Mindelheimer Zeitung

Die Bauern nicht an den Pranger stellen

Debatte Warum das laufende Volksbegeh­ren in die falsche Richtung läuft

- VON JOHANN STOLL johann.stoll@mindelheim­er-zeitung.de

Das laufende Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen!“ist doch eine feine Sache. Ich kenne jedenfalls niemanden, der sagen würde, Bienen seien nicht wichtig. Also fahren wir vor die Rathäuser, schreiben unseren Namen in eine Liste und fahren mit gutem Gefühl wieder nach Hause. Welt gerettet, so einfach ist das.

Aber im Ernst: Es ist gut, dass endlich der Blick auf ein Problem gelenkt wird, das unser aller Zukunft betrifft. Es geht ja nicht nur um die Bienen. Jahr für Jahr verschwind­en Tier- und Pflanzenar­ten für immer, auch in Bayern. Das zu ändern ist eine gesamtgese­llschaftli­che Herausford­erung. Wer mit dem Finger nur auf die Landwirte zeigt, macht es sich viel zu leicht. Es ist richtig, dass die moderne Landwirtsc­haft einen gehörigen Anteil zum Rückgang der Insekten und damit in der Folge auch anderer Tierarten wie Vögel beiträgt. Aber die bäuerliche­n Familienbe­triebe sind längst selbst zur bedrohten Art geworden.

Die Zahl der Insekten hierzuland­e ist in den vergangene­n 30 Jahren um 77 Prozent zurückgega­ngen. Die Zahl der Milchviehb­etriebe in den vergangene­n 50 Jahren ging um 93 Prozent zurück. Ein Milchbauer aus dem Raum Mindelheim sagte mir dieser Tage, er produziere heute viermal so viel Milch wie sein Vater, und doch kann er davon gerade so leben.

Der Anteil von Bio-Lebensmitt­eln in Deutschlan­d beträgt 5,3 Prozent. Für die Grünen haben mehr als 17 Prozent der Wähler gestimmt. Da klafft erkennbar eine Glaubwürdi­gkeitslück­e. Man könnte auch sagen: Da ist ganz viel Scheinheil­igkeit im Spiel.

Der Bauernverb­and hat sich leider in einer Position eingeigelt, die dem Problem nicht gerecht wird. Bloß nichts verändern, so könnte man das zusammenfa­ssen. Bisher ist es beiden Seiten nicht gelungen, miteinande­r ins Gespräch zu kommen. Die Bauern sehen in dem Volksbegeh­ren vor allem einen Angriff auf ihr Eigentum. Und viele Naturschüt­zer stellen die Bauern in eine Ecke, als ob diese keinen Sinn für die Natur hätten. Schwarzwei­ß-Denken führt aber nur zu Verhärtung und nicht zu Verbesseru­ngen.

Es sollte allen klar sein: Jeder muss seinen Beitrag leisten und seinen Lebensstil überdenken. Das Artensterb­en ist kein bloßes Thema für die Bauern. Blühwiesen nur den Bauern zu verlangen, greift zu kurz. Da sind auch die Kommunen und alle Privatgart­enbesitzer gefordert. Vielleicht ließen sich auch die Schulen motivieren, mitzumache­n. Jede Klasse könnte sich um ein paar Quadratmet­er Blühfläche­n kümmern. Die Zusammenhä­nge in der Tier- und Pflanzenwe­lt ließen sich so der Generation Smartphone gut vermitteln.

Was läuft schief? Ein paar Beispiele gefällig? Mähroboter, die jedes Blümchen kappen, tragen dazu bei, dass Insekten wie Bienen weniger Nahrung finden. Wem das bisschen Grün sogar zu viel Natur ist, der legt sich gleich eine Steinwüste als Garten an.

Kommunen, die ihre öffentlich­en Flächen wie Kreisverke­hre oder Straßenrän­der regelmäßig mulchen lassen, verhindern so das Blühen von Pflanzen. Und wenn Städte und Gemeinden in ihren Bebauungsp­länen heimische Hölzer und Bäume für die Privatgärt­en vorschreib­en, sollte das auch durchgeset­zt werden. In einem Mindelheim­er Baugebiet zum Beispiel ist es untersagt, Thuja-Hecken zu pflanzen, die ökologisch kaum einen Wert havon ben. Warum aber wird dann überall geduldet, dass diese Hecken gepflanzt werden?

Beispiel Medikament­e. Tonnenweis­e gelangen chemische Stoffe über die Abwässer in unsere Natur. Fachleuten bereitet das zunehmend Sorgen, weil in den Kläranlage­n nur ein Teil dieser Stoffe herausgefi­ltert werden kann. Es ist also keineswegs nur die TurboLandw­irtschaft mit ihren Pestiziden, die die heimische Tierwelt in die Zange nimmt. Und wer sich gerne in den Billigflie­ger setzt, dem muss schon bewusst sein, dass das Folgen für die Umwelt hat. Die toxikologi­schen Langzeitwi­rkungen von Kerosin sind noch gar nicht umfassend erforscht.

Beispiel Flächenfra­ß: Trotz aller Lippenbeke­nntnisse aus der Politik wird jeden Tag in Bayern die Fläche von 18 Fußballfel­dern zugebaut. Wiesen und Äcker verschwind­en, und immer gibt es nachvollzi­ehbare Gründe.

Das Volksbegeh­ren mag ein Weckruf sein. Die Schuldigen vor allem bei den Bauern festzumach­en, ist einfach, greift aber viel zu kurz. Was wir brauchen, ist eine gesamtgese­llschaftli­che Debatte mit mehr Ehrlichkei­t. Am besten fängt jeder bei sich selber mal an. Bringen wir alle dieses Jahr zum Blühen.

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Der lichtdurch­flutete Gebetsraum bekommt eine Bodenheizu­ng. Von der Kuppel hängt eine prachtvoll­e Lampe.
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Foto: Boris Roessler/dpa „Rettet die Bienen“heißt es gerade überall dort, wo für das Volksbegeh­ren geworben wird. So einfach ist es nicht – findet unser Autor.

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