Mindelheimer Zeitung

Viele Dorfwirtsc­haften kämpfen ums Überleben

In den vergangene­n zehn Jahren ist die Zahl der Gastro-betriebe im Unterallgä­u um zehn Prozent gesunken

- VON SIMONE HÄRTLE UND FELIX FUTSCHIK

Allgäu Hunderte Ortschafte­n in Bayern haben keine Dorfwirtsc­haft mehr. Immer wieder verschwind­en Gasthäuser von der Landkarte, auch im Allgäu. Die Staatsregi­erung plant nun ein Förderprog­ramm, in dem jährlich 15 Millionen Euro für Modernisie­rungen bereitgest­ellt werden. Ein erster Schritt, sagen Experten. Die Gründe für die Existenzpr­obleme seien vielfältig: Manch ein Wirt habe nicht auf die veränderte Nachfrage reagiert, andere hätten mit den vielen Auflagen und Reglementi­erungen zu kämpfen. Und die ganze Branche habe sich nicht genug um den Nachwuchs bemüht, sagt der Oberstdorf­er Hotelier Robert Frank, Vizepräsid­ent der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben.

Karl Fleschhut, Bürgermeis­ter von Wolfertsch­wenden im Unterallgä­u, kennt die Probleme nur zu gut. Die 2000-Seelen-gemeinde hatte früher eine Dorfwirtsc­haft und ein Landhotel mit Restaurant. Beide mussten schließen – obwohl die Einwohnerz­ahl stetig wächst und viel Gewerbe im Ort angesiedel­t ist. „Die Wirtschaft­en haben im Rahmen der Generation­enfolge zugemacht. Mit dem Dorfleben hat das nichts zu tun“, sagt Fleschhut. Vergangene­s Jahr hat dann der Wirt des Vereinshei­ms aufgehört. Ein Nachfolger war nicht in Sicht, obwohl sich die Gemeinde bundesweit auf die Suche gemacht hat. Die drohende Schließung habe einen „riesigen Aufstand“verursacht. Auf dem Papier ist Fleschhut nun selbst der Wirt, die Mitarbeite­r sind bei der Gemeinde angestellt. 239 Restaurant­s, Imbissstub­en, Cafés und ähnliche Betriebe gab es noch 2007 im Landkreis Unterallgä­u, zehn Jahre später waren es nur noch 214.

Selbst geholfen haben sich die Menschen in Vorderburg (Oberallgäu). Der ehemalige Besitzer des örtlichen Gasthauses wollte das marode Gebäude verkaufen. Eine Gruppe Vorderburg­er gründete deshalb einen Verein und erwarb den „Hirsch“mit Spenden. „Für uns war das die Rettung, sonst hätten wir bestimmt keine Wirtschaft mehr“, sagt Vereinsvor­sitzender Bernhard Weißenbach. 15 Monate lang sanierten Dorfbewohn­er das Gebäude in 22 000 ehrenamtli­chen Arbeitsstu­nden.

Dass so viele Orte mit dem Wirtshauss­terben zu kämpfen haben, hat zahlreiche Gründe. Sanierungs­kosten und fehlender Nachwuchs sind laut Ihk-vertreter Frank nur zwei Aspekte. Hinzu kämen zahlreiche behördlich­e Auflagen, vom Arbeitszei­tgesetz bis zur detaillier­ten Dokumentat­ionspflich­t. „Für große Be- triebe ist so etwas ärgerlich, für kleine existenzge­fährdend.“Johann Britsch vom Bayerische­n Hotel- und Gaststätte­nverband sieht das ähnlich. Er weist auch auf den wirtschaft­lichen Druck hin: Für ein Gericht brauche man 15 Minuten Arbeitszei­t. Bei einem Facharbeit­erlohn von 48Euro pro Stunde dürfte ein Gericht nicht unter zwölf Euro kosten. Dabei seien die Energiekos­ten noch gar nicht mitgerechn­et.

Manch ein Wirt habe es auch verpasst, mit der Zeit zu gehen, sagt Frank. Der Trend gehe zu leichten, einfachen Gerichten, es dürfe aber auch mal etwas Besonderes und Teures sein. Damit sich Wirtshäuse­r halten können, müssten sie sich etwas einfallen lassen. Ein Beispiel dafür ist der „Lustige Hirsch“in Akams, einem Immenstädt­er Ortsteil mit knapp 400 Einwohnern. An Spitzentag­en kommen 600 Besucher in die Gaststätte, sagt Geschäftsf­ührer Michael Ruepp. „Laufkundsc­haft gibt es hier nicht, deswegen ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben.“Immer wieder veranstalt­e er Events wie den Kässpatzen­abend am Donnerstag.

Gute Ideen und guter Wille reichen aber nicht immer aus. Das Wirtschaft­sministeri­um will nun mit einem jährlich 15Millione­n Euro Wirtshäuse­r in Bayern fördern. „Ein guter erster Schritt“, sagt Frank. Er erwartet allerdings, dass sich die Situation für die Wirtshäuse­r in Zukunft noch verschärft. „Das ist schade, denn mit jedem Betrieb geht auch ein Stück Kultur verloren“, sagt er.

„Laufkundsc­haft gibt es hier nicht, deswegen ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben.“

Wirt im 400-Einwohner-ort Akams

 ?? Fotos: Christoph Kölle ?? Die Vorderburg­er haben sich mit viel Arbeitskra­ft und Geld für den Erhalt ihres örtlichen Gasthauses eingesetzt. Andreas Moldenhaue­r ist der Wirt im „Hirsch“.
Fotos: Christoph Kölle Die Vorderburg­er haben sich mit viel Arbeitskra­ft und Geld für den Erhalt ihres örtlichen Gasthauses eingesetzt. Andreas Moldenhaue­r ist der Wirt im „Hirsch“.

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