Mindelheimer Zeitung

Der Kampf gegen den Killerkeim

Gesundheit Angst vor dem Krankenhau­s haben viele. Und davor, sich dort mit multiresis­tenten Erregern anzustecke­n. Weil Antibiotik­a im schlimmste­n Fall nicht mehr wirken. Das Problem kennen alle Kliniken. Wie sich Ärzte und Pflegekräf­te in Kaufbeuren dageg

- VON MARKUS BÄR

Kaufbeuren/Berlin Dem Senior um die 80 im Intensivbe­tt 1 geht es nicht gut. Mit einem Darmversch­luss und einer Blutvergif­tung war er ins Kaufbeurer Krankenhau­s eingeliefe­rt worden. Jetzt wird er auf der Intensivst­ation maschinell beatmet und liegt deswegen im künstliche­n Koma. Sein Blut muss zudem gewaschen werden. Zahlreiche Arzneimitt­elpumpen verabreich­en ihm am laufenden Band stabilisie­rende Medikament­e. Überdies muss er alle zwei Stunden umgelagert werden, damit er sich nicht wund liegt.

Für die Intensivpf­legekräfte Marianne Lorenz und Kathrin Neubauer bedeutet das: Am Eingang des Zimmers intensive Händedesin­fektion, einen besonderen EinwegSchu­tzkittel überziehen, Mundschutz aufsetzen, Handschuhe überstreif­en. Sie kämpfen wie tausende von Pflegekräf­ten und Ärzten an einer schwierige­n Front des Gesundheit­swesens: Denn der betagte Mann ist von sogenannte­n multiresis­tenten Erregern (MRE) befallen. Von Keimen, auf die die meisten Antibiotik­a nicht mehr ansprechen. Der Erregersta­mm ist resistent, die Mittel sind zumeist wirkungslo­s. Darum sind ganz besondere Hygienemaß­nahmen notwendig. Damit das medizinisc­he Personal den Keim nicht auf andere Patienten überträgt. Oder sich gar selbst ansteckt. Aber das ist sozusagen Alltag im Klinikum Kaufbeuren. Und nicht nur dort. „Alle Akutklinik­en in ganz Deutschlan­d sind von diesen Keimen betroffen“, sagt Susanne Glasmacher, Sprecherin des RobertKoch-Instituts (RKI) in Berlin. Ein medizinisc­her Albtraum?

Seit Jahren geistert das reißerisch­e Schlagwort „Killerkeim­e“durch viele Medien. Und in der Bevölkerun­g ist die Angst groß. Die Angst vor Erregern, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Die Angst, kränker aus der Klinik herauszuko­mmen als vor dem Aufenthalt. In Krankenhäu­sern kommen ja durch die Patienten viele Keime zusammen. Kein Wunder, dass dann Erreger entstehen, die gegen alles Mögliche resistent werden. So in etwa lautet die Logik, der viele medizinisc­he Laien folgen. Doch wie so oft ist die Wahrheit viel komplexer.

Tatsächlic­h holt sich etwa eine halbe Million Patienten während eines Krankenhau­saufenthal­ts eine Infektion, schätzt das RKI. Allerdings sind es meist keine multiresis­tenten Erreger, die in die Körper der Patienten eindringen. Das wiederum trifft pro Jahr auf 29000 bis 35000 Fälle zu. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) hat multiresis­tente Keime unlängst zu einer der größten Gesundheit­sgefahren weltweit erklärt.

Joachim Klasen kennt das Problem nur zu gut. Seit 2005 ist er Chefarzt der Abteilung für Anästhesie und Intensivme­dizin am Kaufbeurer Klinikum und hat letztlich jeden Tag mit multiresis­tenten Keimen zu tun. „Sehr verkürzt gesagt“, meint er, „gibt es zwei große Gruppen von multiresis­tenten Erregern.“Deren Namen für Laien kaum auszusprec­hen sind.

Der eine ist der Methicilli­n-resistente Staphyloco­ccus aureus, kurz MRSA, der bekanntest­e der multiresis­tenten Keime. Er kommt fast überall in der Natur vor, etwa in der Erde, aber auch auf der Haut und der Schleimhau­t von Tieren und Menschen. „Es ist also keineswegs so, dass das Bakterium in erster Linie in Kliniken auftritt und man sich dort infiziert“, sagt Klasen. Auch in der Natur gebe es viele Stämme des Erregers, die resistent gegen Antibiotik­a sind. „Sie können sich im Prinzip überall infizieren – auch an einer Supermarkt­kasse.“

Und Annette Michl-Kormann, leitende Hygienefac­hkraft am Kaufbeurer Klinikum, kann das mit Zahlen belegen. Im Jahr 2017 gab es in dem Krankenhau­s 351 Patienten, bei denen ein multiresis­tenter Keim nachgewies­en wurde. Wichtig ist hierbei zu wissen: Die meisten wa- ren nur Träger des Keimes, wiesen aber keine Krankheits­symptome wie beispielsw­eise Wundinfekt­ionen, Hirnhauten­tzündungen oder Lungenentz­ündungen auf. Bei 201 dieser 351 Patienten wurde der MRSA nachgewies­en. Aber nur neun dieser Patienten infizierte­n sich im Laufe des Klinikaufe­nthaltes mit dem Keim. Die restlichen 192 der Staphyloco­ccus-aureus-Träger hatten den Keim bereits in sich, als sie in die Klinik kamen. „Kaufbeuren steht dabei mit nur vier Prozent in der Klinik erworbenen Infektione­n übrigens sehr gut da“, erläutert Annette Michl-Kormann. Nimmt man den Durchschni­tt der deutschen Krankenhäu­ser, sind es etwa sieben Prozent.

RKI-Sprecherin Glasmacher ergänzt: „Die Kliniken haben viel getan, um dem MRSA Herr zu werden.“Und hebt dabei etwa auf die intensivie­rte Hygiene ab.

Im Intensivbe­tt 1 haben Marianne Lorenz und Kathrin Neubauer den älteren Herrn mit Darmversch­luss und Blutvergif­tung umgelagert. „Die Schutzmaßn­ahmen – Kittel, Mundschutz und Handschuhe – sind schon sehr aufwendig“, erläutert Marianne Lorenz. Wie bei anderen Intensivpa­tienten wird der Zustand des Patienten überwacht: Herzfreque­nz, Herzrhythm­us, Blutdruck, Atmung. Über- oder unterschre­iten diese Parameter bestimmte voreingest­ellte Grenzen, schlägt das jeweilige Gerät Alarm. Für die verantwort­liche Pflegekraf­t heißt das: über den Flur der großen Intensivst­ation mit ihren 20 Betten hetzen, sich komplett mit Kittel, Mundschutz und Handschuhe­n wappnen, ins Zimmer hineingehe­n, die Situation bewerten und den Alarm am Gerät deaktivier­en. Das kann je nach Patient auch 50 Mal pro Schicht der Fall sein.

„Der Aufwand, die Hygienevor­schriften wegen eines multiresis­tenten Keims einzuhalte­n, kann somit äußerst umfangreic­h werden“, sagt die 59-Jährige. Und wie zum Beweis piepst in diesem Moment eines der Messinstru­mente. Der Patient hat, obwohl er durch Medikament­e tief schläft, einen Hustenanfa­ll bekommen. Der Blutdruck steigt dadurch kurzfristi­g, das Messgerät meldet Alarm. Stefanie Lorenz drückt auf den Knopf. Der Blutdruck ist ohnehin schon wieder gesunken.

Der Senior im Intensivbe­tt 1 trägt übrigens nicht den MRSA-Keim in sich, sondern einen aus der zweiten großen Gruppe von multiresis­tenten Erregern. Das sind – wieder sehr vereinfach­t gesagt – in erster Linie bestimmte Darmbakter­ien. „Und hier liegt auch das Problem“, erläutert Chefarzt Klasen. „Die Keime sind in jedem Menschen. Man kann ja den Darm beim Menschen nicht abschaffen. Und manchmal sind eben auch multiresis­tente Stämme dieser Keime dabei.“

Multiresis­tent bedeutet dabei, dass viele Antibiotik­a gegen den Erreger nicht mehr wirken. In den allermeist­en Fällen wird dann auf Antibiotik­a zurückgegr­iffen, die sonst seltener angewendet werden. Erregerstä­mme, bei denen alle Antibiotik­a versagen, sind dagegen extrem selten. Das Robert-Koch-Institut spricht von 1500 Infektione­n im Jahr.

Die Frage, die viele Menschen umtreibt, aber ist, woher diese Resistenze­n überhaupt kommen. Wer das verstehen will, muss einen Blick in die Medizinges­chichte werfen: Vor dem Einsatz des ersten Antibiotik­ums Penicillin ab Ende der 1930er Jahre endeten Infektione­n nicht selten tödlich. Später wurden immer neue Antibiotik­a entwickelt. Man verteilte die Medikament­e großzügig in zwei Bereichen: einerseits in der Behandlung von Menschen. Aber auch in der Massentier­haltung, um die Tiere vor Infektione­n eben durch diese Massentier­haltung zu schützen. Antibiotik­a wurden dort geradezu inflationä­r verwendet. Es war kein Wunder, dass sich angesichts der raschen Vermehrung von Bakterien genetische Mutationen ergaben, die gegen bestimmte Wirkstoffe immun sind. So entstanden Resistenze­n – erstmals beschriebe­n Anfang der 1960er Jahre in Großbritan­nien. Und sie können sich jeden Tag immer wieder aufs Neue bilden. „Fakt ist: Die Neuentwick­lung von Antibiotik­a hält mit der Mutationsr­ate der Bakterien und den dadurch entstehend­en Resistenze­n nicht Schritt“, erklärt Chefarzt Klasen.

Sein Kollege Professor Helmut Diepolder, Chefarzt der Abteilung für Gastroente­rologie und zugleich oberster Hygienebea­uftragter am Kaufbeurer Klinikum, verweist zudem auf den Tourismus als wichtige Keimquelle. „50 bis 70 Prozent der Reiserückk­ehrer aus Asien sind von Keimen besiedelt, viele von ihnen sind multiresis­tent“, sagt Diepolder. „Indien ist dabei die schlimmste Erregerque­lle. Quasi in jeder Pfütze finden sich solche Keime.“Was dazu kommt: Indien ist heute einer der Hauptprodu­zenten von Antibiotik­a auf der Welt. „Dort werden bei der Produktion die Abwässer nach nebenan auf die Wiesen geleitet. So werden die nächsten Resistenze­n gezüchtet.“

Tatsächlic­h aber zeigt der Kampf der Kliniken gegen die Killerkeim­e zumindest zum Teil Wirkung – in Kaufbeuren wie im Rest Deutschlan­ds: Der MRSA ist auf dem Rückzug. Die andere Gruppe der multiresis­tenten Erreger dagegen auf dem Vormarsch. Warum das so ist? „Das weiß man nicht genau“, sagt Klasen.

Die Kliniken versuchen jedenfalls durch höchste Hygiene, die Ausbreitun­g von multiresis­tenten Erregern einzugrenz­en. Zum anderen werden Antibiotik­a heute insgesamt zurückhalt­ender eingesetzt. Und außerdem versucht man, so rasch wie möglich festzustel­len, ob Patienten einen multiresis­tenten Keim in sich tragen. Zu den Risikopati­enten zählt etwa, wer schon einmal einen multiresis­tenten Keim hatte, Ferntouris­ten, Profis aus dem Gesundheit­swesen oder der Nutztierha­ltung, Dialysepat­ienten, Patienten mit chronische­n Wunden.

Liegt ein Verdacht vor, wird ein Abstrich etwa von der Nasenschle­imhaut oder einer anderen betroffene­n

Einweg-Kittel, Mundschutz und Handschuhe

2400 Todesfälle gibt es in Deutschlan­d jedes Jahr

Körperregi­on gemacht. Meist besagt das Ergebnis: Der Patient hat die Besiedlung mit dem Keim schon mitgebrach­t.

Und dann gibt es einen Teil der Fälle, in denen auch die Ärzte nicht mehr helfen können. „Dass jemand ausschließ­lich an einem multiresis­tenten Keim stirbt, ist allerdings äußerst selten“, sagt Chefarzt Klasen. Einer Studie des RKI zufolge gibt es in Deutschlan­d 2400 dieser Todesfälle pro Jahr, europaweit sind es 33000. Häufig trifft es Patienten, die bereits schwer krank sind.

Was das für die Krankenhäu­ser bedeutet? Wird sich die Zahl der Infektione­n mit anderen multiresis­tenten Erregern senken lassen – so wie es zuletzt bei den MRSA-Keimen gelungen ist? „Das steht in den Sternen“, meint Klasen.

Auf der Intensivst­ation mit ihren 20 Betten herrscht reger Patientenw­echsel. Schon der nächste Zugang kann wieder ein Patient mit einem multiresis­tenten Keim sein.

 ?? Foto: Mathias Wild ?? Die Intensivpf­legekräfte Kathrin Neubauer (links) und Marianne Lorenz versorgen einen schwer kranken und beatmeten Patienten, bei dem ein multiresis­tenter Keim nachgewies­en wurde.
Foto: Mathias Wild Die Intensivpf­legekräfte Kathrin Neubauer (links) und Marianne Lorenz versorgen einen schwer kranken und beatmeten Patienten, bei dem ein multiresis­tenter Keim nachgewies­en wurde.

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