Bloß nicht übertreiben
Schon seit Längerem besuche ich einen Sportkurs, obwohl ich a) zu den Leuten gehöre, die es mit einem Buch oder der Fernbedienung in der Hand sehr gut im Sessel aushalten können und deshalb b) nicht dazu neigen, sich außerhalb des Sportkurses in nennenswertem Umfang sportlich zu betätigen. (Zumal das der im Kurs gewonnene und meist lang anhaltende Muskelkater auch kaum zulässt.) Bei manchen in meinem Kurs ist das anders. Die kommen fünf Minuten zu spät, weil sie – wirklich wahr – für den Halbmarathon davor ein bisschen länger gebraucht haben als gedacht. Sie tragen T-Shirts, die an den Sonnwendlauf, den Unterallgäu-Triathlon und ähnliche Schindereien erinnern und auf mich mächtig Eindruck machen.
Vollends sprachlos war ich, als eine dieser Super-Sportlerinnen ihrer Kurs-Nachbarin jüngst erzählte, dass sie immer erst zehn Liegestütze macht, bevor sie zuhause an die Schublade mit den Süßigkeiten geht. Würde ich das auch so handhaben, wäre das vermutlich der Beginn einer lebenslangen Abstinenz (über drei Liegestützen komme ich in der Regel nämlich nicht hinaus) – oder der Beginn einer nie geahnten sportlichen Karriere. Denn nach täglich drei Liegestützen müsste sich innerhalb von drei, vier Wochen doch ein gewisser Effekt einstellen. Ich sehe schon den Buchtitel vor mir: „Wie mich die Gier nach Süßem fit gemacht hat“
Nicht verraten hat die SuperSportlerin übrigens, was sie sich nach den zehn Liegestützen genehmigt. Wahrscheinlich lässt sie höchst diszipliniert maximal ein Stückchen Schokolade im Mund zergehen. Je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass mir so viel Disziplin nicht liegt. Man soll ja nichts übertreiben. Ich bleibe doch lieber bei Schrank auf, Schrank zu. Rechnet man den Weg vom Sessel und zurück mit ein, ist das für mich Bewegung genug.