Mindelheimer Zeitung

Eine Frau kämpft für Selbstbest­immung

Porträt Magdalena Federlin wurde schon Ende der 80er Jahre bekannt: Als Einzige akzeptiert­e sie im Memminger Abtreibung­sprozess keine Strafe. Heute hat die dreifache Mutter ein anderes Anliegen

- VON DANIELA HUNGBAUR Stern

Aichach „Ich schäme mich für dieses Land“, sagt Magdalena Federlin und schimpft: „Was hier abläuft, ist Mittelalte­r.“Die 58-Jährige ist sichtlich aufgebrach­t. Grund: Die Diskussion­en um Paragraf 219a, der sogenannte Werbung für Schwangers­chaftsabbr­üche unter Strafe stellt und nun etwas aufgeweich­t wird. „Was für ein armseliges Katzund-Maus-Spiel“, sagt Federlin, verheirate­t, Mutter von drei Söhnen und Kreis- sowie Stadträtin für die Grünen in Aichach-Friedberg. Ihrer Einschätzu­ng nach brauchen Frauen, wenn sie ungewollt schwanger sind, schnell, niederschw­ellig und auch vor Ort Informatio­nen und Beratung, damit sie genügend Zeit haben, sich zu entscheide­n.

Der nun von der Großen Koalition beschlosse­ne Kompromiss schafft gerade dies nach Ansicht von Federlin nicht. Er sieht vor, dass Ärzte und Kliniken zwar auf ihrer Webseite informiere­n dürfen, dass sie Schwangers­chaftsabbr­üche unter den gesetzlich­en Voraussetz­ungen vornehmen. Für weitere Informatio­nen müssen sie aber auf Behörden, Beratungss­tellen und Ärztekamme­rn verweisen. Für Magdalena Federlin eine untragbare Situation: „Wir leben doch in einer zivilisier­ten Gesellscha­ft, oder?“

Magdalena Federlin ist bekannt für ihre Haltung. Schon Ende der 80er Jahre machte sie bundesweit Schlagzeil­en. Als einzige Frau akzeptiert­e sie im sogenannte­n Memminger Hexenproze­ss gegen den Frauenarzt Horst Theissen, der ambulant Schwangers­chaftsabbr­üche vornahm, keine Strafe. Schon damals nahm sie den Kampf durch alle Instanzen auf, machte sich stark für das Selbstbest­immungsrec­ht der Frau. In einem großen Bericht des

aus dem Jahr 1988 ist sie mit ihrem Sohn abgebildet und berichtet den Reportern von ihrer Lage: Trotz Kondom ist es passiert. Von ihrem damaligen Freund sitzen gelassen, versuchte sie sich als Alleinerzi­ehende gerade eine Existenz mit einem Naturkostl­aden aufzubauen. „Ich hatte Schulden.“Ein zweites Kind war für sie undenkbar.

Extrem entwürdige­nd sei das damals für sie und die anderen Frauen gewesen. Sie seien gezwungen worden, offen ihre Notlage zu schildern. „Und noch heute stehen viele Frauen unter Rechtferti­gungsdruck“, ärgert sich Federlin. Dabei mache es sich ganz sicher keine Frau leicht bei dem Schritt. „Ich denke heute noch dran“, sagt sie. „Das hört nie auf.“Dennoch müsse die Entscheidu­ng, das Kind zu bekommen oder nicht, ausschließ­lich bei der Frau liegen: „Mutterscha­ft ist schließlic­h eine lebenslang­e Aufgabe.“

Für den Frauenarzt Horst Theissen hat Magdalena Federlin nur lobende Worte. Sehr respektvol­l und nicht bevormunde­nd hat sie ihn erlebt: „Er hat mit mir ein gutes Gespräch geführt, sich viel Zeit genommen – ein VollblutHu­manist. Das war ein Arzt, wie man sich ihn wünscht.“Das Gericht sah das vor 25 Jahren anders: Theissen wurde wegen illegaler Schwangers­chaftsabbr­üche und Steuerhint­erziehung verurteilt. Für Magdalena Federlin bis heute ein Unrecht. Noch schlimmer sei eigentlich nur, dass bis zum heutigen Tag das Thema nicht im Sinne der betroffene­n Frauen geregelt ist, sagt sie.

Doch längst hat sie ein weiteres Thema gefunden, für das sie sich ebenso stark einsetzt: „Der Kampf gegen strukturel­le Aussonderu­ng aus Kindergärt­en und Schulen“, wie sie es ausdrückt. Magdalena Federlins jüngster Sohn Ferdinand hat das Downsyndro­m. Er sei zum Besuch einer Förderschu­le gezwungen worden. Wobei Federlin nicht das Wort „Förderschu­le“wählt, sondern den früher üblichen Begriff „Sonderschu­le“, weil er ihrer Meinung nach besser passt. Sie wirft dem Staat „bewusste Aussonderu­ng von sogenannte­n Behinderte­n“vor. Das geschehe in keinem anderen vergleichb­aren Land so intensiv wie in Deutschlan­d. Vor allem die Folgen für die Kinder und Jugendlich­en, die in „separierte­n Schulgebäu­den“un-

Gibt es eine „geförderte Aussonderu­ngskultur“?

terrichtet werden, entsetzt sie: Schon bei ihrem Sohn habe sie erleben müssen, wie er aus seinem früheren Freundeskr­eis herausgeri­ssen und auch im Sportverei­n keinen Platz mehr gefunden habe, „weil das Miteinande­r von behinderte­n und nicht behinderte­n Menschen noch lange nicht gelebt wird“.

Als Vorstandsm­itglied in dem Verein „Inklusion Bayern e. V.“weiß sie von unzähligen Familien, wie schwer die gleichbere­chtigte Teilhabe von behinderte­n Menschen heute noch ist. „Es ist einfach widersinni­g, eine Umgebung zu schaffen, in der ausschließ­lich behinderte Menschen leben.“Daher fordert sie, alle finanziell­en und personelle­n Ressourcen in den allgemeine­n staatliche­n Schulen zu bündeln. Ihrer Ansicht nach würden davon alle Heranwachs­enden profitiere­n, da inklusive Unterricht­smodelle, also Klassen, in denen Behinderte zusammen mit Nicht-Behinderte­n lernen, die bestmöglic­he Förderung aller bieten. Schließlic­h seien ja Pädagogen vor Ort, die auf den Leistungss­tand des Einzelnen eingehen und so auch Hochbegabt­e besser unüberhaup­t terstützen könnten. Nur in Einzelfäll­en würde sie dem Besuch „einer Sondereinr­ichtung“zustimmen, etwa wenn anderes der Gesundheit­szustand nicht erlaubt.

Vor diesem Hintergrun­d wehrte sie sich auch vehement gegen den Neubau einer Förderschu­le in Friedberg bei Augsburg. Dieses Geld würde sie lieber in die therapeuti­sche und pädagogisc­he Unterstütz­ung wohnortnah­er Schulen stecken. Nur so könnten Kinder und Jugendlich­e gemäß der UN-Behinderte­nrechtskon­vention aufwachsen, die nichts anderes besagt, als dass ein gemeinsame­s Leben aller Menschen mit und ohne Behinderun­gen möglich sein muss.

Allerdings eckt sie als Kreis- und Stadträtin mit ihren Positionen immer wieder kräftig an. Vielen ist sie schlicht zu radikal. Wer Magdalena Federlin trifft, spürt sofort, wie sehr sie die Themen Inklusion und das Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch umtreiben, dass Kompromiss­e nicht ihre Sache sind. Damit macht sie sich nicht nur Freunde. Sie lässt aber nicht locker, kämpft für ihre Anliegen – zur Not gegen alle Widerständ­e. Schon ihre Eltern haben sie gelehrt, erzählt sie, eine klare Haltung zu haben, sich nicht anzupassen, wenn man von einer Sache überzeugt ist. Daran hält sie sich.

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 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Ferdinand Federlin hat sich in Aichach längst einen Namen als Rapper Fadi Fu gemacht. Seine Mutter Magdalena Federlin kämpft für mehr inklusive Unterricht­smodelle und beklagt noch immer eine „Separierun­g“von behinderte­n Menschen.
Foto: Annette Zoepf Ferdinand Federlin hat sich in Aichach längst einen Namen als Rapper Fadi Fu gemacht. Seine Mutter Magdalena Federlin kämpft für mehr inklusive Unterricht­smodelle und beklagt noch immer eine „Separierun­g“von behinderte­n Menschen.
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