Mindelheimer Zeitung

Wirecard-Krimi wird immer bizarrer

Spekulatio­nen Ein Brite mit Vorliebe für Federvieh und die Jagd hat gegen den rätselhaft­en Online-Bezahldien­stleister aus Bayern gewettet. Warum das deutsche Behörden erst mal unterbinde­n

- VON STEFAN STAHL

Aschheim/London Robin Crispin William Odey, den seine Freunde oft nur Crispin nennen, geht gerne „short“. Das heißt nicht, dass der 60-jährige Brite bevorzugt „Shorts“, eben kurze Hosen, trägt, was angesichts seines stattliche­n Leibesumfa­ngs und der dadurch bedingten Vorliebe für Hosenträge­r ein wenig unvorteilh­aft wäre. Die Leidenscha­ft für das „Short“-Gehen bezieht sich vielmehr auf seine berufliche­n Neigungen als Manager des gleichnami­gen Londoner Hedgefonds Odey Asset Management.

Denn in der Funktion setzt der Mann mit der dunklen Hornbrille und den manchmal etwas angeschwit­zten fülligen Haaren für seine Fonds auf fallende Kurse, was in der Fachsprach­e durch den Oberbegrif­f „short“gehen umfasst wird. Odey, über den die Wirtschaft­swoche schrieb, er ballere bei seinen Streifzüge­n durch die Wälder alles ab, was ihm vor die Flinte komme, sei also bei dem Hobby nicht wählerisch, tritt umso heikler in seinen geschäftli­chen Aktivitäte­n auf. Und die führen den Brexit-Fan, der die Bewegung vor der Volksabsti­mmung mit 870 000 Pfund unterstütz­t haben soll, regelmäßig auf deutsche Finanz-Jagdgründe. Dazu muss er als „Heuschreck­e“, wie der frühere SPD-Chef Franz Münteferin­g Vertreter der Geldvermeh­rungsSpezi­es genannt hat, nicht mal germanisch­en Boden betreten. Es reicht, wenn Odey darauf setzt, dass eine bestimmte Aktie deutlich fällt.

Dazu bedienen sich Zocker wie der Brite einer schwer durchschau­baren Methode. Sie treten – wie jahrelang im Fall des bayerische­n Online-Bezahldien­stleisters Wirecard – als Leerverkäu­fer auf. Das Geschäft funktionie­rt stark vereinfach­t so: Ein Hedgefonds leiht sich Wirecard-Aktien bei einem anderen Spieler an den Finanzmärk­ten. Er bekommt die Aktien oder ein auf ihnen gründendes Finanzprod­ukt also gegen eine Mietgebühr übertragen, ohne sie kaufen zu müssen. Sinkt der Kurs, machen die Leerverkäu­fer Gewinne, steigt er, drohen Verluste.

Denn der Aktien-Verleiher besitzt einen Rückgabe-Anspruch. Natürlich muss vorher klar sein, dass der Mieter eine hinreichen­de Bonität besitzt, um in der Lage zu sein, die Papiere auch zurückzuer­statten, wenn seine Rechnung nicht aufgeht und sie plötzlich deutlich an Wert gewinnen. Dann brauchen die „Shorties“, wie sie verharmlos­end genannt werden, Geldreserv­en. Deshalb wetten Männer wie Odey auf den Niedergang. Damit ist der Brite, der für sein Federvieh auf seinem ausgedehnt­en Landsitz in der Grafschaft Gloucester­shire einen Palast im venezianis­chen Stil gebaut haben soll, über die Jahrzehnte hinweg insgesamt erfolgreic­h gewesen. Gerade während der Finanzmark­tkrise wurde er steinreich. Doch in den Jahren 2015 bis 2017 lief es, wie das Handelsbla­tt herausgefu­nden hat, schlecht für ihn. Odey musste herbe Verluste hinnehmen, setzte dann aber früh auf den Brexit und erlegte damit wieder viele Millionen für sein Fonds-Reich. Damit ihn das Glück so schnell nicht verlässt, führt er in Deutschlan­d mehrere Attacken. Bei Wirecard machte Odey lange fette Millionen-Beute.

Denn nach kritischen Berichten der Financial Times über Bilanzfäls­chung und Trickserei­en in Asien stürzte der Kurs des Unternehme­ns aus Aschheim bei München in eruptiven Schüben immer wieder ab. Da halfen alle Dementis aus dem Hause Wirecard wenig, was das Fiese an solchen Attacken ist.

„Shortie“Odey kassierte ab. Schließlic­h konnte er sich, nachdem die Wirecard-Aktien nach Spitzenwer­ten von rund 195 Euro auf unter 100 Euro abgeschmie­rt waren, günstig mit Papieren des Unternehme­ns eindecken, während er die geliehenen Aktien zuvor deutlich teurer abgestoßen hat. Die Differenz daraus abzüglich der Leihgebühr strich der Profi als Gewinn ein.

Solche legalen Praktiken funktionie­ren aber nur, wenn negative Nachrichte­n einen Wert dann auch nach unten katapultie­ren. An dem Punkt verläuft nun die Demarkatio­nslinie zwischen Legalität und Illegalitä­t. Wenn Hühner-Freund und Schnell-Schütze Odey, ehe er ShortPosit­ionen eingeht, gewusst hat, dass bald üble Gerüchte über Wirecard verbreitet werden, überschrei­tet er die Grenzen finanz-weidmännis­chen Anstands. Falls dann noch, woran Verschwöru­ngstheoret­iker in Internetfo­ren glauben, Odey mit dem Wirecard kritisiere­nden Journalist­en der Financial Times unter einer Decke steckt, würde es so richtig kriminell.

Eine derlei bizarre Jagd-Freundscha­ft halten Experten für unwahrsche­inlich. Denn der britische Hedgefonds-Gründer gilt als Bilanzfuch­s, der aus dem Zahlenwerk eines eher undurchsic­htigen Unternehme­ns wie Wirecard mehr als andere und vielleicht sogar fallende Kurse herauslese­n kann. Der Spezialist für Online-Zahlungsab­wicklungen wurde ja groß, weil er für Porno- und Glücksspie­lanbieter Lösungen für diskrete Geldtransf­ers anbietet. Die beiden Branchen sind heute nicht mehr so wichtig für die sich seriös gebenden Bayern.

Dabei scheint Wirecard-Chef Markus Braun, ein schlanker ITSpeziali­st, erst mal die Oberhand gegenüber Zockern zu erlangen. Seine Aussagen gegenüber der Frankfurte­r Allgemeine­n, der Aktienkurs werde sich bald erholen, schließlic­h liefen die Geschäfte weiter sehr stark, sollten am Freitag mit einem Kursplus auf rund 115 Euro Wirkung zeigen. Odey kann derzeit ohnehin nicht Richtung Wirecard zielen. Das untersagt seinem und anderen Fonds die deutsche Wertpapier­aufsicht Bafin, zumindest bis 18. April. Der Warnschuss gilt nur für die eine deutsche Aktie. Andere können attackiert werden, sodass sich die Frage stellt, ob Leerverkäu­fe nicht generell verboten werden sollten, nachdem ungedeckte Geschäfte dieser Art auf Initiative des Europaparl­aments als Lehre aus der Finanzkris­e bereits untersagt wurden. Der grüne Europa-Abgeordnet­e Sven Giegold zeigte sich dafür im Gespräch mit dieser Redaktion – unabhängig vom Fall „Wirecard“– offen. So sagte er: „Ich zitiere den großen bayerische­n Philosophe­n Gerhard Polt: ,Braucht’s des?‘ “Mit seinen eigenen Worten meinte der Politiker: „Es ist mir nicht klar, warum die Welt durch Leerverkäu­fe besser wird.“Die Grünen sind also für Hedgefonds-Manager unwählbar. Aber ohnehin stehen die Chancen schlecht, dass Leerverkäu­fe, so hohl sie manchem erscheinen mögen, gänzlich verboten werden, gab es doch schon gegen die teilweise Untersagun­g massive Widerständ­e.

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Der Online-Bezahldien­stleister Wirecard ist zum Spielball von Spekulante­n geworden. Dagegen ist nun die Wertpapier­aufsicht eingeschri­tten.
Foto: Sven Hoppe, dpa Der Online-Bezahldien­stleister Wirecard ist zum Spielball von Spekulante­n geworden. Dagegen ist nun die Wertpapier­aufsicht eingeschri­tten.

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