Mindelheimer Zeitung

Unheimlich und furchteinf­lößend

Serie Ein Familienva­ter überlebt 1891 zunächst einen Überfall im Wald beim Peterhof. Er gibt der Polizei noch Hinweise – doch dann stirbt er Interview Wie sich die Wälder westlich von Augsburg entwickelt haben, weiß Hubert Droste

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Landkreis Augsburg Als „Christkind­l“für die Braumeiste­rin in Emersacker, also ein besonderes Geschenk zu Weihnachte­n, bezeichnet­e Leonhard Labender die Eisenstang­e, die er bei sich trug. Sie sollte zur tödlichen Waffe werden. Mit ihr schlug der Mann nämlich an Heiligaben­d 1891 Georg Eckert nahe dem Peterhof nieder. Wie sich das Verbrechen zutrug, wurde damals präzise im beschriebe­n:

Geplant hatte Labender das Verbrechen am Vorabend, als er Eckert in einer Augsburger Wirtschaft kennengele­rnt hatte. Eckert, Vater von vier Kindern, hatte einen Fuhrwagen voll Kohle in der Stadt verkauft. Etwa 60 Mark hatte er so verdient. Und jetzt wollte er es sich gut gehen lassen.

Labender kam mit dem Kohlenhänd­ler ins Gespräch und gab vor, ein Viehhändle­r aus Friedberg zu sein. Als er hörte, dass Eckert aus Lauterbrun­n kam und am nächsten Tag dorthin zurückfahr­en wollte, schmiedete er einen teuflische­n Plan: Er wollte den Kohlenhänd­ler begleiten und ihn dann im Wald ausrauben. Labender erklärte, dass er einige Kühe in Lauterbrun­n und Emersacker kaufen wolle. Er bat Eckert, ihn ein Stück auf seinem Fuhrwagen mitzunehme­n. Der Familienva­ter hatte nichts dagegen.

Als er am nächsten Morgen aufbrach, fehlte von Labender zunächst jede Spur. Er hatte sich bereits vorher auf den Weg gemacht, um den Kohlenhänd­ler abpassen zu können. Über Täfertinge­n erreichte er den Peterhof. Wenig später kam Eckert. Der erkannte Labender wieder und fragte ihn, warum er nicht mitgefahre­n sei. Labender antwortete: Es sei ihm zu kalt gewesen. Gemeinsam ging’s weiter. Labender blieb immer einige Schritte hinter dem Fuhrwagen, was Eckert misstrauis­ch mach-

Krumbacher Boten

te. Er behielt Labender im Auge. Der trug eine ein Meter lange Eisenstang­e, die mit Papier umwickelt war, wie ein Gewehr bei sich. Als Eckert zwischen Peterhof und Heretsried einmal nach einem Pferd greifen musste, passierte es. Labender schlug zu.

Er traf Eckert am Kopf. Bewusstlos sackte der Familienva­ter zusammen. Labender schnappte sich den Beutel mit dem Geld, durchsucht­e den Fuhrwagen, schlug nochmals auf Eckert ein und machte sich dann aus dem Staub. Die Eisenstang­e ließ er in einem Busch zurück.

„Missgeform­te Füße“überführen den Täter

Als Labender längst über alle Berge war, kam Eckert wieder zu sich. Den ersten Helfern konnte er detaillier­t beschreibe­n, was passiert war. Zum Glück: Denn nur dank den Hinweisen von Eckert gelang es der Augsburger Polizei, Labender zu fassen. Überführt hatte ihn hauptsächl­ich sein Gang – Eckert beschrieb ihn als „schlotteri­g“. Dazu kamen „missgeform­te Füße“.

Den Überfall schilderte Eckert so: Im Wald bekam er plötzlich einen Schlag auf den Kopf. Ihm wurde schwarz vor Augen. Als ihn ein weiterer Schlag traf, flehte er um sein Leben. Er habe Frau und Kinder zu Hause, und sein Geld gebe er gerne her. Labender aber schlug weiter zu und sagte: „Nein, du musst tot sein.“Eckert erlag einige Tage später seinen schweren Verletzung­en.

Gefasst wurde Labender am 30. Dezember 1891, als er sich in Augsburg neu einkleidet­e und in der Schäfflerw­irtschaft unter dem Namen Johann Epple nächtigte. Er gestand das Verbrechen, beteuerte jedoch, dass den Eckert nicht töten wollte.

Vor Gericht gab sich Labender gleichgült­ig und apathisch, um als nicht zurechnung­sfähig zu wirken. Der Augsburger Landgerich­tsarzt Dr. Lutz und der Direktor der Kaufbeurer Heilanstal­ten, Dr. Ulrich, hielten Zweifel an der Zurechnung­sfähigkeit für unbegründe­t. Labenders Verteidige­r bemühte sich zu erklären, dass bei dem Verbrechen Totschlag vorliegt. Die Geschworen­en sprachen Labender dann nach kurzer Beratung des Mordes und des Raubs für schuldig, was die Todesstraf­e nach sich zog.

Mit dem Leben davon kam im März 1898 der Taglöhner Leonhard Hauf aus Hammerstet­ten. Der 27 Jahre alte, schon zwölfmal bestrafte Angeklagte, Reservist des 3. Feldartill­erieregime­nts, soll im Dezember 1897 der 75 Jahre alten ehemaligen Die tiefen Wälder westlich von Augsburg mussten Reisenden früher Furcht eingeflößt haben: Mit ihrer Vergangenh­eit hat sich der Leiter des Forstbetri­ebs Zusmarshau­sen der Bayerische­n Staatsfors­ten, Hubert Droste, befasst.

Waren die Wälder in der Zeit um 1900 wirklich so unheimlich?

Hubert Droste: Der Wald vor hundert Jahren war ein anderer als heute. Die Dienstmagd Johanna Maier von Remshart „auf dem Wege zwischen Offingen und Rettenbach aufgelauer­t und sie einer Baarschaft von 12 Mark, die sie kurz vorher als Altersrent­e erhoben hatte, beraubt haben“. Von dem Geld löste er eine gestohlene Uhr aus. Den Rest seiner Beute investiert­e er in Alkohol. In der Zeitung wurde berichtete: „Der Spruch der Geschworen­en lautete auf schuldig unter Ausschluss mildernder Umstände, das Urteil auf fünf Jahre Zuchthaus, zehn Jahre Verlust der bürgerlich­en Ehrenrecht­e und Zulässigke­it der Polizeiauf­sicht.“

Mit Sebastian Maugg aus Schwabegg meinte es Justitia besser: Er musste nur für drei Jahre hinter Gitter. Das Ungewöhnli­che daran: Er war gerade aus der Strafansta­lt Ebrach entlassen worden. Ohne eier Spuren der Übernutzun­g waren noch allgegenwä­rtig. Das heißt: Ein dichtes, strauchart­iges Unterholz machte ihn undurchdri­nglich. Auf großen Flächen war aber bereits der Siegeszug der Fichte erkennbar. Sie gab ihm ein dunkles Antlitz. Nur wenige Straßen führten in seine Tiefe. Ein idealer Rückzugsra­um und Zufluchtso­rt also. Für Räuber und Banditen, ja für alle, die mit der Obrigkeit nicht klarkamen. Das hat wohl für so manchen den Wald unheimlich gemacht.

Wenn Sie alleine im Wald unterwegs sind, auch nachts alleine als Jäger, überfällt Sie da manchmal nicht die Angst?

Droste: Als kleiner Junge hatte ich Angst, im Dunkeln im Wald unterwegs nen Pfennig in der Tasche machte sich der ledige Brauer 1900 auf den Weg nach Hause. Er kehrte in einer Schwabmünc­hner Wirtschaft ein und beobachtet­e dort, wie der Käsersohn Mathias Simnacher aus Reichertsh­ofen einen Hunderter wechseln ließ.

Der Jugendlich­e hatte für seinen Vater Butter und Käse nach Schwabmünc­hen gebracht. Den Beutel mit dem erhaltenen Kleingeld legte Mathias Simnacher in eine Butterkist­e, die sich auf seinem Wagen befand. Dann fuhr er nach Hause. Was er nicht ahnte: An seine Fersen heftete sich Maugg.

In einer Talsenke zwischen Scherstett­en und Mittelneuf­nach, vermutlich nahe dem Geiselhof, schnitt er plötzlich dem 15 Jahre alten Burschen den Weg ab und forderte Geld. Simnacher rückte zu- zu sein. Heute ist mir der Wald vertraut. Da habe ich keine Angst mehr. Es gibt allerdings Momente, wo mich auch heute noch ein mulmiges Gefühl befällt: Wenn ich bei einbrechen­der Dunkelheit vom Hochsitz zum Auto zurückgehe und in den stockfinst­eren Fichtenwal­d eintauche. Nur gut, dass ich nicht alleine bin und mein treuer Jagdhund Arco mich begleitet.

Im Königreich Bayern hatten Waldpflege und Jagd einen besonderen Stellenwer­t. Gab es damals auch schon eine

nächst nur eine Mark heraus. Doch Maugg wurde handgreifl­ich und riss den Geldbeutel an sich. In Schwabegg kehrte er ein und verzechte zwei Mark.

nachhaltig­e Forstwirts­chaft, wie sie heute in Bayern betrieben wird?

Droste: In die Zeit des Königreich­s fällt der Wiederaufb­au des in den Jahrhunder­ten zuvor durch Raubbau und Übernutzun­g geschunden­en und geplündert­en Waldes. Das gilt für Schwaben wie für ganz Bayern. Der Begriff der Holznot war in aller Munde. Die Sicherung künftiger Holzerträg­e ist daher das zentrale Ziel der nachhaltig­en Waldbewirt­schaftung. Nachhaltig­keit im umfassende­n Sinn, wie wir Förster sie heute verstehen, die alle Leistungen des Waldes im Fokus hat – von der Holzproduk­tion über die Erholung bis hin zum wertvollen Lebensraum –, die gab es noch nicht.

Fragen: Maximilian Czysz

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Hubert Droste

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