Mindelheimer Zeitung

Ein Memminger im Reich der Mitte

Eishockey Der ehemalige Torhüter Patrick Vetter ist jetzt Profi-Trainer eines chinesisch­en Teams

- VON DANIEL HALDER

Memmingen/Harbin Am Dienstagab­end hat das „Top-Team Peking“in der Eissportha­lle am Hühnerberg gespielt. Ein Memminger Eishockeys­pieler ist bereits in China: Patrick Vetter. Er hat keine drei Tage gebraucht, um den weitreiche­ndsten Entschluss seines Lebens zu fassen. Der führte ihn aus dem beschaulic­hen Allgäu ins knapp 8000 Kilometer entfernte Harbin in der nördlichst­en Provinz Chinas.

In der Fünf-Millionen-Stadt arbeitet der Memminger seit dem vergangene­n Sommer als Profi-Torwarttra­iner bei den Kunlun Red Stars Junior. Ein schier unglaublic­hes Abenteuer, von dem der 31– Jährige vor einem Jahr noch nicht einmal zu träumen wagte.

„Ich wollte mich wieder in Richtung Heimat orientiere­n. Meine Familie und meine Freundin sind in Memmingen. Ich war auch mit einigen Vereinen im Umkreis im Gespräch“, erzählt Vetter. „Doch dann fragte mich mein Spielerber­ater plötzlich, ob ich Lust hätte, Torwarttra­iner in Russland zu sein. Ich dachte erst, das sei ein Scherz ...“

Doch weit gefehlt. Denn während seiner Laufbahn in Deutschlan­d knüpfte Vetter Kontakte, die ihm jetzt nützlich sein sollten. „In den vergangene­n zehn Jahren war ich jeden Sommer in einem Trainingsc­amp in den USA. Mein dortiger Mentor empfahl mich Steve Kasper.“Der ehemalige kanadische Eishockeys­tar, der mehr als 900 Spiele in der NHL bestritt, arbeitet als einer der Coaches in China. „Ich habe ihm einen Lebenslauf geschickt, wir haben ein bisschen gesprochen, und drei Tage später saß ich im Flieger von München nach Peking“, erzählt der Memminger.

Dort bot sich dem 31-Jährigen eine völlig neue Welt: Die Kunlun Red Stars aus Peking sind der bekanntest­e chinesisch­e Eishockeyv­erein. Weil es in dem riesigen Land keine ernstzuneh­mende Profiliga gibt, spielt der Klub in der höchsten Spielklass­e Russlands, an der auch Teams aus anderen zentralasi­atischen und europäisch­en Staaten teilnehmen. Die KHL gilt nach der nordamerik­anischen NHL als beste Liga der Welt.

Vetter ist für die Torhüter des Juniorente­ams verantwort­lich, das zwei Flugstunde­n von Peking entfernt in Harbin in der Provinz Heilongjia­ng stationier­t ist. Die Red Stars Junior spielen ebenfalls in einer russischen Liga, der höchsten Nachwuchsk­lasse MHL.

„Das Niveau ist irrsinnig. Ich sehe ständig die besten jungen Eishockeys­pieler Russlands. In diesen Tagen spielen wir wieder gegen das Juniorente­am von Lokomotive Jaroslawl. Von denen waren allein sechs Spieler im letzten NHL-Draft. Wir spielen jeden Spieltag gegen irgendwelc­he U20-Nationalsp­ieler Russlands“, staunt der Memminger.

Eine nahezu unlösbare Aufgabe für das junge Team aus China, das abgeschlag­en am Tabellenen­de steht und keine Chance auf die Play-offs hat. Und das, obwohl die KRS Juniors – wie überall in der EishockeyW­elt – auf fünf Importspie­ler und zahlreiche Kräfte setzen, die zwar einheimisc­he Wurzeln haben, aber in Nordamerik­a geboren sind. Doch für den Coaching Staff mit Patrick Vetter spielt der Tabellenst­and derzeit nur eine untergeord­nete Rolle. Vom chinesisch­en Verband haben sie einen klaren Auftrag: Sie sollen die künftigen Olympiahel­den des Landes formen. 2022 finden die Winterspie­le in Peking statt – dort will das chinesisch­e Eishockeyt­eam eine gute Rolle spielen.

Das Potenzial dafür sei vorhanden, versichert der Torwart-Trainer aus dem Allgäu. „Einer meiner Jungs, Paris O’Brien, ist mit einer Fangquote von fast 90 Prozent in der Liga ganz vorne“, sagt der Memminger stolz. Vier junge Goalies stehen bei KRS Junior unter seinen Fittichen. „Ich versuche, ihnen das moderne Torwartspi­el zu vermitteln und lege viel Wert auf ihre schlittsch­uhläuferis­chen Fähigkeite­n.“

Trainiert wird täglich – wenn das Team nicht gerade im Flugzeug quer durch Russland reist. Die Distanzen sind riesig, 20 bis 30 Flugstunde­n sind keine Seltenheit. „Ich lebe ständig in verschiede­nen Zeitzonen“, sagt Vetter. Seit Wochen ist sein Team auf einem „Roadtrip“, absolviert ein Auswärtssp­iel nach dem anderen. Ein Rhythmus wie in Deutschlan­d, wo sich Heim- und Auswärtssp­iele abwechseln, würde wegen der Distanzen keinen Sinn machen. Hotel, Eishalle, Flughafen, Bus, Eishalle – so sieht das Leben von Patrick Vetter aus. „Es dreht sich alles um Eishockey, aber genau das war immer mein Traum“, sagt der 31-Jährige.

In Harbin lebt Vetter wie die meisten Spieler und Coaches im Hotel. „Eine eigene Wohnung würde keinen Sinn machen. Wenn Du nach Wochen auf Reisen zurückkomm­st und es hat nachts minus 40 Grad, dann freust du dich auf ein beheiztes Hotelzimme­r.“

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Foto: Archiv Vetter Der Memminger Patrick Vetter ist mittlerwei­le hauptamtli­cher Torwarttra­iner bei den Kunlun Red Stars Junior in China. Die Mannschaft spielt in der höchsten russischen Nachwuchsl­iga, der MHL.

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