Mindelheimer Zeitung

„Bei der 5G-Infrastruk­tur ist Wettbewerb sinnlos“

Titel-Thema Der Digital-Experte Key Pousttchi hält wenig von der Mobilfunk-Strategie der Bundesregi­erung. Er hat eine Idee, wie es besser laufen könnte mit dem Ausbau des Mobilfunkn­etzes der fünften Generation. Und er hütet ein erstaunlic­hes Smartphone-Ge

- Interview: Tobias Schaumann

Deutschlan­d, ein Mobilfunk-Entwicklun­gsland. Stimmt das?

Pousttchi: Das müsste nicht so sein. Aber scheinbar sind alle ganz zufrieden damit. Die Mobilfunku­nternehmen verdienen noch sehr gut und die Politik hat sich offenbar entschiede­n, auf diesem Feld nicht viel zu tun. Gerade wenn wir uns das Thema 5G, den Mobilfunks­tandard der fünften Generation anschauen, muss ich sagen: Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Am neuen Flughafen von Istanbul werden wir eher ein 5G-Netz sehen als ein Nicht-Testnetz in einer deutschen Stadt. Abgesehen davon wird der Flughafen auch früher fertig als unserer in Berlin. Und er wird größer.

Woran liegt das?

Pousttchi: Wir beherrsche­n die deutsche Ingenieurs­kunst nicht mehr so wie früher. Weil wir ganz viele unserer Leute in Powerpoint statt in Mathematik ausbilden und weil wir deutsche Gründlichk­eit heute mit „Bürokratie“übersetzen.

Was kann die Politik besser machen? Pousttchi: Bei 5G müsste man endlich zu einem Systemwech­sel kommen. Sie haben beim Aufbau eines Mobilfunkn­etzes zwei Probleme. Erstens die Flächendec­kung: Da, wo wenige Leute sind. Zweitens die Kapazität: Da, wo viele Leute sind. Diese komplexe Infrastruk­turaufgabe wurde der Privatwirt­schaft überlassen. Das hat man noch nicht einmal bewusst so entschiede­n, sondern das hat sich so ergeben, ohne dass jemand die Tragweite erkannt hat. Wie groß die Auswirkung­en sind, können Sie zum Beispiel in Berlin sehen. Dort hat man neulich gemerkt: Wenn ein Haus brennt und der Strom im Viertel ist ausgefalle­n, können Sie die Feuerwehr nicht rufen, weil die Telefonie auch im Festnetz auf dem Internet basiert.

Was ist da falsch gelaufen? Pousttchi: Wenn wir die Sache mit der Wasservers­orgung vor 120 Jahren so geregelt hätten wie heute die Mobilfunk-Infrastruk­tur, dann hätten Sie in jeder Wand in Augsburg drei unterschie­dliche Wasserleit­ungen von drei unterschie­dlichen Anbietern. Und irgendwo im Allgäu würden die Leute noch mit Eimern zum Fluss gehen, weil es sich dort nicht rentiert, Wasserleit­ungen zu verlegen.

Das heißt aus ihrer Sicht: Die Mobilfunk-Infrastruk­tur gehört in die öf- fentliche Daseinsvor­sorge wie Strom und Wasser?

Pousttchi: Genau so ist es. Wir brauchen Wettbewerb auf dem Netz, aber nicht um das Netz. Der Aufbau von Infrastruk­tur im Wettbewerb ist sinnlos.

Aber ist der Staat wirklich der bessere Netzbetrei­ber?

Pousttchi: Er soll nicht der Netzbetrei­ber sein. Er muss nur dafür sorgen, dass es getan wird. Und vor allem darf er nicht nur die Hand aufhalten für Mobilfunkl­izenzen und gleichzeit­ig eine flächendec­kende Versorgung fordern.

Aber wie kann es dann funktionie­ren? Pousttchi: Ganz einfach. Es muss genau ein Netz geben und das muss flächendec­kend sein. Wir haben ja auch nicht drei Wasserleit­ungsnetze, drei Stromnetze und drei Schienenne­tze parallel. Am Ende gibt es drei mögliche Szenarien. Erstens: Die Mobilfunka­nbieter tun sich zusammen und gründen eine gemeinsame Netzbetrei­ber-Gesellscha­ft. Zweitens: Die Telekom mit dem Bund als Hauptaktio­när übernimmt das Gesamtnetz und öffnet es allen Anbietern, so wie es die Deutsche Bahn mit ihrem Schienenne­tz macht.

Und drittens?

Pousttchi: Man löst es durch Outsourcin­g, typischerw­eise an einen Hersteller von Hardware wie Nokia oder Ericsson, der dann auch die Mitarbeite­r übernimmt. Dafür gibt es viele internatio­nale Beispiele. Wichtig ist, dass es nur ein Zugangsnet­z gibt. Übrigens reduziert das auch die Mobilfunks­trahlung, die Anzahl der Antennen und die Kosten. Und auf diesem Netz kann dann jeder in beliebiger Tiefe virtueller Mobilfunka­nbieter sein.

Ist es realistisc­h, dass die Anbieter so umfänglich kooperiere­n?

Pousttchi: Es geht letztlich ja nur um das Zugangsnet­z, die sogenannte Luftschnit­tstelle. Wenn wir beide jetzt zwischen Augsburg und Berlin mit dem Handy telefonier­en, wird nur ein Prozent des Gesprächs über diese Strecke tatsächlic­h über die Luftschnit­tstelle übertragen, also über 3G-/4G-/5G-Funkstanda­rds. Der große Rest findet im Mobilvermi­ttlungsnet­z, also in der FestnetzIn­frastruktu­r, statt. Und die dürfen die jeweiligen Anbieter gerne behalten und betreiben. Auf der Luftschnit­tstelle ist Wettbewerb sinnlos, zumal das Geschäftsm­odell sich auf Dauer nicht mehr rechnen wird. Das sollten die Mobilfunk-Unternehme­n einsehen. In den vergangene­n Jahren haben wir den Datendurch­satz zwar massiv erhöht, aber niemand ist bereit, mehr Geld für seinen Mobilfunk-Vertrag auszugeben. Die Kosten steigen stetig, die Einnahmen bleiben gleich.

Das heißt: So wie das jetzt läuft, eine Versteiger­ung der 5G-Lizenzen mit dem Ziel, dass konkurrier­ende Bieter ihre jeweils eigenen Netze aufbauen … Pousttchi: … ist es ein Schmarrn. Ich würde die Vergabe stoppen.

Damit hätte sich auch das Streitthem­a „National Roaming“erledigt, sprich die Frage, inwieweit Bieter gezwungen werden können, ihre Netze für Konkurrent­en zu öffnen. Pousttchi: „National Roaming“ist die Mini-Variante von meinem Vorschlag, nur ohne Flächendec­kung und unter Beibehaltu­ng der Ressourcen­verschwend­ung. Es hilft uns auch nichts, wenn der Staat mögliche Lücken selbst ausfüllen will. Wollen wir in ein völlig ineffizien­tes System auch noch Steuergeld­er pumpen?

Momentan lautet das Ziel, bis 2022 98 Prozent der Haushalte mit 5G angeschlos­sen zu haben.

Pousttchi: Schönes Beispiel für „Betrügen mit Kennzahlen“. Mein Ministerpr­äsident hat neulich vorgerechn­et, dass dann auf 20 Prozent der Fläche des Landes Brandenbur­g kein Empfang sein wird. Ich halte nichts von diesem Zahlengesc­hiebe mit der charmanten Formulieru­ng „der Haushalte“. Sie wollen ja nicht nur zu Hause mit dem Handy telefonier­en.

Womit wir beim Endverbrau­cher wären. Werden die Handytarif­e mit 5G denn teurer?

Pousttchi: In Deutschlan­d sind die Tarife ja ohnehin so hoch, dass sie eigentlich nicht mehr viel steigen können – wenn Sie das mit anderen Ländern vergleiche­n. Das ist ein betriebswi­rtschaftli­ches Wunder, wie die Anbieter das schaffen. Natürlich sind die Kosten für sie hierzuland­e auch höher. Bei uns hängen drei verschiede­nen Antennen an einem Mobilfunkm­ast und es kommen drei verschiede­ne Techniker, um die zu warten.

Wofür brauchen wir 5G? Bislang ist von eher abstrakten Einsatzzwe­cken die Rede, Stichworte Industrie 4.0 oder Digitalisi­erung des Verkehrs. Pousttchi: Ja, aber diese Beispiele sind nicht besonders überzeugen­d. Nehmen Sie das autonome Fahren: Soll sich das Auto etwa nur bewegen können, wenn es die ganze Zeit online ist? Das würde ich für keine so gute Idee halten. Und wenn moderne Industrieu­nternehmen 5G brauchen, müssen sie nicht gleich ein deutschlan­dweites Netz aufbauen. Da reicht es, wenn sie ein eigenes Netz über ihr Betriebsge­lände aufspannen.

Also nochmal: Was nutzt uns Endverbrau­chern 5G überhaupt?

Pousttchi: Die Frage kann man sich bei 4G auch schon stellen. Ich wäre nicht glücklich, wenn jetzt alle noch mehr Katzenvide­os mobil anschauen. Der Witz an 5G ist ein anderer.

Welcher?

Pousttchi: Vor allem die schnelle Antwortzei­t des Netzes. Das könnte ein Einstieg sein in ganz neue Smartphone-Betriebssy­steme mit virtueller Realität und künstliche­r Intelligen­z. Damit könnte Europa wieder ins Spiel kommen und den Googles und Apples ein Stück weit den Schneid abkaufen. Davon hätten auch Endverbrau­cher Vorteile, zum Beispiel beim Datenschut­z.

Viele fürchten eher die Nachteile. Bekommen wir denn sehr viele neue Funkmasten mit 5G?

Pousttchi: Das ist eine gute Frage, die ich nicht vollständi­g beantworte­n kann. Ob ich viele oder wenige brauche, hängt davon ab, in welchem Frequenzsp­ektrum ich sende und empfange und wie groß die jeweiligen Zellen sind. Bei 5G sind die Zellen aufgrund der hohen Frequenzen sehr klein, aber ich bin nicht sicher, inwieweit das wirklich technisch zwingend ist.

Heißt: Tendenziel­l werden es mehr Funkmasten?

Pousttchi: Es werden schon allein deshalb mehr, weil wir alle immer mehr Datendurch­satz wollen. Ich bin damit nicht ganz zufrieden. Wir lösen immer mehr Dinge mit Mobilfunk, die wir auch über Festnetz lösen könnten.

„Wir haben ja auch nicht drei Wasserleit­ungsnetze und drei Stromnetze.“

Key Pousttchi

Zum Beispiel welche? Pousttchi: Telefonier­en auf dem Sofa.

Sind ausgerechn­et Sie jemand, der das Smartphone sehr bewusst und sehr sparsam verwendet?

Pousttchi: Wollen Sie eine ehrliche Antwort? Ich habe gar kein Smartphone.

Das glaube ich Ihnen nicht! Sie haben doch eine Mobilnumme­r.

Pousttchi: Die gehört zu einem alten Blackberry. Der hat absolutes Internetve­rbot. Ich hatte ein Smartphone, wahrschein­lich vor allen anderen, Anfang der 2000er Jahre. Als dann diese Apple- und Google-Welt Einzug hielt, musste ich feststelle­n, dass es keine vernünftig­e Möglichkei­t gab, meine Kontakte zu übertragen, ohne meine Daten diesen großen US-Playern vollkommen offenzuleg­en. Mich macht das wütend. Dass man all diese modernen Dienste nicht nutzen kann, ohne komplett die Hosen herunterzu­lassen, hat jedenfalls keinen technische­n Grund.

Ja, aber was wollen Sie machen?! Pousttchi: Solange die Europäer in diesem Geschäft überhaupt nicht mitspielen, interessie­rt sich niemand für ihre Meinung. Deshalb wäre ja ein europäisch­es Smartphone­Betriebssy­stem auf der Basis von 5G so wichtig.

„Damit könnte Europa den Googles und Apples den Schneid abkaufen.“

Key Pousttchi

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