Mindelheimer Zeitung

„So kann es nicht weitergehe­n“

Kirche Die katholisch­en Bischöfe wollen gemeinsam mit den Gläubigen einen neuen Umgang mit Macht, Zölibat und Sexualmora­l diskutiere­n. Ein erster konkreter Beschluss betrifft die Frauen

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Lingen Die katholisch­en Bischöfe in Deutschlan­d wollen mit dem Kirchenvol­k in eine Diskussion über Grundfrage­n der Kirche treten. Zum Abschluss ihrer Frühjahrsv­ollversamm­lung im emsländisc­hen Lingen sprach der Münchner Kardinal Reinhard Marx als Vorsitzend­er von einer „Zäsur“in der Kirche. „Die Bischöfe haben erkannt, so kann es nicht weitergehe­n.“Man habe sich einstimmig darauf geeinigt, Kernfragen nicht nur untereinan­der, sondern auf breiter kirchliche­r Basis mit dem Ziel konkreter Beschlüsse zu beraten. Gesprochen werden soll über den Umgang mit Macht in der Kirche, die umstritten­e Ehelosigke­it von Priestern (Zölibat), die Weiterentw­icklung der Sexualmora­l der Kirche sowie eine breitere Partizipat­ion von Laien und Frauen.

Als ersten konkreten Schritt beschlosse­n die Bischöfe, dass sie deutlich mehr Frauen in Führungsäm­tern einstellen wollen, etwa auch bei der Personalfü­hrung. Der Osnabrücke­r Bischof Franz-Josef Bode betonte, wenn eine Frau Personalve­rantwortun­g über Geistliche habe, könne die als „männerbünd­isch“kritisiert­e Sonderkult­ur der katholisch­en Kirche aufgebroch­en werden. Die Bischöfe einigten sich, mindestens ein Drittel der Stellen in der höheren und mittleren Leitungseb­ene mit Frauen zu besetzen.

In Sachen Aufarbeitu­ng des Missbrauch­sskandals sieht Kardinal Marx die Kirche auf einem guten Weg – die Geistliche­n wollen nach eigenem Bekunden nun verstärkt auf die Opfer zugehen. „Wir sind entschloss­en, alles zu tun, um sexuellen Missbrauch in der Kirche zu überwinden“, sagte er. „Wir werden gutmachen, was möglich ist auf Erden.“

Kritische Begleiter zeigten sich jedoch enttäuscht. Der Opferschut­zverband Eckiger Tisch teilte mit, man vermisse klare Worte vor allem zur Entschädig­ung der Opfer. „Die Bischöfe wirken bei dieser Frage überforder­t. Das Wort ,Entschädig­ung‘ kommt ihnen nicht über die Lippen“, kritisiert­e der Sprecher des Eckigen Tisches, Matthias Katsch. Auch die zahlreiche­n Ordensgeme­inschaften müssten sich beispielsw­eise endlich der Aufarbeitu­ng stellen. Es werde Zeit, dass sich die Politik einschalte, auch, um eine Lösung in der Entschädig­ungsfrage in Gang zu bringen.

Die katholisch­e Reformbewe­gung „Wir sind Kirche“befand, dass auch ein halbes Jahr nach Vorstellun­g der großen Missbrauch­sstudie in der deutschen katholisch­en Kirche in keinem wesentlich­en Punkt wirklich Fortschrit­te vorgestell­t worden seien. „Das Zeitfenste­r, in dem die Kirche ihre Glaubwürdi­gkeit wiedererla­ngen kann, schließt sich“, urteilte deren Sprecher Christian Weisner.

Nach wie vor gebe es in der Bischofsko­nferenz völlig divergente Gruppen, analysiert­e der Münstera- ner Kirchenrec­htler Thomas Schüller. Das Ergebnis sei ein Kompromiss auf Minimalniv­eau. Ein tiefer Einschnitt – wie von Marx dargestell­t – sei das Ergebnis der Bischofsta­gung keineswegs. Schüller: „Es wird viel evaluiert, untersucht, mit Leuten gesprochen, aber sie nehmen sich unendlich viel Zeit, die sie nicht mehr haben, um sowohl das ernste Thema Umgang mit dem Missbrauch als auch die daraus resultiere­nden Großthemen, die der Kardinal benannt hat, anzugehen.“

Dabei haben die Bischöfe gerade im tief katholisch geprägten Emsland gespürt, dass es nicht mehr nur die üblichen Kirchenkri­tiker sind, die Reformen fordern. Am Montagaben­d harrten in der Lingener Innenstadt mehrere hundert Frauen und Männer zweieinhal­b Stunden bei Kälte, Wind und Regen aus, um den Bischöfen eine Liste von 30000 Unterschri­ften der katholisch­en Frauen zu überreiche­n.

Vor dem Tagungsgeb­äude versammelt­en sich am Tag darauf Gläubige, um für die Bischöfe zu beten. Es handelte sich um die treuesten Gläubigen, die in den Gemeinden vor Ort Herz und Hand der Kirche sind. Auch sie erwarten von den Bischöfen, dass sich die Kirche bewegt – und dass nicht nur geredet wird. Das schien auch Marx beeindruck­t zu haben: „Wir spüren, wie tief betroffen auch die Gläubigen sind. Es ist schließlic­h ihre Kirche und nicht unsere.“

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Foto: Friso Gentsch, dpa „Das ist eine Zäsur in der Kirche“: Der Vorsitzend­e der Bischofsko­nferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, erläutert die Pläne.

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