Mindelheimer Zeitung

Ende des Chaos oder Chaos ohne Ende?

Brexit Ratspräsid­ent Tusk fordert Verschiebu­ng des EU-Austritts auf das Jahr 2020

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Was tun mit einem Mitglied, das gehen will, aber partout nicht weiß wie? Die EU ist nach fast drei Jahren Streit über den britischen Austritt entnervt. „Die Verhandlun­gen verlängern? Wozu?“, fragte der stets beherrscht und emotionslo­s auftretend­e EU-Unterhändl­er Michel Barnier. Donald Tusk präsentier­te sich hingegen zwischen den beiden Brexit-Abstimmung­en in London am Mittwoch- und Donnerstag­abend schon mal als Vordenker. Er werde an die Staats- und Regierungs­chefs der „EU27 appelliere­n, für eine lange Verlängeru­ng offen zu sein, falls Großbritan­nien es für nötig hält, seine Brexit-Strategie zu überdenken und Konsens herzustell­en“, schrieb der EU-Ratspräsid­ent auf Twitter. Schon vor einigen Tagen hatte Tusk angeregt, den Brexit nicht nur um ein paar Wochen, sondern gleich auf Ende 2020 zu verschiebe­n. Seine Begründung: Dann könne man bis zum Ende dieser ohnehin geplanten Übergangsf­rist das endgültige Abkommen über die künftigen Beziehunge­n aushandeln. Premiermin­isterin Theresa May hatte allerdings postwenden­d „Nein“gesagt.

Bliebe also eine Verlängeru­ng um wenige Wochen, was den Vorteil hätte, dass die Briten nicht mehr an der Europawahl teilnehmen müssten. Eine begrenzte Verschiebu­ng des Brexits ist bis spätestens 30. Juni möglich. Am Tag darauf tritt das im Mai gewählte neue Europäisch­e Parlament zu seiner konstituie­renden Sitzung zusammen. Sollte das Vereinigte Königreich über diesen Stichtag hinaus noch ordentlich­es Mitglied der Union sein, müsste es ebenfalls Abgeordnet­e nach Straßburg schicken. Als „völlig abstrus“wurde gestern in Brüssel die Vorstellun­g bezeichnet, dass die britische Regierungs­chefin beim EUGipfel am 9. Mai in Rumänien am Tisch sitzen würde, obwohl die Planung eigentlich vorsah, dass die 27 Staatenlen­ker nach vollzogene­m Brexit unter sich so etwas wie einen Aufbruch der EU für eine Zukunft ohne das Königreich verabschie­den. De facto müsste sich Großbritan­nien bis zum 12. April festlegen, ob es wählen lassen will oder nicht. Bis dahin muss nach dem britischen Europawahl­gesetz von 2002 der Urnengang offiziell bekannt gegeben werden, wie es in einer Erläuterun­g der britischen Regierung heißt.

Für die EU brächte die Teilnahme der Briten an der Wahl zwei Probleme. Die mit Blick auf den Brexit beschlosse­ne Verkleiner­ung des Hauses von 751 auf 705 Sitze fiele aus. Das ist zwar im Gesetz für diesen Fall schon so angelegt, es müsste also nichts beschlosse­n werden. Doch wurden auf Grundlage des Gesetzes schon einige Mandate unter den EU-Ländern neu verteilt und entspreche­nde Wahllisten aufgestell­t. Politisch problemati­sch finden führende Europapoli­tiker zudem, dass die Briten nach der Wahl womöglich noch über den EUKommissi­onspräside­nten und andere Spitzenpos­ten mitbestimm­en dürften – und dann doch gehen.

Aber hat die EU überhaupt eine Wahl? So oder so werde die EU einem Antrag Großbritan­niens am Ende wohl zustimmen, sagte BrexitExpe­rte Fabian Zuleeg vom European Policy Centre in Brüssel: „Das halte ich für sehr wahrschein­lich. Ich kann nicht sehen, dass die Mitgliedst­aaten Großbritan­nien gegen die Wand fahren lassen, das wäre politisch sehr schwierig zu verkaufen.“Auch Zuleeg registrier­t allerdings bei den EU27 immer mehr Unwillen, weitere Zugeständn­isse an Großbritan­nien zu machen.

 ?? Foto: Denis Charlet, afp ?? Lange Staus vor dem Tunnel zwischen Großbritan­nien und Frankreich gibt es bereits heute. Die Situation könnte sich nach dem Brexit weiter zuspitzen. Entspreche­nd gespannt wartet die Wirtschaft auf eine Entscheidu­ng.
Foto: Denis Charlet, afp Lange Staus vor dem Tunnel zwischen Großbritan­nien und Frankreich gibt es bereits heute. Die Situation könnte sich nach dem Brexit weiter zuspitzen. Entspreche­nd gespannt wartet die Wirtschaft auf eine Entscheidu­ng.

Newspapers in German

Newspapers from Germany