Umständliche Umstände
Schluss mit Wallekleid! Schwangerenmode hat sich gewandelt – aber einfacher ist die Kleiderfrage deswegen nicht
Dem Geschmack sind fast keine Grenzen gesetzt
Ein Umstand ist zeitraubend und überflüssig, schreibt der Duden. Außerdem verzögert er die Ausführung von etwas Wichtigerem. „In anderen Umständen“sind bis heute Frauen, die ein Kind erwarten. Das Wort „schwanger“war lange Zeit regelrecht verpönt. So empfahl etwa das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm Mitte des 19. Jahrhunderts eine „feinere“Umschreibung wie: „sie ist in guter Hoffnung“, oder eben „in anderen Umständen“.
Die Schwangerschaft wurde aber nicht nur sprachlich verhüllt, auch das Gewand verschleierte und kaschierte den Zustand der Frau. Der Grund dafür ist so simpel wie paradox: Dem Kinderkriegen schwang stets etwas Anrüchiges mit. Denn ein kugelrunder Bauch offenbart das vorausgegangene Begehren, die Sexualität. Und die war nun mal lange Zeit schambehaftet.
Genau das spiegelte sich in den Kleidern. Lange Zeit gab es keine Kollektionen für Schwangere. Frauen trennten einfach die Nähte ihrer Kleider auf, setzten Stoffbahnen ein. Viele zogen sich bis zur Geburt auch aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Da Experten zu der Zeit glaubten, langes Liegen sei gut für Mutter und Kind, genügte oft schon das Nachthemd.
Frauen, die am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollten, hatten es nicht leicht. Das änderte erst Lena Himmelstein Bryant. Die amerikanische Designerin fertigte 1904 ein Kleid speziell für Schwangere. Sie nähte einen Faltenrock mit einem elastischen Band an ein Oberteil. Das Teekleid war derart gefragt, dass es kommerziell gefertigt und verkauft wurde. Damit übernahm das Modelabel Lane Bryant zwar eine Vorreiterrolle, doch Mode für Schwangere blieb betuchten Frauen vorbehalten.
Alle anderen bedienten sich der jeweils aktuellen Garderobe, nur eben in anderer Größe: Zogen Kleider mit herabgesetzter Taille in den 20er Jahren an, Trapezkleider zehn Jahre später. Und sie griffen zu Hosen, als diese im Trend waren. So auch Barbara Siebeck, die Frau des Fotografen Wolfram Siebeck. Der veröffentlichte 1960 ein Foto von ihrem Babybauch in einer Jugendzeitschrift. Sie trug eine aufgeknöpfte Jeans, in der ein langärmeliges T-Shirt steckte. Skandal! Denn obwohl Frauen in der Zeit ein Bewusstsein für sich und ihren Körper entwickelten, Schnitte enger und bunter wurden – die Schwangerschaft blieb ein Tabu. Das änderte sich erst 30 Jahre später: Als sich Demi Moore 1991 hochschwanger und völlig nackt auf dem Titel des britischen Magazins Vanity
Fair zeigte.
Heutzutage muss sich keine werdende Mutter mehr in formlosen Kleidern oder labberigen Latzhosen verstecken. Im Gegenteil. Die neun Monate werden geradezu zelebriert. Der Bauch in Szene gesetzt – mit großen Schleifen, Streifen oder Blumenmustern. Der neuste Trend: Bleistiftröcke – eng anliegend und gerade geschnitten. Etliche Zeitschriften geben Tipps dazu. Ein Muss im kommenden Frühling sind außerdem Jeansstoffe, gehäkelte Kleider und Shirts mit Volants. Gerne in frischen, kräftigen Farben wie Gelb, Rot oder Koralle, kombiniert mit Blau- oder Cremetönen. Den modischen Vorlieben sind fast keine Grenzen gesetzt. Nur eines, das darf die Schwangere von heute auf gar keinen Fall mehr: unvorteilhaft aussehen. Sprich, schlicht zu Übergrößen greifen, oder schlimmer, in den Kleiderschrank ihres Partners. Weil der Bauch ja nicht zur Geltung käme, wenn das übergroße Shirt am Rücken schlabbert.
Designer haben die Marktlücke längst erkannt. Zum Beispiel die amerikanische Popsängerin Jessica Simpson: Seit knapp fünf Jahren entwirft sie eine Modekollektion für Schwangere. Sie soll damit mehrere hundert Millionen Dollar jährlich umsetzen. Die Motivation, werdende Mütter einzukleiden, sei aber nicht das Geld, beteuert die aktuell wieder hochschwangere, zweifache Mutter, sondern der Umstand, dass sie selbst jedes Mal Probleme gehabt habe, Klamotten zu finden, die ihr gefielen.
Dabei hat auch die Bundeswehr inzwischen Dienstuniformen und Feldbekleidung für Schwangere. Es gibt selbst Hochzeitsdirndl von der Stange für Hochschwangere. Die Zeiten haben sich geändert – aber mit ihnen die Probleme. Seit etwa zwanzig Jahren bieten Hersteller von Umstandsmode zwar Jeans mit Baucheinsätzen, trendige T-Shirts und stützende Bauchbänder an – aber meist nur online. Vielen Frauen nutzt das nichts: Denn mit dem Bauch wächst auch die Unsicherheit. Der Körper verändert sich, Klamotten wirken anders. Viele wissen nicht mehr, zu welcher Größe sie greifen sollen, was bequem auf der Haut liegt und welcher Schnitt nicht kneift.
Zudem hat sich inzwischen auch das Bewusstsein verändert. Viele meiden der Umwelt zuliebe Onlinekäufe. Bevorzugen nachhaltige, regional gefertigte Produkte – auch in der Mode. Eine davon ist Bettina Deiniger, 32, aus Bobingen. Die zweifache Mutter hat deshalb vor zwei Jahren entschieden, sich selbstFarben ständig zu machen. Nun vertreibt die ehemalige Gebietsverkaufsleiterin Umstandsmode unter dem Namen Momelino. Genäht werden die meisten Teile aus Bambusfaser oder Bio-Baumwolle in Europa oder in der Türkei. In ihrem Laden hängen schwarze Umstandsleggins für 24,95 Euro ebenso wie weinrote Businesshosen für 69,95 Euro.
In München haben sich längst mehrere Läden auf Mütter spezialisiert. Einige bieten auch etablierte Marken anderer Händler an, beispielsweise von Mia Seipel, der Gründerin von Boob Design. Die Schwedin bezeichnet Umstandsmode als Ausrüstung für Superhelden – also für Mütter. Die Kleidung muss in ihren Augen vor allem eines sein: praktisch. Das heißt zum Beispiel, dass sie eben auch nach der Schwangerschaft, zum Stillen getragen werden kann. So haben die meisten Blusen Knöpfe oder Eingriffe, um schnell das hungrige Baby zu stillen, ohne dass sich Frau komplett entblößen muss. Praktisch heißt auch, dass sich dank Einsätzen aus Reißverschlüssen eine Umstandswinterjacke in eine normale Winterjacke verwandeln lässt.
Im Durchschnitt ist eine Frau in Deutschland 1,6 Mal schwanger. Sie trägt die meisten Teile daher nur für wenige Monate. Danach liegen sie oft ungenutzt im Schrank. Das wollten die Magdeburger Hendrik Scheuschner und Patrick Trübe nicht hinnehmen. Sie gründeten 2014 das Start-up Kilenda – erst nur um Babyklamotten zu vermieten. Aufgrund der großen Nachfrage bietet die Plattform nun auch Umstandsmode zum Mieten an – vom weißen Blusenshirt mit Volants für 15 Euro im Monat bis zum orangefarbenen, knielangen Rock mit Taschen für 13,20 Euro.