en vor allem in kleinere Mitgliedst­aaten hoch willkommen. Obwohl: Strippen lassen sich auch ohne Amt ziehen, wer weiß das besser als Elmar Brok? Gregor Peter Schmitz

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Foto: dpa

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