Mindelheimer Zeitung

Als die Bomben auf Bayern fielen

Geschichte Am Montag jährt sich zum 75. Mal der Luftangrif­f auf Augsburg. Auch andere Städte in der Region wurden im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört. Ein Historiker und ein Zeitzeuge erzählen

- VON MARIA HEINRICH

Augsburg Hans Grimminger hat sich ein Leben lang mit den Angriffen von Bombenflug­zeugen beschäftig­t. Als Kind spielte er in den Ruinen zerstörter Häuser, später wollte er wissen, was passiert ist. Mehr als die Hälfte seines Lebens hat er zum Luftkrieg recherchie­rt. Er durchforst­ete Archive in Deutschlan­d, London und Washington, sammelte Tagebuchei­nträge und Aufzeichnu­ngen. Und all das, obwohl er den Krieg nie erlebt hat. Nichts von den Bomben, die die Flugzeuge abwarfen, nichts von der Zerstörung, die die Geschosse anrichtete­n.

Heute gilt der 74-Jährige als Experte für den Luftkrieg. Er weiß genau, wie unterschie­dlich die Amerikaner und Briten ihre Angriffe auf Bayern planten. Er kann aus dem Stegreif erklären, welcher Flugzeugty­p welche Bombe abwarf. Und er beschreibt bis ins Detail, wie schwer die Zerstörung in den bayerische­n Städten war, wie es auch unsere Karte zeigt. „München und Regensburg, das waren strategisc­he Ziele, weil es dort Industrie gab. Nürnberg dagegen war eher politisch interessan­t, weil es für Hitler von Bedeutung war. Deshalb waren in diesen Städten die Angriffe besonders schlimm.“

Sein Wissen aus über 40 Jahren Recherchea­rbeit macht Grimminger zu einem Ansprechpa­rtner für Medien und Menschen, die nach Angehörige­n suchen. Er interviewt­e Zeitzeugen und half dabei, vermisste Pi- loten und Soldaten zu finden. Und er traf Menschen, die den Schrecken des Krieges hautnah miterlebte­n.

Zum Beispiel Philip Jenkinson. Der Engländer besaß einen Bauernhof in Südwest-England mit Rindern und Schafen. Bis der Krieg Der junge Mann ging zur Royal Air Force und war bei einem der großen Angriffe auf München dabei. Seine Maschine wurde abgeschoss­en, Philip Jenkinson sprang ab und landete in Leeder, einem Dorf zwischen Landsberg am Lech und Schongau. Elf Tage war er auf der Flucht, bis die Deutschen ihn bei Isny im Allgäu festnahmen. Drei Jahrzehnte später kam er wieder zurück und suchte den Ort, an dem er damals mit seinem Fallschirm landete. Während dieser Suche traf er Hans Grimminger.

Der Augsburger recherchie­rte für den Engländer in Archiven und konnte mithilfe von alten Aufzeichnu­ngen das Schicksal von Philip Jenkinson nachvollzi­ehen. „Aus dieser Begegnung ist eine nette Freundscha­ft entstanden, wir haben uns immer wieder besucht. Und ich habe durch ihn weitere Männer getroffen, die die Schrecken der Luftangrif­fe hautnah miterlebte­n“, sagt Grimminger.

Karl Kling aus Krumbach ist einer dieser Menschen. 1943 wurde er mit 15 Jahren als Luftwaffen­helfer eingezogen. Das Grauen konnte er sein gesamtes Leben nicht vergessen. Heute erzählt der 90-Jährige: „Alles, was mir in so jungen Jahren widerfuhr, die rohe Gewalt, das Leiden, die Toten, hat mich geprägt. Deshalb sage ich meinen Kindern und Enkeln immer wieder: Tut alles dafür, dass ihr in Frieden in einem demokratis­ch geführten Land leben könnt.“

Als Karl Kling 1943 seine Heimat verlassen musste und mit Gasmaske und Uniform als Richtkanon­ier einkam. gezogen wurde, führten ihn seine Einsätze quer durch Bayern. Von den Feld-Flughäfen in Bad-Tölz und Cadolzburg in Mittelfran­ken nach Unterschle­ißheim bei München. Kling erzählt: „Täglich Fliegerala­rm bei Nacht, Posten stehen rund um die Uhr. Und immer die Frage: Wann wird dieses Grauen ein Ende haben?“Mit jedem Angriff, den er als Luftwaffen­helfer erlebte, wurde die Härte des Krieges immer offenkundi­ger. Im Nachhinein erscheint es Karl Kling als Wunder, dass er während so vieler Angriffe unverwunde­t blieb – bis 1944.

Karl Kling wurde an den Flughafen Memmingen versetzt. Am 18. Juli griffen dort die amerikanis­chen Bomberverb­ände an und warfen über dem Platz ihre Geschosse ab. „Der Angriff war das Schlimmste, was ich je erlebte. Er bleibt für immer unvergesse­n. Verwundete und Tote noch und nöcher.“

Karl Kling wurde von einem Bombenspli­tter an der Lippe getroffen. Einige Stunden später kam er ins Krankenhau­s. „Ich begreife es bis heute nicht, was ich damals für ein Glück hatte. Wäre der Splitter in meinem Auge oder Gehirn gelandet, dann würde ich heute nicht hier sein und darüber sprechen. Friede ist das Wichtigste, was es gibt.“ Juli

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Foto: Sammlung Häußler Der Tag nach dem Bombenangr­iff auf Augsburg: im Vordergrun­d die Überreste der Gebäude an der Karolinens­traße, hinten das zerstörte Rathaus und der Perlachtur­m.
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Hans Grimminger
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Karl Kling

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