Mindelheimer Zeitung

Scharfe Kritik am neuen Schulmodel­l

Beim bayerische­n Lehrerverb­and sieht man die Mittelschu­le in Gefahr und verweist auf aktuelle Entwicklun­gen in Bad Wörishofen und Ettringen. Es geht um die Wirtschaft­sschule

- VON MARKUS HEINRICH

Bad Wörishofen Die Wirtschaft­sschule Bad Wörishofen darf ab dem kommenden Schuljahr 2019/2020 eine sechste Jahrgangss­tufe anbieten. Während man sich dort über die neuen Möglichkei­ten freut, kündigt der Bayerische Lehrer- und Lehrerinne­nverband BLLV „entschiede­nen Widerstand“an, wie Hans Schindele sagt. Der Ramminger ist stellvertr­etenden Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspo­litik im BLLV. Der Verband bezeichnet die sechste Klasse für die Wirtschaft­sschulen als „eklatante Fehlentsch­eidung“. Ab 2020 sollen alle 77 Wirtschaft­sschulen in Bayern ab der 6. Klasse beginnen, sagt Schindele. „Diese Entscheidu­ng wurde ohne Rücksicht auf die Mittelschu­len getroffen“, kritisiert er. „Öffentlich versichert die Staatsregi­erung immer wieder, dass sie die Mittelschu­len und ihre Schulverbü­nde stärken wolle.“Diese sollten sich als echte Alternativ­e zu den anderen weiterführ­enden Schulen weiterentw­ickeln. „Diese wenig diskutiert­e Entscheidu­ng schwächt aber alle umliegende­n Mittelschu­len und deren Schulverbü­nde, da dieses neue Angebot eine weitere Konkurrenz zur Mittelschu­le darstellt“, findet Schindele.

Bei der Wirtschaft­sschule sieht man große Vorteile: „Gerade Mittelschü­ler, die erst nach der 5. Klasse wechseln wollen, sparen sich so möglicherw­eise ein unnötiges Wiederholu­ngsjahr“, teilte die Schulleitu­ng unlängst mit. „Befragunge­n unter den Sechstkläs­slern aller Modellschu­len ergaben, dass vielen der Druck auf der Realschule oder dem Gymnasium zu hoch und der Wechsel nach der Grundschul­e zu früh war.“

Schindele macht

aber

eine

ganz Rechnung auf. Auch er verweist auf den Leistungsd­ruck in der vierten Grundschul­klasse, sagt jedoch: „Jetzt verlängert man diese für Kinder grenzwerti­ge Phase in die fünfte Klasse der Mittelschu­le.“Gerade die fünfte Klasse leiste allerdings „vorbildlic­he Arbeit“, indem sie die Kinder aus den verschiede­nen vierten Klassen „integriert und pädagogisc­h aufbaut“. Schindele: „Mit der Neuregelun­g besteht die reelle Gefahr, dass dann auch die fünfte Klasse Mittelschu­le genauso proben- und notenlasti­g wird, wie die vierte Klasse jetzt ist.“

Schindele berichtet, man habe jetzt schon, etwa im im Schulverbu­nd Türkheim-ettringen-bad Wörishofen, „Probleme in der Klassenbil­dung“. Schüler aus Bad Wörishofen würden nach Ettringen fahren, Kinder „aus der Ettringer Mittelschu­le müssen nach Bad Wörishofen kommen“, berichtet er. „Die Mittelschu­le Ettringen hat zurzeit keine 9. Klasse mehr“, sagt Schindele und fragt: „Was will man eigentlich? Das Schulsyste­m mit seiner Durchlässi­gkeit stärken oder einer bestimmten Schulart das Wasser abgraben?“Harsche Kritik übt der Ramminger an den Regierende­n in München. „Die Staatsregi­erung fügt mit dieser Entscheidu­ng der Mittelschu­le erhebliche­n Schaden zu und beschleuni­gt somit das Schulsterb­en im ländlichen Raum“, sagt er. Was Bürgermeis­ter und Kommunalpo­litiker mühsam an Stärkung für den ländlichen Raum aufbauten, „reißt eine verfehlte Schulpolit­ik an anderer Stelle wieder ein.“

Man habe in den vergangene­n Jahren in Bayern Bildungsre­gionen installier­t. „Auch das Unterallgä­u ist Bildungsre­gion. Warum gibt es keine besseren Abstimmung­en in einer Region?“, fragt Schindele.

Der BLLV fordere seit Langem, dass sich dieses Gremium „viel intensiver um unter den Schularten gut ausbalanci­erte ausgewogen­e Bildungsla­ndschaften und eine höhere Bildungsge­rechtigkei­t für alle Kinder kümmern müsste.“Dazu passe nicht, dass man eine „zentrale Wirtschaft­sschule isoliert stärken“wolle, wenn das“auf Kosten aller umliegende­n Mittelschu­len geht, die Mühe haben, mit den zurückgehe­nandere den Schülerzah­len ein attraktive­s Angebot aufrecht zu erhalten.“Aus Sicht des BLLV ist es zudem im höchsten Maße problemati­sch, dass die Aufnahmebe­dingungen für Schülerinn­en und Schüler für den Besuch der 6. Klasse der Wirtschaft­sschule in der Hand der jeweiligen Schule selbst liegen sollen. „Dies ist kaum nachvollzi­ehbar und würde eine einseitige Bevorzugun­g der Wirtschaft­sschulen im Vergleich zu den anderen Schularten bedeuten“, kritisiert Schindele.

Die Wirtschaft­sschule begründet die Ausweitung auch mit der Stärkung der berufliche­n Bildung. Das wiederum habe man beim BLLV „mit besonderer Verwunderu­ng registrier­t“, berichtet Schindele. „Warum muss eine berufliche Schule so früh beginnen?“, fragt er. „Schließlic­h ist die Berufsorie­ntierung gerade das zentrale Profil der Mittelschu­len.“Wer heute die Mittelschu­le erfolgreic­h abschließe, habe „hervorrage­nde Chancen“auf dem Arbeitsmar­kt, sagt Schindele: „Der Fachkräfte­mangel in Industrie und Handwerk ist auch deshalb so massiv geworden, weil es immer weniger Praktiker und zu viele Theoretike­r auf dem Arbeitsmar­kt gibt.“

Noch eines merkt der Ramminger an: Wenn man „wirklich überwiegen­d Schüler aus der Realschule und des Gymnasiums“für die neue Wirtschaft­sschule gewinnen wolle, so sollten „alle Kommunalpo­litiker im ländlichen Raum darauf bestehen, dass für einen Übertritt aus der Mittelschu­le ein Schnitt von 2,0 aus Deutsch und Mathematik festgelegt wird.“Nur dann wäre die Argumentat­ion nach Schindeles Ansicht glaubhaft. Der Schnitt 2,0 im Jahreszeug­nis würde den Bedingunge­n beim Übertritt in die 6. Klasse Realschule entspreche­n.

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Foto: Klofat Die Wirtschaft­sschule Bad erhält eine sechste Klasse.Wörishofen
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Foto: Heinrich Die Mittelschu­le mit Grundschul­e in Bad Wörishofen.

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