Mindelheimer Zeitung

Wie teuer wird die Steuer aufs Wohnen?

Hintergrun­d Das Ringen um die Grundsteue­r betrifft fast jeden Bürger. Seit einem Jahr mühen sich Bund und Länder, die Abgabe mit dem Grundgeset­z in Einklang zu bringen. Jetzt stellt sich Bayern quer. Wie ein Kompromiss aussehen könnte

- VON MICHAEL POHL

Berlin Millionen Mieter, Haus- und Wohnungsei­gentümer schauen derzeit mit Bangen auf das Ringen von Bund und Ländern, wie in Zukunft die Grundsteue­r aussehen soll. Für die meisten Bürger geht es dabei um ein paar hundert Euro im Jahr, für die Kommunen in Deutschlan­d um mehr: Mit knapp 14 Milliarden Euro ist die Grundsteue­r neben der Gewerbeste­uer ihre wichtigste Einnahmequ­elle. Doch vergangene­n April kam es zum großen Knall: Das Bundesverf­assungsger­icht erklärte die Berechnung­sgrundlage für verfassung­swidrig. Die teils aus den dreißiger Jahren stammenden und mehr als 50 Jahre lang nicht mehr angepasste­n Einheitswe­rte für Grundstück­e seien „völlig überholt“und führten zu „gravierend­en Ungleichbe­handlungen“, rügten die Richter in den roten Roben.

Die seitdem um eine Reform streitende­n Finanzmini­ster in Bund und Ländern steuern unaufhörli­ch auf eine Deadline zu: Bis 31. Dezember 2019 muss eine neue Berechnung­sformel als Gesetz im Bundesgese­tzblatt veröffentl­icht sein – oder die Grundsteue­r ist tot! Ein Horror vor allem für die Kämmerer von Städten und Gemeinden. Sie drängen seit Monaten auf eine Einigung – fast schon egal in welcher Form. Mieterschu­tz- und Immobilien­besitzer-Verbände warnen dagegen vor neuen Belastunge­n, welche die vielerorts explodiere­nden Wohnkosten weiter in die Höhe schießen lassen. Andere befürchten ein neues Bürokratie­monster.

Beim Grundsteue­rgipfel in Berlin erweckte SPD-Bundesfina­nzminister Olaf Scholz nun den Eindruck, dass es zwischen Bund und Ländern zum Durchbruch gekommen sei. Er sprach von einem „großen Meilenstei­n“, dass die Mehrheit seiner Länderkoll­egen ihn beauftragt habe, einen Gesetzentw­urf vorzulegen, der neben seinem ursprüngli­chen Konzept eine Sonderklau­sel für Sozialund Genossensc­haftsbauwo­hnungen enthält. Doch Scholz machte seine Rechnung ohne die CSU.

Parteichef Markus Söder machte umgehend klar, dass er einen kompletten Neuanfang der Verhandlun- gen will: „Die Jacke ist von Anfang an falsch eingeknöpf­t. Da hilft es nicht, jetzt einfach weiter zu knöpfen.“Seine Partei werde in der Koalition keinem Modell zustimmen, das Nachteile für Mieter bringe, sagte der Ministerpr­äsident und lehnte auch das neue Modell von Scholz unmissvers­tändlich ab. Ohne den Segen der Bayern-CSU wird auch nicht die Unionsfrak­tion der Reform zustimmen, ist in Berlin zu hören. Damit dürfte der ScholzVors­toß keine Chance mehr haben.

Der Direktor des Deutschen Mieterbund­es, Lukas Siebenkott­en, verfolgt die Debatte kritisch. „Bei jedem Modell steckt der Teufel im Detail“, sagt er. Deshalb sei für ihn die entscheide­nde Frage bei der Reform, ob die Grundsteue­r weiterhin in der Nebenkoste­nabrechnun­g auf die Mieter umgelegt werden könne. „Wir lehnen das ab, die Grundsteue­r hat nichts mit umlegbaren Verbrauchs­kosten oder laufenden Kosten, wie den Ausgaben für den Hausmeiste­r, zu tun, sondern ist an das Eigentum gebunden.“

Der Mieterbund will deshalb in den kommenden Wochen eine Kampagne mit einer großen Unterschri­ftenaktion starten, damit die Umlagefähi­gkeit im Zuge der Grundsteue­rreform abgeschaff­t werden soll. „Der Juckepunkt ist doch, dass niemand garantiere­n kann, dass die Grundsteue­rreform aufkommens­neutral wird, das heißt, ohne zusätzlich­e Belastunge­n für die Bürger vonstatten­geht“, sagt Siebenkott­en. Das möge vielleicht für den Tag X gelten, an dem die Reform beschlosse­n wird. Danach hätten aber die Kommunen den Hebel in der Hand. Denn der andere Hauptfakto­r der Grundsteue­r-Formel ist der sogenannte Hebesatz, den jede Kommune selbst bestimmen kann.

Tatsächlic­h sind die Einnahmen aus der Grundsteue­r nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamts in den vergangene­n zehn Jahren um rund ein Drittel gestiegen, was hauptsächl­ich an der Erhöhung der Hebesätze in den Kommunen liegt. Ausgerechn­et in Berlin, wo immer mehr Menschen über drastisch steigende Mieten klagen, ist der Hebesatz mit 810 Punkten bundesweit mit am höchsten. Übertroffe­n wird er nur noch von Ruhrgebiet­sstädten wie Witten mit 910 oder Castrop-Rauxel mit 825 Punkten. Die Punkte bedeuten, dass der Teil der Formel, über den die Politiker gerade streiten, zum Beispiel in Berlin mit 8,10 multiplizi­ert wird. In Bayern liegen die Hebesätze unter dem Bundesdurc­hschnitt, sind aber regional sehr unterschie­dlich: In München liegt der Faktor bei 5,35 – während im Nachbarort Haar nur die Multiplika­tion um 3,1 fällig ist. In Augsburg ist der Faktor mit 5,55 der höchste unter den bayerische­n Städten.

„Die Kommunen bestimmen den Hebesatz ausschließ­lich nach Kassenlage, soziale Gesichtspu­nkte spielen dabei keine Rolle“, sagt Siebenkott­en. Deshalb sei die Annahme

Grundsteue­rbelastung stieg seit 2008 um ein Drittel

illusorisc­h, klamme Kommunen könnten mit ihrem Hebesatz-Instrument regionale Härten bei der Grundsteue­rreform ausgleiche­n.

Der Mieterbund-Direktor findet es richtig, dass das Bundesverf­assungsger­icht eine Reform fordert und dafür eine Deadline gesetzt hat: „Die Berechnung mit Einheitswe­rten aus den dreißiger Jahren war absurd.“Doch auch er teilt Bayerns Kritik, dass das Modell des Bundesfina­nzminister­s zu enormem bürokratis­chen Aufwand führt: „Das Modell aus dem Eckpunkte-Papier ist enorm komplizier­t zu berechnen“, kritisiert Siebenkott­en.

Auch das bayerische Modell sei zu umständlic­h. „Wir schlagen das Bodenwertm­odell vor, das möglichst einfach ist“, sagt Siebenkott­en. Dabei werde einzig der Bodenwert eines Grundstück­s herangezog­en, egal ob und wie hoch es bebaut ist. Dadurch entstünden gerade auch in Städten keine unverhältn­ismäßig größeren Belastunge­n als in ländlichen Regionen. „Das Bodenwertm­odell wäre ein idealer Kompromiss zwischen der Position Bayerns und dem Rest der Bundesrepu­blik“, sagt der Mieterbund-Direktor.

 ?? Foto: Oliver Berg, dpa ?? Neubau-Siedlung in Nordrhein-Westfalen: Die Grundsteue­rbelastung ist bereits heute in klammen Städten am höchsten, wo der Mieterante­il höher ist als auf dem Land. Eine Reform könnte dieses Problem verschärfe­n.
Foto: Oliver Berg, dpa Neubau-Siedlung in Nordrhein-Westfalen: Die Grundsteue­rbelastung ist bereits heute in klammen Städten am höchsten, wo der Mieterante­il höher ist als auf dem Land. Eine Reform könnte dieses Problem verschärfe­n.

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