Aufstand im Funkloch
Titel-Thema Während sich Berlin auf den Sprung in ein neues Mobilfunkzeitalter vorbereitet, kämpfen Orte wie Rögling darum, überhaupt ans Handynetz angeschlossen zu werden. Nun soll ein Sendemast ins Dorf kommen. Dadurch wird der Ärger nur größer
Rögling
Richard Kohl hat sein Smartphone immer dabei. Er trägt es in der Brusttasche auf der linken Seite seines hellblauen Hemdes, stets griffbereit, falls es plötzlich klingeln sollte. Kohl, randlose Brille, Aktentasche unter dem Arm, ist zweiter Bürgermeister. Bedarf für Gespräche gibt es also genug. Trotzdem klingelt sein Handy so gut wie nie, zumindest nicht, wenn er in Rögling unterwegs ist, seinem Heimatort. Das Dorf liegt nordöstlich von Donauwörth, idyllisch inmitten von Wald und Feldern, aber eben auch: mitten in einem Funkloch. Die rund 670 Einwohner leben ohne Handyempfang, ohne 3G, ohne LTE, immer schon.
Die Röglinger haben sich in ihrem Funkloch eingerichtet, so gut es geht. „Mittlerweile kennt man die Ecken“, sagt Richard Kohl. Wenn er wissen will, ob ihn jemand angerufen hat, läuft er bis ans Ende des Dorfes. Da, erzählt er, gebe es Netz. Man müsse nur ein wenig rumprobieren, das Smartphone nach oben strecken, so lange, bis ein Balken nach dem anderen auf dem Display aufflackert. Dehnübungen für ein bisschen Handyempfang, in Rögling gehört das zum Alltag.
Es ist paradox. In Berlin organisiert die Bundesregierung schon den Sprung in ein neues Handy-Zeitalter: die fünfte, noch schnellere Generation des Mobilfunks, kurz 5G. Hinter den Kulissen kämpfen die Handykonzerne um die begehrten Lizenzen, Politiker debattieren, ob der chinesische Konzern Huawei die deutschen Netze ausspionieren könnte. Gleichzeitig ringen viele Orte im Land darum, überhaupt erst einmal an ein Handynetz angeschlossen zu werden. Vor allem Dörfer sind noch immer abgeschnitten, in Bayern genauso wie in Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen. Wie viele Funklöcher es gibt, weiß niemand so genau. Nur in einem sind sich fast alle einig: Für eine Industrienation sind es eindeutig zu viele. „Wenn wir eine führende Volkswirtschaft in Europa und der Welt bleiben möchten, dann müssen wir uns bei der digitalen Infrastruktur auch so aufstellen“, urteilt etwa Matthias Köppel, der bei der Industrieund Handelskammer Schwaben den Bereich Standortpolitik leitet. Selbst Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier klagte jüngst auf einer Konferenz über das deutsche Netz. Er habe, erzählte der CDUPolitiker, sein Büro gebeten, keine Anrufe ausländischer Ministerkollegen mehr durchzustellen, wenn er im Auto sei: „Weil es mir total peinlich ist, wenn ich dann dreimal, viermal neu anrufen muss.“
Dass Altmaier sich zu Recht geniert, zeigt eine Studie des Beratungsunternehmens P3. Die Experten haben sich im Auftrag der Grünen im Bundestag damit beschäftigt, wie gut die 4G-Abdeckung in Europa ist. Das Resultat ist verheerend: Selbst das beste deutsche Netz, das der Telekom, erreicht demnach nur eine Abdeckung von etwa drei Viertel der Fläche. Bei Vodafone waren es gerade einmal 57 Prozent. Damit landete Deutschland in der Untersuchung abgeschlagen im hinteren Drittel. Sogar Albanien schnitt besser ab.
Dabei sollte das Netz-Problem längst behoben sein. Im Jahr 2015 verkündete Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt selbstbewusst, bis 2018 „alle lästigen Funklöcher in Deutschland“zu schließen. Sein Nachfolger Andreas Scheuer lud im vergangenen Herbst zum Mobilfunk-Gipfel nach Berlin und gab ein neues Ziel aus: Bis 2021 sollen Funklöcher gestopft und 500000 weitere Haushalte im Land an die Mobilfunknetze angeschlossen werden. „Minister Scheuer beendet Funkstille“, betitelten die Mitarbeiter des CSU-Manns damals eine Pressemitteilung.
In Rögling, dem Dorf ohne Handyempfang, hat sich Richard Kohl mittlerweile seine Jacke übergezogen und stapft durch die Februarkälte. Vom Gemeindehaus läuft er auf die Hauptstraße, zeigt den Dorfladen und das Nadlerhaus, das die Kommune vor dreieinhalb Jahren als Ort für das ganze Dorf gebaut hat. Hier trifft sich die Krabbelgruppe, hier feiern die Einwohner runde Geburtstage und Hochzeiten. Im Sommer, wenn der Biergarten aufhat, kommen Besucher aus dem gesamten Umkreis. Rögling, will Kohl sagen, ist ein schönes, ein lebenswertes Dorf. Eines, das sich in den vergangenen Jahren herausge- hat. Der Ortskern wurde saniert, in den Häusern gibt es schnelles Internet. Junge Familien bauen im Dorf, der Kindergarten ist zu klein geworden und muss bald erweitert werden.
Aber junge Menschen, und nicht nur die, wollen auch ein schnelles Handynetz. Deshalb hat die Gemeinde lang mit der Telekom verhandelt. In der Vergangenheit galt ein Mobilfunkmast in Rögling als unwirtschaftlich. Ein Sendemast ist teuer, deshalb stellen die HandyKonzerne vor allem in den Städten und Ballungszentren Masten auf. Dort also, wo viele Menschen ihr Smartphone nutzen. Vergangenes Jahr hat Bayern allerdings den Mobilfunkpakt verabschiedet: Der Freistaat zahlt 80 Millionen Euro, damit die Mobilfunkanbieter Funklöcher schließen, darunter auch das in Rögling.
Bis 2020 will die Telekom in Bayern 99 Prozent aller Haushalte erreichen. Dass das bisher nicht geklappt habe, liege nicht ausschließlich am Anbieter selbst, sagte Technikvorstand Walter Goldenits vor kurzem in einer Telefonkonferenz mit bayerischen Journalisten. Viele Masten würden auch deshalb nicht aufgestellt, weil der Widerstand in den Kommunen zu groß sei. „Es mag paradox klingen“, sagte er. Aber der Wunsch nach Mobilfunk korrespondiere „nicht immer mit der Bereitschaft, einen Standort auf der eigenen Flur bereitzustellen“. Anders gesagt: Alle wollen Handyempfang, aber kaum einer will einen 30 Meter hohen Masten vor seinem Fenster.
In der Vergangenheit hat das mitunter extreme Züge angenommen. In Garmisch-Partenkirchen etwa protestierten Anwohner gegen einen neuen Mobilfunkmast, eine Diskussion im Gemeinderat geriet derart außer Kontrolle, dass die Bürgermeisterin die Polizei holte und die Tribüne räumen ließ. 120 Kilometer nördlich, in Mammendorf bei Fürstenfeldbruck, zündeten Unbekannte gar einen Sendemast an. Gleichzeitig tauchte an der Bahnhofswand ein Graffiti auf: „Wir werden verstrahlt, Mobilfunk macht krank.“
In Rögling ist man davon weit entfernt. Aber auch hier gibt es Streit um den Sendemast. Die Telekom hat der Gemeinde zwei Stellen vorgeschlagen, an denen sie den Empfangsturm aufstellen könnte: eine liegt im Ort, auf dem Feuerwehrhaus, die übrige etwa 400 Meter außerhalb des Dorfes. Das Landesamt für Umwelt hat beide Standorte geprüft. Ein Mast im Dorf wäre demnach „optimal“, bei einer Statiputzt on außerhalb des Ortes würde die Funkverbindung für das Dorf dagegen ein wenig schlechter.
Parallel zu den Verhandlungen über den Mast hat sich im Ort der „Arbeitskreis Mobilfunk“gegründet, ein loser Zusammenschluss von Bürgern, die sich gegen einen Mast mitten im Dorf wehren. Ende des Jahres sind die Mitglieder durchs Dorf gezogen, haben an den Türen geklingelt und Unterschriften gesammelt, am Ende waren es 227.
In zwei Wochen wird es ein Bürgerbegehren geben, bei dem die Röglinger über den Standort abstimmen können. Gleichzeitig findet auch ein Ratsbegehren statt, beantragt vom Gemeinderat, der für den Standort im Dorf ist. Kurz vor Weihnachten stimmten acht Mitglieder dafür, eines dagegen. Das Pikante daran: Die Gegenstimme gehörte ausgerechnet Bürgermeisterin Maria Mittl. Spaltet der Sendemast den Gemeinderat? Mittl will nicht ins Detail gehen. „Ich möchte neutral bleiben“, sagt sie freundlich, aber bestimmt am Telefon. Nur so viel: Sie habe sich die Argumente beider Seiten angehört und am Ende danach entschieden.
Richard Kohl, der zweite Bürgermeister, vertritt die eine Seite. Die andere sitzt an diesem Nachmittag am Esstisch von Susanne Gleichmann vor Kaffee, Gebäck und einem Stapel Mobilfunk-Gutachten. Gleichmann lebt ebenfalls in Rögling, mit ihrem Mann engagiert sich die Yogalehrerin im Umweltschutz. Sie hat zwei Mitstreiter eingeladen, sie wollen über ihr Anliegen reden. Der Kern ihrer Argumentation: Es fehlen wissenschaftliche Untersuchungen über Langzeitwirkungen von Mobilfunk-Strahlen. „Wer sagt mir, dass das nicht gesundheitsgefährdend ist?“, fragt Manfred Böswald, der selbst lange im Gemeinderat saß.
Susanne Gleichmann betont, dass sie nicht generell gegen einen Sendemasten sind. Das ist ihnen wichtig. Aber wenn eine Empfangsstation mitten im Ort aufgestellt werde, „dann sind alle Bewohner des Ortes von der direkten Wirkung der Strahlung betroffen“. Der Außenstandort liege dagegen rund 400 Meter von den ersten Wohnhäusern entfernt. „Wir haben eine Alternative, die sinnvoll ist.“Warum also, fragt sie, wähle man nicht den weiter entfernten Standort?
Richard Kohl hat diese Frage schon oft gehört, die Antwort darauf haben er und seine Mitstreiter gerade erst im Gemeindeblatt veröffentlicht. „Je weiter ein Sendemast vom Handy entfernt ist, desto mehr strahlt es.“Kohl deutet auf seine Brusttasche, in der sein Smartphone steckt. „Mir ist es doch lieber, wenn das Gerät, das ich am Körper trage, so wenig wie möglich strahlt.“Er verweist außerdem auf die offiziellen Grenzwerte für Strahlenbelastung, die nach Angaben des Landesamts für Umwelt deutlich unterschritten werden.
Beide Seiten führen Zahlen, Tabellen und Statistiken ins Feld, es geht um Leistungsflussdichten und Strahlungswellen. Vor allem geht es aber um eine Grundsatzfrage: Darf eine Kommune entscheiden, was das Beste für ihre Bürger ist? Oder muss sie erst gemeinsam mit den Einwohnern darüber diskutieren? „Viele wissen gar nicht, dass die Beteiligung der Gemeinde an der Standortsuche gesetzlich verankert ist“, sagt Gleichmann. Ihrer Meinung nach machen Kommunalpolitiker zu oft ihr eigenes Ding. „Dabei ist das ein Thema, das uns alle betrifft.“Da brauche es viel mehr Transparenz. Manfred Böswald stimmt ihr zu. „Der Gemeinderat hat eine Vorsorgepflicht für seine Bürger.“Danach solle er auch handeln. Böswald vergleicht den Arbeitskreis mit den „Friday’s for Future“-Demonstrationen, bei denen Schüler für eine bessere Klimapolitik auf die Straße gehen. Manchmal, sagt Böswald, müsse man einfach aufstehen und protestieren.
Am 10. März wird sich entscheiden, wo der Sendemast letztlich stehen wird. Es könnte knapp werden, das glaubt Susanne Gleichmann, das glaubt auch Richard Kohl. Was passiert, wenn die andere Seite mehr Stimmen bekommt? Kohl überlegt kurz und sagt: „Dann kommt die Lösung, die wir für die schlechtere halten.“Aber immerhin, fügt er hinzu, „können wir dann telefonieren“. Oder anders formuliert: Während das Land den Sprung in eine neue Mobilfunk-Generation vorbereitet, beginnt auch in Rögling ein neues Handy-Zeitalter.
Dem Wirtschaftsminister ist das deutsche Netz peinlich
In zwei Wochen müssen die Röglinger abstimmen