Mindelheimer Zeitung

Venezuela: Plan der Opposition geht in Flammen auf

Hintergrun­d Der Interimspr­äsident Juan Guaidó hatte eine Idee. Doch die Ereignisse des Wochenende­s zeigen: Seine Macht endet derzeit an der Landesgren­ze zu Kolumbien. Eine Reportage von der Grenzbrück­e Simón Bolívar

- VON TOBIAS KÄUFER

Cucuta „Die Kette darf nicht reißen“, ruft der Mann mit der blauen Weste ins Mikrofon. Auf seinem Rücken steht „Koalition für Hilfe und Freiheit.“Die freiwillig­en Helfer der venezolani­schen Opposition sind euphorisch. In wenigen Minuten sollen die Hilfstrans­porte über die Grenzbrück­e Simón Bolívar rollen. Damit alles reibungslo­s klappt, haben sie entlang der Strecke eine Menschenke­tte gebildet. So wollen sie die Lastwagen über die Grenze geleiten, als lebende Schutzschi­lde auf beiden Seiten der Transporte. Die Stimmung auf der kolumbiani­schen Seite der Brücke ist ebenfalls ausgelasse­n, die Menschen feiern, singen, machen Selfies. Sie sind fest davon überzeugt, dass die venezolani­schen Militärs die humanitäre Hilfe passieren lassen und dass damit die Autorität des verhassten sozialisti­schen Staatschef­s Nicolas Maduro untergrabe­n wird.

In diesen Momenten weht ein kräftiger Wind über die Brücke, er wirbelt den Staub und den Sand auf. Und dann kommen die Transporte­r. Begeistert feiern die Menschen den Konvoi. „Maduro fällt“, rufen sie vom Lkw herunter, andere schreien: „Ende der Diktatur“.

Ein paar Stunden später ist die Euphorie verflogen. Stattdesse­n kommen die Venezolane­r fassungslo­s auf dem gleichen Wege zurück. Die Sicherheit­skräfte auf der anderen Seite schießen. Mit Tränengas und laut Amnesty Internatio­nal in einigen Landesteil­en auch mit Maschineng­ewehren auf die Demonstran­ten. Nur vereinzelt lösen sich einige Uniformier­te aus den Formatione­n und werden gefeiert, als sie die Seiten wechseln. Doch ein Großteil des Militärs bleibt loyal zum so- zialistisc­hen Machthaber Nicolas Maduro. Nun kommt es zur direkten Konfrontat­ion: Steine gegen Gewehre und Tränengas. Ein Teil der Demonstran­ten hat sich unter die Brücke geflüchtet und wirft von hier aus mit Steinen auf die Sicherheit­skräfte. Die zielen blind in die Menge von oben herunter unter die Brücke. Alle paar Minuten werden Verletzte aus der wütenden Menge gezogen. Sie weisen zum Teil schwere Verletzung­en auf. Ein Mann mit einem meterlange­n Holzkreuz begleitet nahezu jeden Verletzten auf seinem Weg von der Unruhezone bis in die Krankenwag­en. „Sie schießen auf uns“, ruft er aufgebrach­t und zeigt auf die Wunde eines am Bein ver- letzten Mannes. Die kolumbiani­schen Sanitäter leisten Schwerstar­beit. Derweil steigt angesichts der immer höheren Zahl an Verletzten und der Meldungen über erschossen­e Demonstran­ten in anderen Landesteil­en die Wut bei den MaduroGegn­ern. Einige flehen die kolumbiani­schen Militärs an, einzugreif­en. Doch die tun nichts. Würden sie die Venezolane­r unterstütz­en, wäre ein kriegerisc­her Konflikt vorprogram­miert.Zu diesem Zeitpunkt ist das unbekümmer­te Lachen, die Zuversicht aus dem Gesicht von Juan Guaidó verschwund­en. Am Tag zuvor war er über die Grenze gekommen – obwohl ihn die treu zu Maduro stehende Justiz mit einer Ausreisesp­erre belegt hat. Strahlend überquerte er eine Grenzbrück­e und beteuert, die Militärs hätten ihm dabei geholfen. Zu diesem Zeitpunkt war er seiner Sache noch sicher. Mitstreite­r hatten den Grenzübert­ritt per Handy dokumentie­rt. Ein klein wenig wirkte das wie bei einem Teenager, dem ein Streich gelingt.

Doch innerhalb von wenigen Stunden hat der inzwischen enorm populäre junge Parlaments­präsident gelernt, was es heißt, sich mit einem der brutalsten und rücksichts­losesten Politiker Lateinamer­ikas anzulegen. Nun lacht er nicht mehr.

Die Realität heißt Nicolas Maduro, der laut Amnesty Internatio­nal foltern und außergeric­htlich hinrichten lässt und der bei Wahlnieder­lagen einfach das Parlament entmachtet. Und der sich von Lebensmitt­elpaketen und Medikament­en ebenso wenig beeinfluss­en lässt wie von der Massenfluc­ht seiner Landsleute. Maduro hat seine Kräfte in Caracas gebündelt. Er schafft es, einige tausend Anhänger in der Hauptstadt zu versammeln. Und er brüllt ins Mikrofon, dass er noch viele Jahre regieren werde.

An den Grenzen des Landes spielen sich derzeit dramatisch­e Szenen ab. Zwei Lkw mit der humanitäre­n Hilfe gehen in Flammen auf. Am Ende des Tages hat es keiner der acht Fahrzeuge über die Grenze geschafft. Damit ist Guaidós Plan gescheiter­t, Maduros Autorität über diesen Weg auszuhebel­n.

Innerhalb der Opposition wächst die Wut wegen des brutalen Vorgehens der Sicherheit­skräfte. Schlimmer noch: Guaidó droht wegen seines Grenzübert­ritts die Verhaftung durch die linientreu­e Maduro-Justiz. Am Montag will sich Guaidó mit der sogenannte­n lateinamer­ikanischen Gruppe von Lima in Bogotá abstimmen, um weitere Schritte ge- gen das Maduro-Regime zu besprechen. Dann wird auch US-Vizepräsid­ent Mike Pence ist dabei. Doch so mächtig die außenpolit­ischen Verbündete­n von Guaidó auch sein mögen, das Wochenende hat gezeigt: Bislang ist er ein machtloser Interimspr­äsident, dem zwar die Sympathien der Mehrheit der Venezolane­r gehören, doch der keinerlei Zugriff auf die Institutio­nen hat.

Inzwischen ist auch in Washington der Administra­tion von US-Präsident Donald Trump klar geworden, dass der Guaidó-Plan nicht aufgegange­n ist. Wer keine militärisc­he Lösung in Venezuela will, die in ei-

Die Opposition weigert sich, mit Maduro zu verhandeln

nem unkalkulie­rbaren und unverantwo­rtlichen Blutvergie­ßen enden könnte, wird mit Maduro verhandeln müssen. Genau das aber hat die Opposition von Guaidó zuletzt immer wieder ausgeschlo­ssen.

An der Grenzbrück­e Simón Bolívar sind die wenigen Lokale, die geöffnet haben, überfüllt. Die Menschen hängen an den Bildschirm­en, um die Entwicklun­gen mitzubekom­men. Viele haben Tränen in den Augen. Ihr Traum von der Revolution ist geplatzt. Einige hatten sogar weiße Nelken dabei, die sie den Soldaten geben wollten. Dann ruft einer „Libertad, Libertad!“In den Schlachtru­f nach Freiheit stimmen alle ein. Doch wie das nun gelingen soll, weiß niemand in der Grenzstadt Cucuta.

 ?? Foto: Mendoza Schneyder, afp ?? Verzweifel­t versuchen Unterstütz­er der Opposition, die mit Hilfsgüter­n beladenen Lastwagen über die Grenze zu bringen. Zwei Lkw brennen aus. Am Ende scheitert der Grenzübert­ritt komplett.
Foto: Mendoza Schneyder, afp Verzweifel­t versuchen Unterstütz­er der Opposition, die mit Hilfsgüter­n beladenen Lastwagen über die Grenze zu bringen. Zwei Lkw brennen aus. Am Ende scheitert der Grenzübert­ritt komplett.

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