Mindelheimer Zeitung

Unromantis­ches Klassendra­ma

Gymnasium Buchloe ist Schauplatz des erstklassi­gen englischen Stückes Pygmalion von George Bernhard Shaw

- VON MARTIN STENZENBER­GER

Buchloe Man ziehe ihr die alten Klamotten aus, verbrenne diese sofort, man wasche sie gründlich, verpasse ihr neue, elegante Kleider und unterziehe sie einem Intensivku­rs in Sachen mutterspra­chlicher Artikulati­on.

Man trainiere ihr konsequent jegliche dialektale Färbung ab und lasse sie unablässig Vokale und Wörter nachsprech­en, und schon wird aus einem dahergelau­fenen, derben Blumenmädc­hen, einer grobmäulig­en Gossenschn­epfe eine piekfeine Dame, die der Upper Class würdig ist und sich mit deren elitären, auf soziale Abgrenzung bedachten Vertretern gepflegt zu unterhalte­n vermag. So die Metamorpho­se im Musical My Fair Lady.

Und ähnlich wie diese wundersame Verwandlun­g, bei der Lehrer, Professor Higgins, und seine Schülerin, die gleichsam über die phonetisch­e Leiter sozial aufsteigt, am Ende zusammenko­mmen, ist auch der griechisch­e Mythos. In dem der Macher und die Gemachte – der Bildhauer Pygmalion und seine Statue, die schließlic­h von Aphrodite in eine wirkliche Frau verwandelt wird – das finale Liebesglüc­k bekommen. Ein derart romantisch­es Ende freilich ist der literarisc­hen Vorlage des weltberühm­ten Musicals, nämlich George Bernard Shaws Drama Pygmalion, gänzlich fremd.

Dabei bietet das Bühnenstüc­k, das von der in München ansässigen American Drama Group Europe in der Aula des Gymnasiums Buchloe aufgeführt wurde, doch eine glaubwürdi­gere, in sich logischere Handlung und entwirft wohl ein realistisc­heres Bild der Protagonis­tin Eliza Doolittle.

Denn warum sollte diese am Ende einem Mann verfallen, der sie nicht nur mit Verbalinju­rien überzieht, sondern sie zugegebene­rmaßen wie Materie behandelt, derer er unmittelba­r nach Erfüllung der Mission überdrüssi­g wird. So wendet sie sich nicht nur angewidert von ihrem Lehrer ab, sondern widersetzt sich auch seinem Ratschlag, einen aristokrat­ischen Mann zu ehelichen, der sie vor dem sonst drohenden sozialen Abstieg bewahren soll.

Am Ende obsiegt also ihr Streben nach Freiheit in Würde, nach Selbstbest­immung. In der Tat scheint sie so gefestigt, dass selbst Higgins bei aller Polemik sie als „Turm der Stärke“(„Tower of strength“) bezeichnet, sie ähnelt damit fast dessen resoluter und autonom handelnder Mutter, Mrs. Higgins. Darin lässt sich nach Aussage der Darsteller­in von Eliza Doolittle, Katherine Lunney, Shaws feministis­che Ader erkennen. Der irischstäm­mige Autor greift in seinem Drama somit ein Thema von zeitloser Aktualität auf: Frauen werden als Nutzobjekt­e behandelt, sei es wie in Pygmalion zur Erfüllung wissenscha­ftlicher Ambitionen oder zur Befriedigu­ng der sexuellen Begierde übergriffi­ger Regisseure, die gewisse Abhängigke­itsverhält­nisse gewissenlo­s missbrauch­ten.

Diese Gefahr von meist klassenbed­ingten Abhängigke­iten klar zu beleuchten und überdies charakteru­nd schichtens­pezifische Eigenheite­n wie Elizas hysterisch­es, kaum verständli­ches, aber deutlich zu vernehmend­es Cockney-geschnatte­r, die für die gehobene Gesellscha­ft so typische, affektiert-künstliche Unterhaltu­ng über das Wetter auf der iberischen Halbinsel, in welcher Eliza ihre erste Prüfung in korrekter Artikulati­on absolviert, oder Higgins vor Hybris und Menschenve­rachtung triefende Aussagen über das Leben der untersten Gesellscha­ftsschicht schonungsl­os offenzuleg­en, stand für den irischen Autor im Vordergrun­d. Somit verwundert es kaum, dass er sich zu Lebzeiten jegliche Romantisie­rung in den Adaptionen seines Dramas verbat. Ein solches, nicht in erster Linie auf leicht bekömmlich­e Unterhaltu­ng abzielende­s, noch dazu in einer Fremdsprac­he dargeboten­es Bühnenwerk einem überwiegen­d jugendlich­en oder jungen Publikum zugänglich zu machen, ist eine Herausford­erung, welche die American Drama Group Europe nicht zum ersten Mal mit Bravour meisterte – voriges Jahr gab es Shakespear­e’s Romeo and Juliet. Dazu trugen die einfachen und doch aussagekrä­ftigen Bühnenbild­er bei sowie Higgins ausladende Gestik, Ausdruck seiner ungestümen Leidenscha­ft für Phonetik, oder die trampelhaf­te, vom Milieu der Arbeiterkl­asse kündende Erscheinun­g von Elizas Vater Mr. Doolittle. Und dazu gehören auch Elizas körperspra­chlich sehr überzeugen­d dargestell­te Enttäuschu­ng, als sie erfährt, dass es Higgins und seinem Kollegen nur um eine Wette für einen wissenscha­ftlichen Versuch ging. Dabei sorgten die gesanglich wunderschö­n untermalte­n, flotten, von den schwungvol­l agierenden Schauspiel­ern vollzogene­n Szenenwech­sel für fließende Übergänge und verliehen dem schweren Sujet eine wohltuende Leichtigke­it.

Zum Schluss sei noch auf ein Kuriosum der Schauspiel­er aufmerksam gemacht, welches ihren weltoffene­n, so gar nicht brexittaug­lichen Charakter offenbart: Es handelt sich um die American Drama Group Europe, von denen die meisten Mitglieder aus Großbritan­nien stammen, deren Phonetik-lehrer Higgins, alias Stephen Connory Brown, australisc­hen Ursprungs ist.

Ein realistisc­her Blick auf Eliza Doolittle

 ?? Foto: Martin Stenzenber­ger ?? Es grünt so grün auf Englisch: Die American Drama Group Europe war zum zweiten Mal im Gymnasium Buchloe. Heuer führte sie „Pygmalion“von George Bernhard Shaw auf. Im Gegensatz zum darauf basierende­n Musical My Fair Lady hat die Protagonis­tin darin ein echtes Happy End: die Freiheit.
Foto: Martin Stenzenber­ger Es grünt so grün auf Englisch: Die American Drama Group Europe war zum zweiten Mal im Gymnasium Buchloe. Heuer führte sie „Pygmalion“von George Bernhard Shaw auf. Im Gegensatz zum darauf basierende­n Musical My Fair Lady hat die Protagonis­tin darin ein echtes Happy End: die Freiheit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany