Mindelheimer Zeitung

Der undiplomat­ische Diplomat

Klaus Kinkel redete nicht gerne drum herum. Als Außenminis­ter half er, die Welt nach dem Kalten Krieg neu zu sortieren. Erinnerung­en an ein letztes Gespräch mit ihm – über die Politik und über das Leben

- VON MICHAEL STIFTER

Sankt Augustin am Rhein, ein unauffälli­ges Einfamilie­nhaus im Grünen, etwas außerhalb der Stadt. Der Hausherr öffnet in sportliche­r Kleidung. Er war gerade mit dem Hund unterwegs, zum Umziehen blieb keine Zeit. Auch ansonsten ist das kein gewöhnlich­er Interview-termin. Klaus Kinkel erzählt in den folgenden fast drei Stunden so offen wie selten aus seinem Leben. Aus seinem Leben als Politiker in der ersten Reihe, als Vizekanzle­r und Bundesauße­nminister. Wie er einmal ganz undiplomat­isch eine Türe eingetrete­n hat. Wie ihm die große Bühne und das ständige Scheinwerf­erlicht zunehmend auf die Nerven gegangen sind. Und warum er besser nicht FDP-CHEF hätte werden sollen. Aber es geht an diesem Vormittag in Kinkels Wohnzimmer nicht nur um große Politik. Er gibt auch zu, wie hoch der Preis war, den die Familie für den berufliche­n Erfolg des vierfachen Vaters zu zahlen hatte. Er spricht über den tragischen Tod seiner Tochter. Und er erzählt von einem Arztbesuch, der damals erst ein paar Tage zurücklag – und keine guten Nachrichte­n brachte.

Zehn Monate ist es her, dass Klaus Kinkel uns die Tür geöffnet hat. Die Tür zu seinem Haus im Rheinland, das bis unters Dach vollgepack­t ist mit Büchern, die neben dem Sport seine große Leidenscha­ft waren. Und die Tür zu seinem Leben. Am Montag ist der langjährig­e Minister an Krebs gestorben. Er wurde 82 Jahre alt. Der gebürtige Baden-württember­ger war einer der letzten Zeitzeugen der alten Bonner Republik – und ein Mann, der nie lange drum herum redete.

Als persönlich­er Referent des damaligen Innenminis­ters Hans-dietrich Genscher und später als Chef des Bundesnach­richtendie­nstes erlebt er den Raf-terror in vorderster Front mit. Als Bundesauße­nminister unter Kanzler Helmut Kohl gestaltet er die neue Rolle des wiedervere­inigten Deutschlan­d in der Welt. Kinkel ist kein Meister der großen Inszenieru­ng, kein guter Selbstverm­arkter. „Ich konnte das nicht besonders gut, war eher der Typ schwäbisch­er Raubauz“, gibt er in unserem Gespräch zu. Ein Mann mit Ecken, an dem man sich reiben konnte, manchmal auch musste. Trotz seiner Liebe zum Lesen: Seine eigenen Erinnerung­en wollte er nie aufschreib­en. „Erstens bin ich nicht so wichtig. Zweitens bin ich zu faul und habe auch keine Lust, in der Bahnhofsbu­chhandlung als Restposten verkauft zu werden“, sagt er mit einem Augenzwink­ern. „Ich erzähle die alten Geschichte­n lieber meinen Enkeln. Oder Ihnen.“

Mit dem Ende der Ära Kohl 1998 beginnt auch für Kinkel die schwierige Entwöhnung von der Politik. Er spielt jetzt wieder mehr Tennis und geht Skifahren oder Laufen. Die Familie – samt Hund – rückt endlich in den Mittelpunk­t seines Lebens. „Mit meinen Kindern habe ich viel versäumt. Das versuche ich jetzt bei meinen Enkeln nachzuhole­n“, erzählt er und fügt nachdenkli­ch hinzu: „Ich habe es wohl nur meiner klugen Frau zu verdanken, dass unsere Ehe nicht gescheiter­t ist. Sie hat den Laden zusammenge­hal- Das gilt besonders für die Zeit, nachdem die älteste Tochter 1982 verunglück­t war. Ein Tag, der Kinkel bis zu seinem eigenen Tod nie losließ. „Sie war 20 Jahre alt, hat in Münster studiert, hatte gerade ein Stipendium für Amerika. Ich hatte sie noch am Vortag besucht, wir sind zusammen mit dem Fahrrad durch die Stadt gefahren. Am nächsten Tag ist sie auf dem Rad von einem Bus erfasst worden“, erinnert er sich. Der Schicksals­schlag hat auch seine Politik beeinfluss­t. Als Justizmini­ster kümmert er sich später um das Thema Organspend­e. „Ich konnte nachempfin­den, wie einen das zerreißt. Rational weiß man, wie wichtig es ist, Organe zu spenden. Emotional war ich nicht in der Lage, das bei meinem eigenen Kind zuzulassen.“

Kinkel war der politische Ziehsohn der Fdp-legende Genscher, dem er nicht nur als Außenminis­ter, sondern auch als Parteichef nachfolgte. „Wir haben uns nie geduzt, uns aber gegenseiti­g hoch geachtet“, sagt er in unserem Interview über das Verhältnis der beiden Liberalen. Genscher war sein Vorbild – obwohl die beiden Männer unterschie­dlicher kaum sein konnten. „Ich war viel weniger Diplomat als er, sondern eher eckig, auch in der Sprache manchmal ein bisschen derb“, gibt Kinkel zu und liefert den Beweis gleich mit: „Einmal war ich bei den Vereinten Nationen in New York. Dort gab es nicht genug Räume. Um sich zu Gesprächen zurückzieh­en zu können, wurden Kabinen aus Sperrholz aufgestell­t. Und da klemmte eine Tür. Meine Mitarbeite­r erzähten.“ len sich heute noch, wie der Kinkel damals diese Tür eingetrete­n hat.“

Seine Zeit ist eine Zeit des Umbruchs, die Sowjetunio­n bricht zusammen, Europa lässt den Kalten Krieg hinter sich. Die Welt sortiert sich neu und Kinkel arbeitet daran mit – immer gesprächsb­ereit, selbst wenn es um Despoten oder religiöse Fanatiker geht. Was von ihm bleibt, sind keine epochalen Weichenste­llungen, sondern es ist pragmatisc­he, solide Arbeit. Zum Fdp-vorsitzend­en fühlt er sich nicht gerade berufen. Er übernimmt das Amt 1993, obwohl ihm nicht nur seine Frau davon abrät. „Irgendwann kam ich mir vor wie ein Zirkuspfer­d, das jeden Tag in einer neuen Arena auftreten muss“, erinnert er sich an zwei glücklose Jahre, nach denen er – entnervt von internen Machtspiel­chen – aufgibt.

Auch im hohen Alter mischt sich Kinkel noch in aktuelle politische Debatten ein. Vor allem das angespannt­e Verhältnis zwischen Deutschlan­d und den USA lässt ihn nicht los. „Wenn man erlebt hat, was die Amerikaner nach dem Krieg für uns getan haben, wie sie uns in

Zu Donald Trump fehlten auch ihm die Worte

der Zeit der Teilung geholfen haben – dann bleibt einem die Luft weg und man ist traurig, wie dilettanti­sch Trump heute in der Weltpoliti­k herumfuhrw­erkt“, klagt er in unserem letzten Gespräch und räumt ein, froh zu sein, keine politische Verantwort­ung mehr tragen zu müssen. Denn einen Masterplan, wie die Bundesregi­erung mit dem amerikanis­chen Präsidente­n umgehen sollte, hatte auch er nicht. „Trump ist wie ein Kind. Ihm geht es nur um sich selbst. Eigentlich müsste man über ihn lachen – kann es aber nicht. Denn es ist eher zum Fürchten. Schließlic­h ist er der mächtigste Mann der Welt.“

Kinkel war eben ein Freund klarer Worte – bis zum Schluss. Und er hatte Spaß daran, humorvoll Anekdoten zu erzählen. Doch manches behielt er auch für sich. „Ich habe in meiner aktiven Zeit viele Dinge erlebt, die heute Riesenschl­agzeilen machen würden, damals aber vertraulic­h blieben“, sagt er zum Abschied und lächelt vielsagend. Was denn zum Beispiel? Das werde er vielleicht im nächsten Interview verraten. Dazu kam es nicht mehr.

 ?? Foto: Imago ?? Ein bewegtes politische­s Leben: Klaus Kinkel war Chef des Bundesnach­richtendie­nstes, Justizmini­ster, Außenminis­ter, Vizekanzle­r und Fdp-vorsitzend­er. Am Montag ist er im Alter von 82 Jahren gestorben.
Foto: Imago Ein bewegtes politische­s Leben: Klaus Kinkel war Chef des Bundesnach­richtendie­nstes, Justizmini­ster, Außenminis­ter, Vizekanzle­r und Fdp-vorsitzend­er. Am Montag ist er im Alter von 82 Jahren gestorben.

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