Mindelheimer Zeitung

Wegbeten hilft nicht

- VON PFARRER FRITZ GRASSMANN, AUGSBURG

Es gibt Ängste, die lassen sich nicht wegreden oder wegerkläre­n. Sie lassen sich auch nicht wegbeten. Die Angst vor einer schweren Operation gehört zu diesen Ängsten. Werde ich den Eingriff überleben? Und wie werde ich danach sein? Schwächer, gar behindert für mein Leben lang? Bin ich dann noch der, der ich war? Halten die Menschen zu mir, ohne die ich nicht sein kann?

Solche Angst kennen wir alle oder können sie uns mühelos vorstellen. Oft ist es das Schicksal anderer, das uns Angst um uns selbst haben lässt. Gerade wieder habe ich von einem gehört, der kurz vor seinem Ruhestand gestorben ist. Ich bin mir sicher, er hatte schon für die Zeit danach geplant, wollte endlich mehr Zeit mit seiner Frau oder seinen Kindern verbringen. Oder seinen Hobbys mehr Raum geben. Reisen.

Diese Ängste sind begründet. Genau wie die Angst vor der Zerstörung unserer Lebenswelt. Wegbeten lassen sie sich gewiss nicht. Und doch hilft beten, da bin ich sicher. Aber wie?

Von einem Rabbi heißt es, dass er das Beten verglichen hat mit einem Hirten, der im unübersich­tlichen Gelände seine Tiere weiden lässt. Er sieht die meisten Schafe seiner Herde gar nicht. Aber den ganzen Tag spielt er auf seiner Flöte. Und die Tiere, die ihn auch nicht sehen, fühlen sich sicher. Sie hören ja seine Flöte. Nur wenn die Flöte verstummt, schrecken sie auf und bekommen Angst.

Das klingt nicht nach sehr viel. Aber wie soll es auch anders sein: die Ängste sind ja begründet. Wer könnte die Ursachen unserer Ängste einfach in Luft auflösen, wenn er kein Falschspie­ler ist? Aber die Angst selbst lässt sich zurückdrän­gen. Die drückende Enge um mein Herz lässt sich lösen. Ich fasse wieder Mut, wenn ich in Kontakt komme mit dem Grund meines Daseins. Wenn ich wieder die leise Melodie höre, die mein Leben durchzieht und mich mit allem Leben verbindet: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“

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