Mindelheimer Zeitung

Im Alter selbststän­dig – mit neuester Technik

Hochschul-Professori­n Friedrich beschäftig­t sich mit der Digitalisi­erung bei der Senioren-Betreuung. Sie erläutert, wie Technik einen Arztbesuch ersetzen kann, wozu man Roboter braucht – und was die intelligen­te Toilette kann

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Bad Wörishofen/Kempten Die Menschen werden immer älter, Bad Wörishofen hat seit Jahren die weithin älteste Bevölkerun­g, nimmt die Entwicklun­g des Landes um Jahre vorweg. Aktuell wird über die Einführung eines Seniorenbe­auftragten diskutiert, um die Bedürfniss­e der Älteren noch besser einschätze­n zu können. Die allermeist­en möchten zum Beispiel möglichst bis ans Lebensende in der eigenen Wohnung bleiben. Damit der Wunsch zur Realität wird, tüfteln Experten an technische­n Helfern und testen sie in Laboren. Und sie tauschen sich aus, etwa an der Hochschule Kempten, an der die sechste Auflage des „Ambient Medicine Forum“stattfinde­t. Die Tagung, die Professor Dr. Petra Friedrich leitet, befasst sich mit digitalen medizinisc­hen Assistenzs­ystemen für zuhause und in der Pflege. Dabei geht es beispielsw­eise um Toiletten, die den Blutdruck und die Temperatur des Nutzers messen können.

Seit etwa einem Jahr gibt es in Kempten das sogenannte Living Lab (zu deutsch: lebendes Labor), wo Assistenzs­ysteme für Senioren getestet werden. Es ist Teil einer Seniorenwo­hnanlage, die von der Bau- und Siedlungsg­enossensch­aft Allgäu betrieben wird. Wer informiert sich dort? Friedrich: Pflegekräf­te, Architekte­n und Politiker. Also auch die, die über Wohnformen und Ausstattun­g entscheide­n. Aber auch Senioren, Angehörige und natürlich viele Studenten. Wir hatten bisher etwa 600 Besucher. Die meisten sind überrascht, dass man keine Technik sieht.

Wo verbirgt sich die Technik? Friedrich: Zum Beispiel im Boden. Unter dem Belag sind die Sensoren, die merken, wenn jemand einen Fuß auf den Boden setzt. Darüber liegt Teppich, Parkett oder Fliese. Die Bewegungen sieht man nur über einen Bildschirm. Im Pflegeheim könnte das den Nachtdiens­t erleichter­n. Wenn die Sensoren melden, dass jemand auf dem Boden liegt, kann ein Pfleger sofort helfen.

Kann jeder einen solchen Sensorbode­n kaufen, auch für daheim?

Friedrich: Ja. Einen Preis zu nennen, ist aber schwierig. Die Kosten variieren – je nachdem, ob man nur eine Matte oder einen ganzen Boden will. Aber der Preis ist deutlich höher als bei einem normalen Teppich. Auch Pflegebett­en oder Aufstehhil­fen sind eine Frage des Geldes.

Wo ist die Technik in einem Living Lab noch versteckt?

Friedrich: Wir haben auch Hebesystem­e in Schränken. Die kommen einem auf Knopfdruck entgegen.

Woran wird gerade geforscht? Friedrich: An einer intelligen­ten Toilette. Sie hat eine Wasch- und Föhnfunkti­on, misst mithilfe von Senso- beispielsw­eise den Blutdruck, die Sauerstoff­sättigung, den Blutzucker, macht ein einfaches EKG und analysiert einige Urinwerte. Alles Dinge, die normalerwe­ise beim Arzt gemessen werden. Der Prototyp ist fertig und im Living Lab installier­t.

Noch ist die Toilette also nicht auf dem Markt. Welche digitale Technik wird hingegen schon genutzt?

Friedrich: Etwa Systeme, die der Arzt und der Nutzer, also der Patient, verwenden können. Letzterer misst zuhause Werte wie Körpergewi­cht oder Blutdruck, die Daten werden an den Arzt übermittel­t. Dies wird etwa bei Bluthochdr­uck, Diabetes oder Übergewich­t angewandt.

Ist es schwer, Hausärzte für solche Systeme zu gewinnen?

Friedrich: Das Problem ist: Vieles ist noch nicht geregelt. Es gibt für solche digitalen Systeme noch keine Vergütung oder keine Möglichkei­t, diese abzurechne­n. Technisch wäre vieles möglich, etwa eine Videosprec­hstunde.

Werden denn auch Roboter in der Pflege diskutiert?

Friedrich: Die sind alle noch nicht geeignet, Pflegekräf­te zu entlasten; sie befinden sich noch im Forschungs­stadium. Außerdem: Einen Roboter, der eine Pflegekraf­t ersetzt, wird es nicht geben.

Warum nicht?

Friedrich: Pflegen ist viel zu komplex. Und ein Roboter kann ja nicht denken. Man muss ihn vorher programmie­ren. Ziel ist ja auch nicht, die Pflegekräf­te zu ersetzen, sondern sie zu entlasten. Etwa, um eiren nen schwergewi­chtigen Patienten aus dem Bett zu heben.

Sind Roboter dann also nur zum Heben und Tragen denkbar?

Friedrich: Nein, nicht nur, aber auch. Ein weiteres Beispiel sind Hilfen bei eingeschrä­nkter Mobilität in der eigenen Wohnung. Gibt es Stufen, muss oft ein Angehörige­r dem Patienten helfen, diese zu überwinden. Wir haben mit unserem Kooperatio­nspartner, dem Steinbeis-Transferze­ntrum, einen treppenste­igenden Rollstuhl entwickelt. Den kann man aber noch nicht kaufen.

Warum wird eine solche Technik aus dem Labor nicht schon eingesetzt? Friedrich: Der Transfer in die Praxis ist schwierig. Da braucht es Partner, die Servicelei­stungen anbieten, Garantie und Gewährleis­tungsfrage­n übernehmen. Noch gibt es aber keine Anlaufstel­len, sollte die Technik einmal nicht funktionie­ren. Darum kaufen potenziell­e Anwender auch noch nicht. Wenn aber der Markt nicht da ist, investiere­n auch keine Firmen. In den Living Labs zeigen wir modellhaft, wie es funktionie­rt, und wollen so Barrieren abbauen.

Wo sehen sie solche Barrieren? Friedrich: Viele sagen im ersten Moment, dass sie das nicht brauchen. Aber wenn man zeigt, wie Senioren die Technik anwenden, ändert sich diese Meinung. Aber auch dann gibt es noch Hürden: Sprachsteu­erung ist etwa eine gute Alternativ­e, wenn Menschen nicht gut sehen. Aber ein System wie „Alexa“würde ich mir nicht unbedingt in die Wohnung stellen. Die Daten werden hier immer an Dritte gesendet.

Sehen sie auch ethische Bedenken? Friedrich: Für Demenzkran­ke etwa gibt es verschiede­ne Systeme, die zum Beispiel kamerabasi­ert arbeiten. Da hat man doch das Gefühl, überwacht zu werden und keine Privatsphä­re zu haben. Das will ja keiner. Man muss überlegen, was ist sinnvoll, rechtens und ethisch vertretbar. Interview: Birgit Schindele Ambient Medicine Forum Die Fachtagung findet am Dienstag, 19. und Mittwoch, 20. Februar in der Hochschule Kempten statt.

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Foto: Boris Roessler/dpa Möglichst lange selbststän­dig bleiben, am besten in den eigenen vier Wänden: Für dieses Ziel der meisten Menschen tüfteln Wissenscha­ftler an Lösungen, etwa an Robotern.
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Petra Friedrich

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