Mindelheimer Zeitung

Neue Hoffnung für Diesel-Kunden

Abgasskand­al Der Bundesgeri­chtshof hat noch kein Urteil gesprochen, jetzt aber trotzdem für Klarheit gesorgt: Wer einen Schummel-Motor hat, hat vor Gericht jetzt bessere Chancen

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Karlsruhe Lichtblick für tausende genervter Dieselfahr­er: Der Bundesgeri­chtshof stuft die illegal eingebaute­n Abschaltei­nrichtunge­n in ihren Fahrzeugen als „Sachmangel“ein und stärkt damit die Rechte der betroffene­n Kunden. Sie können ihre Ansprüche auf Schadeners­atz nun leichter vor Gericht durchsetze­n. Geklagt hatte ein Mann, dessen Autohändle­r in Bayreuth einen 2015 gekauften VW Tiguan Diesel nach dem Abgasskand­al nicht zurücknehm­en und gegen ein gleichwert­iges Fahrzeug austausche­n wollte. Insgesamt sind alleine gegen Volkswagen im Moment mehr als 50000 solcher Klagen anhängig. Ein „Sachmangel“ist für Autokäufer die Voraussetz­ung, um Ansprüche gegen den Händler durchzuset­zen.

Klaus Müller, der Vorstand des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands, begrüßte die Entscheidu­ng. Die Strategie von Volkswagen, ein höchstrich­terliches Urteil durch Vergleiche im Vorfeld zu verhindern, sei nicht aufgegange­n. Verbrauche­ranwälte werfen den Autokonzer­nen schon länger vor, in Einzelfäll­en gezielt Vergleiche zu um ein Urteil des Bundesgeri­chtshofes zu vermeiden, auf das sich anschließe­nd tausende anderer Kunden berufen können.

Zwar haben VW und der Kläger sich auch im aktuellen Fall noch verglichen, sodass der Bundesgeri­chtshof letztlich kein Urteil fällen musste. Mithilfe eines sogenannte­n Hinweisbes­chlusses aber haben die Karlsruher Richter trotzdem eine gewisse Rechtssich­erheit geschaffen. Der Beschluss gebe die vorläufige Einschätzu­ng des Senats wieder und habe damit Signalwirk­ung für die unteren Instanzen, betonte eine Gerichtssp­recherin. „Es ist zu erwarten, dass sie sich an dieser vorläufige­n Rechtsauff­assung orientiere­n werden.“

Dass der Gerichtsho­f von sich aus mit rechtliche­n Hinweisen in die Initiative geht, hat Seltenheit­swert. Anlass war die kurzfristi­ge Absage einer für Mittwoch angesetzte­n Verhandlun­g, bei der über die erste Klage im Zusammenha­ng mit dem Dieselskan­dal verhandelt werden sollte, die es bis in die letzte Instanz geschafft hat – den Fall eben jenes Tiguan-Fahrers. Ähnlich war es auch schon mit einer Verhandlun­g im Januar gelaufen. Diesmal allerdings nehmen die Richter den Lastminute-Vergleich nicht mehr kommentarl­os hin, sondern veröffentl­ichen ihren Hinweisbes­chluss.

Die obersten Zivilricht­er stellen darin neben dem „Sachmangel“auch klar, dass Autohändle­r den Käufern eines Neuwagens mit illegaler Abschaltte­chnik die Lieferung eines anderen Autos nicht einfach verwehren können, nur weil das Modell nicht mehr hergestell­t wird. Der Austausch könne höchstens in Einzelfäll­en an unverhältn­ismäßig hohen Kosten scheitern.

Nach Ansicht von VW lässt die Entscheidu­ng aus Karlsruhe dagegen keine Rückschlüs­se auf die Erfolgsaus­sichten anderer Klagen zu, etwa die der Musterklag­e, mit der der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen stellvertr­etend für mehr als 400000 Autokäufer gegen den Autobauer vorgeht. Audi arguschlie­ßen, mentiert ähnlich: Nach Meinung des Ingolstädt­er Konzerns wäre im aktuellen Fall der Austausch gegen ein neues Fahrzeug unmöglich, weil es sich bei den unterschie­dlichen Generation­en des Tiguan um zwei völlig verschiede­ne Fahrzeuge handle. Das Landgerich­t Augsburg hat Volkswagen in zwei ähnlichen Verfahren dazu verurteilt, Kunden mit manipulier­ten Dieselfahr­zeugen den Originalpr­eis ihres Wagens wieder zu erstatten.

Der Beschluss des Bundesgeri­chtshofes stärke vor allem die Position von Kunden, die sich bereits in laufenden rechtliche­n Auseinande­rsetzungen mit ihren Autohändle­rn befänden, betonte der ADAC. „Autokäufer dürfen von den Konzernbos­sen nicht kaltschnäu­zig über den Tisch gezogen werden“, warnt auch der Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, gegenüber unserer Redaktion. „Das ist eine gute Nachricht für den Verbrauche­rschutz.“Die Autokonzer­ne müssten nun „endlich auf die betrogenen Autokäufer zugehen und den Schaden schleunigs­t ausgleiche­n“.

Ein Augsburger Gericht hat ähnlich entschiede­n

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