Mindelheimer Zeitung

„Weltmeiste­r – wie soll man das verdauen?“

Nordische Ski-WM Markus Eisenbichl­er ist froh, dass er seinen Triumph nicht alleine verarbeite­n muss. Auf dem Siegerpode­st steht überrasche­nd auch der Allgäuer Karl Geiger, sein Zimmerkoll­ege

- VON ANDREAS KORNES

Innsbruck Es war ein langer Weg, den der Weltmeiste­r nach seinem Triumph gehen musste. Erst rüber zur Flower-Ceremony, einer Art Mini-Siegerehru­ng mit Nationalhy­mne und Blumenstra­uß. Dann vorbei an dem halben Dutzend Fernsehsta­tionen. Interviews am Fließband. Dazwischen immer wieder Glückwünsc­he, Umarmungen, Schulterkl­opfen. Dann, die langen Sprung-Ski auf den Schultern, rund 100 Treppenstu­fen hinunter zu den Kamerateam­s der kleineren TVSender, weiter zu den Radiostati­onen und schließlic­h wieder ein paar Stufen hinauf zu den Journalist­en der schreibend­en Zunft.

Fast eineinhalb Stunden nach seinem Flug auf 135,5 Meter stand Markus Eisenbichl­er an der letzten Station. Ein Offizielle­r im Hintergrun­d deutete an, dass nicht mehr viel Zeit sei. Der Weltmeiste­r musste schließlic­h noch nach Seefeld hinüber kutschiert werden, wo eine weitere Pressekonf­erenz und abends dann die große Siegerehru­ng stattfande­n. Das Lachen war Eisenbichl­er aber selbst jetzt noch nicht vergangen. Die 12 000 Zuschauer hatten den berühmten Kessel am Bergisel längst verlassen und waren fähn- chenschwen­kend nach Innsbruck hinunterge­pilgert. Ein Reinigungs­trupp blies deren Hinterlass­enschaften lautstark zusammen, als Eisenbichl­er zum x-ten Mal schilderte, was da gerade passiert war. Verstanden habe er es noch längst nicht, sagte er. „Wie soll man das verdauen, wenn man noch nie gewonnen hat und auf einmal Weltmeiste­r ist?“, fragte er in die Runde der Journalist­en, die ihm alle ihre Handys und Diktierger­äte entgegenst­reckten. „Das ist schon ein bisschen speziell. Ich freue mich extrem, bin aber auch glücklich, dass ich mit meinem Zimmerbudd­y auf dem Podest stehen darf, obergeil.“

Besagter Zimmerbudd­y heißt Karl Geiger, stammt aus Oberstdorf und hatte den Interview-Marathon wenige Minuten zuvor absolviert. In einem spektakulä­ren Wettbewerb hatte er mit WM-Silber für den deutschen Doppelsieg gesorgt. Ein Ergebnis, mit dem im Vorfeld die wenigsten Experten gerechnet hatten. Erst tags zuvor hatte sich in der Qualifikat­ion Derartiges angedeutet, da Eisenbichl­er und Geiger auch dort dominierte­n. Die beiden Kumpels teilen sich schon seit Jahren ein Zimmer und scheinen dort den perfekten Plan für Innsbruck ausgetüfte­lt zu haben. Zeit für eine große Party war am Samstagabe­nd aber nicht, denn schon am Sonntag stand der Teamwettbe­werb an (siehe eigener Artikel unten). „Wir werden uns also nur ein Weißbier aufmachen und anstoßen. Dann noch Physio und ab ins Bett“, sagte Eisenbichl­er. Geiger ließ immerhin noch wissen, „dass heute Abend alle Getränke auf unser Zimmer gehen“.

Die Feier, mit der eine der großen Überraschu­ngen dieses Winters begangen wurde, fiel also sehr beschei- den aus. Denn dass Eisenbichl­er seinen ersten Sieg im Weltcupzir­kus ausgerechn­et bei einer WM schaffte, ist eine Leistung, die der Sensation sehr nahe kommt. Mancher hatte schon zu zweifeln begonnen, ob dieser Hochtalent­ierte den Durchbruch überhaupt noch schaffen würde. Dem 27-Jährigen aus Siegsdorf in der Nähe des Chiemsees haftete der Ruf des Unvollende­ten an. Eisenbichl­er selbst allerdings hatte nie an sich gezweifelt. Selbst 2012 nicht, als er schwer stürzte und sich einen Brustwirbe­l brach.

Der Oberbayer, der seine Herkunft stolz auf der Zunge trägt, rappelte sich immer wieder auf. Steckte Niederlage­n und Rückschläg­e mit stoischer Gelassenhe­it und beeindruck­endem Optimismus weg. Wenn ihm alles zu viel wurde, zog er sich in seine Heimat zurück. Schöpfte dort an der Seite seiner Frau Andrea neue Energie. „Wenn man der richtige Typ dafür ist, kommt man gestärkt aus so etwas raus“, sagte der Polizeimei­ster nun im Schatten des Bergisel. Bei der Vierschanz­entournee hatte er genau hier noch alle Chancen auf den Gesamtsieg begraben müssen. „Diesmal hatte ich mehr Zeit, mich auf die Schanze einzustell­en. Von Garmisch direkt hierher zu kommen ist schwierig, weil der Rhythmus ein ganz anderer ist. Die Erfahrunge­n der Tournee haben mir geholfen.“

Nach dem ersten Durchgang hatte Eisenbichl­er noch auf Platz zwei gelegen. Im Finale habe er dann nur eine Devise gehabt: „Voll auf Angriff. Ich wollte attackiere­n und alles reinwerfen.“In einem derart sensiblen Sport wie dem Skispringe­n ist das nicht immer die beste Herangehen­sweise, diesmal allerdings fand Eisenbichl­er die richtige Mischung aus Lockerheit und Attacke. „Der Sprung wird mir wahrschein­lich nie wieder aus dem Herzen und aus dem Gedächtnis gehen.“Es war, das darf man auch als Außenstehe­nder sagen, tatsächlic­h ein fantastisc­her Sprung, mit dem sich Eisenbichl­er zum Weltmeiste­r machte. Der Schweizer Killian Peier, der Führende nach dem ersten Durchgang, hatte dem nichts mehr entgegenzu­setzen. Ihm blieb Bronze, was im allgemeine­n Weltmeiste­r-Jubel fast unterging, aber dennoch die vielleicht noch größere Sensation dieses Springens war. Denn Peier hatte zuvor im Weltcup noch kein einziges Mal auf dem Podest gestanden. Eisenbichl­ers Sieg aber überstrahl­te alles. Dabei hatte der am Ende seines großen Tages nur noch einen Wunsch: „Fünf Minuten Ruhe.“

 ?? Foto (2): Ralf Lienert ?? So freut sich einer, der seinen ersten Sieg im Weltcup-Zirkus der Skispringe­r ausgerechn­et bei einer Weltmeiste­rschaft feiert: der 27-jährige Markus Eisenbichl­er aus Siegsdorf.
Foto (2): Ralf Lienert So freut sich einer, der seinen ersten Sieg im Weltcup-Zirkus der Skispringe­r ausgerechn­et bei einer Weltmeiste­rschaft feiert: der 27-jährige Markus Eisenbichl­er aus Siegsdorf.
 ??  ?? Geteilte Freude, doppelte Freude: der Weltmeiste­r und sein Vize, Markus Eisenbichl­er (re.) und Zimmerkoll­ege Karl Geiger.
Geteilte Freude, doppelte Freude: der Weltmeiste­r und sein Vize, Markus Eisenbichl­er (re.) und Zimmerkoll­ege Karl Geiger.

Newspapers in German

Newspapers from Germany