Scharfe Kritik am neuen Schulmodell
Beim bayerischen Lehrerverband sieht man die Mittelschule in Gefahr und verweist auf aktuelle Entwicklungen in Bad Wörishofen und Ettringen. Es geht um die Wirtschaftsschule
Bad Wörishofen Die Wirtschaftsschule Bad Wörishofen darf ab dem kommenden Schuljahr 2019/2020 eine sechste Jahrgangsstufe anbieten. Während man sich dort über die neuen Möglichkeiten freut, kündigt der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband BLLV „entschiedenen Widerstand“an, wie Hans Schindele sagt. Der Ramminger ist stellvertretenden Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik im BLLV. Der Verband bezeichnet die sechste Klasse für die Wirtschaftsschulen als „eklatante Fehlentscheidung“. Ab 2020 sollen alle 77 Wirtschaftsschulen in Bayern ab der 6. Klasse beginnen, sagt Schindele. „Diese Entscheidung wurde ohne Rücksicht auf die Mittelschulen getroffen“, kritisiert er. „Öffentlich versichert die Staatsregierung immer wieder, dass sie die Mittelschulen und ihre Schulverbünde stärken wolle.“Diese sollten sich als echte Alternative zu den anderen weiterführenden Schulen weiterentwickeln. „Diese wenig diskutierte Entscheidung schwächt aber alle umliegenden Mittelschulen und deren Schulverbünde, da dieses neue Angebot eine weitere Konkurrenz zur Mittelschule darstellt“, findet Schindele.
Bei der Wirtschaftsschule sieht man große Vorteile: „Gerade Mittelschüler, die erst nach der 5. Klasse wechseln wollen, sparen sich so möglicherweise ein unnötiges Wiederholungsjahr“, teilte die Schulleitung unlängst mit. „Befragungen unter den Sechstklässlern aller Modellschulen ergaben, dass vielen der Druck auf der Realschule oder dem Gymnasium zu hoch und der Wechsel nach der Grundschule zu früh war.“
Schindele macht
aber
eine
ganz Rechnung auf. Auch er verweist auf den Leistungsdruck in der vierten Grundschulklasse, sagt jedoch: „Jetzt verlängert man diese für Kinder grenzwertige Phase in die fünfte Klasse der Mittelschule.“Gerade die fünfte Klasse leiste allerdings „vorbildliche Arbeit“, indem sie die Kinder aus den verschiedenen vierten Klassen „integriert und pädagogisch aufbaut“. Schindele: „Mit der Neuregelung besteht die reelle Gefahr, dass dann auch die fünfte Klasse Mittelschule genauso proben- und notenlastig wird, wie die vierte Klasse jetzt ist.“
Schindele berichtet, man habe jetzt schon, etwa im im Schulverbund Türkheim-ettringen-bad Wörishofen, „Probleme in der Klassenbildung“. Schüler aus Bad Wörishofen würden nach Ettringen fahren, Kinder „aus der Ettringer Mittelschule müssen nach Bad Wörishofen kommen“, berichtet er. „Die Mittelschule Ettringen hat zurzeit keine 9. Klasse mehr“, sagt Schindele und fragt: „Was will man eigentlich? Das Schulsystem mit seiner Durchlässigkeit stärken oder einer bestimmten Schulart das Wasser abgraben?“Harsche Kritik übt der Ramminger an den Regierenden in München. „Die Staatsregierung fügt mit dieser Entscheidung der Mittelschule erheblichen Schaden zu und beschleunigt somit das Schulsterben im ländlichen Raum“, sagt er. Was Bürgermeister und Kommunalpolitiker mühsam an Stärkung für den ländlichen Raum aufbauten, „reißt eine verfehlte Schulpolitik an anderer Stelle wieder ein.“
Man habe in den vergangenen Jahren in Bayern Bildungsregionen installiert. „Auch das Unterallgäu ist Bildungsregion. Warum gibt es keine besseren Abstimmungen in einer Region?“, fragt Schindele.
Der BLLV fordere seit Langem, dass sich dieses Gremium „viel intensiver um unter den Schularten gut ausbalancierte ausgewogene Bildungslandschaften und eine höhere Bildungsgerechtigkeit für alle Kinder kümmern müsste.“Dazu passe nicht, dass man eine „zentrale Wirtschaftsschule isoliert stärken“wolle, wenn das“auf Kosten aller umliegenden Mittelschulen geht, die Mühe haben, mit den zurückgehenandere den Schülerzahlen ein attraktives Angebot aufrecht zu erhalten.“Aus Sicht des BLLV ist es zudem im höchsten Maße problematisch, dass die Aufnahmebedingungen für Schülerinnen und Schüler für den Besuch der 6. Klasse der Wirtschaftsschule in der Hand der jeweiligen Schule selbst liegen sollen. „Dies ist kaum nachvollziehbar und würde eine einseitige Bevorzugung der Wirtschaftsschulen im Vergleich zu den anderen Schularten bedeuten“, kritisiert Schindele.
Die Wirtschaftsschule begründet die Ausweitung auch mit der Stärkung der beruflichen Bildung. Das wiederum habe man beim BLLV „mit besonderer Verwunderung registriert“, berichtet Schindele. „Warum muss eine berufliche Schule so früh beginnen?“, fragt er. „Schließlich ist die Berufsorientierung gerade das zentrale Profil der Mittelschulen.“Wer heute die Mittelschule erfolgreich abschließe, habe „hervorragende Chancen“auf dem Arbeitsmarkt, sagt Schindele: „Der Fachkräftemangel in Industrie und Handwerk ist auch deshalb so massiv geworden, weil es immer weniger Praktiker und zu viele Theoretiker auf dem Arbeitsmarkt gibt.“
Noch eines merkt der Ramminger an: Wenn man „wirklich überwiegend Schüler aus der Realschule und des Gymnasiums“für die neue Wirtschaftsschule gewinnen wolle, so sollten „alle Kommunalpolitiker im ländlichen Raum darauf bestehen, dass für einen Übertritt aus der Mittelschule ein Schnitt von 2,0 aus Deutsch und Mathematik festgelegt wird.“Nur dann wäre die Argumentation nach Schindeles Ansicht glaubhaft. Der Schnitt 2,0 im Jahreszeugnis würde den Bedingungen beim Übertritt in die 6. Klasse Realschule entsprechen.