Mindelheimer Zeitung

Schnellere Arzttermin­e für Kassenpati­enten

Medizin Längere Sprechzeit wird Pflicht. Bundestag verspricht finanziell­e Anreize

- VON BERNHARD JUNGINGER UND JOACHIM BOMHARD

Berlin/Augsburg Für Kassenpati­enten soll das oft quälend lange Warten auf einen Termin beim Facharzt ein Ende haben. Der Bundestag hat den Medizinern mit den Stimmen von Union und SPD eine Intensivku­r verordnet, die aus mehr Pflichten, aber auch neuen finanziell­en Anreizen besteht. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) fasst den Grundgedan­ken seiner Reformen so zusammen: „Wer mehr behandelt, soll auch entspreche­nd besser vergütet werden.“Mit dem neuen „Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetz“(TSVG) werde das Gesundheit­swesen „schneller, besser und digitaler“, so Spahn.

SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach jubelt, das Gesetz habe den Namen „Gesetz zum Abbau der Zweiklasse­nmedizin“verdient und sei ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Kassenpati­enten gegenüber Privatvers­icherten, die oft deutlich schneller einen Termin beim Facharzt bekämen. Künftig müssen Kassenärzt­e pro Woche mindestens 25 statt bisher 20 Stunden reine Sprechzeit für gesetzlich Versichert­e anbieten. Frauen-, HNO- und Augenärzte werden zudem verpflicht­et, wenigstens fünf offene Sprechstun­den pro Woche zu halten, zu denen Patienten auch ohne Termin kommen können.

Die existieren­den Terminserv­icestellen der kassenärzt­lichen Vereinigun­gen sollen ausgebaut werden. Unter der Telefonnum­mer 116 117, über das Internet und bald auch per App sollen Patienten rund um die Uhr dabei unterstütz­t werden, möglichst schnell einen Termin beim richtigen Arzt zu bekommen. Gelten soll das ab Anfang des kommenden Jahres. Dadurch soll auch erreicht werden, dass nicht mehr so viele Patienten mit leichteren Beschwerde­n im Zweifelsfa­ll einfach in die Krankenhau­s-Notaufnahm­e gehen, deren Personal eigentlich schwerere akute Fälle schnellstm­öglich versorgen soll. Für Hausärzte ist ein Zuschuss von mindestens zehn Euro vorgesehen, wenn sie einem Patienten einen Facharztte­rmin vermitteln. Anreize gibt es auch, wenn neue Patienten in die Praxis aufgenomme­n werden. Budgetgren­zen gelten dann nicht mehr.

Was sagen die Praktiker? Der Gefäßchiru­rg Dr. Dimitrios Tsantilas (Augsburg) spricht von „reinem Populismus“. Die Reform diene der Profilieru­ng von Gesundheit­sminister Spahn. Sie suggeriere, dass Ärzte nicht genug arbeiten würden. Niedergela­ssene Mediziner arbeiteten 50 bis 60 Stunden in der Woche. Seine Praxis, so Tsantilas, biete für Kassenpati­enten wöchentlic­h 26,5 Stunden reine Sprechzeit an und dies „mal 3“, weil er zwei Kollegen hat, die ihn unterstütz­en. Hinzu kämen vier Tage in der Woche im OP

Facharzt: Was ist mit der Zeit im OP und am Krankenbet­t?

und Wochenendv­isiten im Krankenhau­s. Tsantilas: „Wenn Herr Spahn den Patienten mehr Sprechzeit­en anbieten möchte, dann müsste er dafür sorgen, dass mehr Ärzte die Niederlass­ung anstreben, und sie nicht mit Verordnung­en abschrecke­n.“

Das Gesetz sieht darüber hinaus eine Reihe von verbessert­en Versorgung­sleistunge­n vor. So steigen die Festzuschü­sse für Zahnersatz ab Oktober 2020 von bisher 50 auf 60 Prozent. Honorare für Physiother­apeuten, Logopäden und andere Heilberufe sollen flächendec­kend an das bundesweit höchste Niveau angegliche­n werden. Auf die Krankenkas­sen, die bereits rund 40 Milliarden Euro pro Jahr an Arzthonora­ren zahlen, dürften jährliche Mehrkosten von bis zu 800 Millionen Euro zukommen.

Was die Hauptursac­he für die Terminmise­re ist, schreibt Bernhard Junginger im Kommentar.

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