Unromantisches Klassendrama
Gymnasium Buchloe ist Schauplatz des erstklassigen englischen Stückes Pygmalion von George Bernhard Shaw
Buchloe Man ziehe ihr die alten Klamotten aus, verbrenne diese sofort, man wasche sie gründlich, verpasse ihr neue, elegante Kleider und unterziehe sie einem Intensivkurs in Sachen muttersprachlicher Artikulation.
Man trainiere ihr konsequent jegliche dialektale Färbung ab und lasse sie unablässig Vokale und Wörter nachsprechen, und schon wird aus einem dahergelaufenen, derben Blumenmädchen, einer grobmäuligen Gossenschnepfe eine piekfeine Dame, die der Upper Class würdig ist und sich mit deren elitären, auf soziale Abgrenzung bedachten Vertretern gepflegt zu unterhalten vermag. So die Metamorphose im Musical My Fair Lady.
Und ähnlich wie diese wundersame Verwandlung, bei der Lehrer, Professor Higgins, und seine Schülerin, die gleichsam über die phonetische Leiter sozial aufsteigt, am Ende zusammenkommen, ist auch der griechische Mythos. In dem der Macher und die Gemachte – der Bildhauer Pygmalion und seine Statue, die schließlich von Aphrodite in eine wirkliche Frau verwandelt wird – das finale Liebesglück bekommen. Ein derart romantisches Ende freilich ist der literarischen Vorlage des weltberühmten Musicals, nämlich George Bernard Shaws Drama Pygmalion, gänzlich fremd.
Dabei bietet das Bühnenstück, das von der in München ansässigen American Drama Group Europe in der Aula des Gymnasiums Buchloe aufgeführt wurde, doch eine glaubwürdigere, in sich logischere Handlung und entwirft wohl ein realistischeres Bild der Protagonistin Eliza Doolittle.
Denn warum sollte diese am Ende einem Mann verfallen, der sie nicht nur mit Verbalinjurien überzieht, sondern sie zugegebenermaßen wie Materie behandelt, derer er unmittelbar nach Erfüllung der Mission überdrüssig wird. So wendet sie sich nicht nur angewidert von ihrem Lehrer ab, sondern widersetzt sich auch seinem Ratschlag, einen aristokratischen Mann zu ehelichen, der sie vor dem sonst drohenden sozialen Abstieg bewahren soll.
Am Ende obsiegt also ihr Streben nach Freiheit in Würde, nach Selbstbestimmung. In der Tat scheint sie so gefestigt, dass selbst Higgins bei aller Polemik sie als „Turm der Stärke“(„Tower of strength“) bezeichnet, sie ähnelt damit fast dessen resoluter und autonom handelnder Mutter, Mrs. Higgins. Darin lässt sich nach Aussage der Darstellerin von Eliza Doolittle, Katherine Lunney, Shaws feministische Ader erkennen. Der irischstämmige Autor greift in seinem Drama somit ein Thema von zeitloser Aktualität auf: Frauen werden als Nutzobjekte behandelt, sei es wie in Pygmalion zur Erfüllung wissenschaftlicher Ambitionen oder zur Befriedigung der sexuellen Begierde übergriffiger Regisseure, die gewisse Abhängigkeitsverhältnisse gewissenlos missbrauchten.
Diese Gefahr von meist klassenbedingten Abhängigkeiten klar zu beleuchten und überdies charakterund schichtenspezifische Eigenheiten wie Elizas hysterisches, kaum verständliches, aber deutlich zu vernehmendes Cockney-geschnatter, die für die gehobene Gesellschaft so typische, affektiert-künstliche Unterhaltung über das Wetter auf der iberischen Halbinsel, in welcher Eliza ihre erste Prüfung in korrekter Artikulation absolviert, oder Higgins vor Hybris und Menschenverachtung triefende Aussagen über das Leben der untersten Gesellschaftsschicht schonungslos offenzulegen, stand für den irischen Autor im Vordergrund. Somit verwundert es kaum, dass er sich zu Lebzeiten jegliche Romantisierung in den Adaptionen seines Dramas verbat. Ein solches, nicht in erster Linie auf leicht bekömmliche Unterhaltung abzielendes, noch dazu in einer Fremdsprache dargebotenes Bühnenwerk einem überwiegend jugendlichen oder jungen Publikum zugänglich zu machen, ist eine Herausforderung, welche die American Drama Group Europe nicht zum ersten Mal mit Bravour meisterte – voriges Jahr gab es Shakespeare’s Romeo and Juliet. Dazu trugen die einfachen und doch aussagekräftigen Bühnenbilder bei sowie Higgins ausladende Gestik, Ausdruck seiner ungestümen Leidenschaft für Phonetik, oder die trampelhafte, vom Milieu der Arbeiterklasse kündende Erscheinung von Elizas Vater Mr. Doolittle. Und dazu gehören auch Elizas körpersprachlich sehr überzeugend dargestellte Enttäuschung, als sie erfährt, dass es Higgins und seinem Kollegen nur um eine Wette für einen wissenschaftlichen Versuch ging. Dabei sorgten die gesanglich wunderschön untermalten, flotten, von den schwungvoll agierenden Schauspielern vollzogenen Szenenwechsel für fließende Übergänge und verliehen dem schweren Sujet eine wohltuende Leichtigkeit.
Zum Schluss sei noch auf ein Kuriosum der Schauspieler aufmerksam gemacht, welches ihren weltoffenen, so gar nicht brexittauglichen Charakter offenbart: Es handelt sich um die American Drama Group Europe, von denen die meisten Mitglieder aus Großbritannien stammen, deren Phonetik-lehrer Higgins, alias Stephen Connory Brown, australischen Ursprungs ist.
Ein realistischer Blick auf Eliza Doolittle